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Der Tod Jesu 3.) Die christliche Sicht

Emmauskreuz
Datum:
7. Apr. 2025
Von:
Pfarrer Dr. Peter Eckstein

Am dritten Tag nach dem Paschafest des Jahres 30 sind in einem Dorf namens Emmaus drei Personen (1, 2 und 3) dabei, sich zum Abendessen zu begeben.[1]

1: Es war ein langer Tag. Und Du, Freund, hast gut daran getan, unsere Einladung anzunehmen. Bei Dunkelheit ist es auf den Straßen zu gefährlich.

2: Mir raucht von unserem Gespräch unterwegs noch immer der Kopf. Wie kommt es, Rabbi, dass noch niemand von Dir gehört hat? Wo Du Dich in den heiligen Schriften doch so gut auskennst. Eines habe ich immer noch nicht verstanden: Wie kann ein Gekreuzigter, von dem die Schrift sagt, er sei von Gott verflucht[2], der Messias sein?

3: Erinnert Euch an die Propheten! Wie viele von ihnen wurden schon in früheren Zeiten verfolgt und getötet.[3] Dass ein Gerechter dem Tod überliefert und hingerichtet wird, ist das wirklich so selten?

2: Aber doch nicht der Messias! Wo spricht denn die Schrift von einem leidenden Messias? Der kommt doch, um das Unrecht zu beseitigen und nicht, um zu leiden.[4]

3: Du kennst doch den Propheten Jesaja. Gleich an mehreren Stellen spricht er von einem leidenden Gottesknecht.[5] „Groß und erhaben“, so nennt er ihn ausdrücklich. Und doch fällt er Intrigen zum Opfer und wird grausam misshandelt. „Wir aber hielten ihn für gezeichnet, von Gott geschlagen und gebeugt...Aber unserer Verbrechen wegen wurde er durchbohrt... Bei den Frevlern gab man ihm sein Grab.“[6] Das passt doch zum Geschick Jesu haargenau.[7]

1: Aber es widerspricht allem, was man in Israel von dem Erwarteten glaubt. Er muss ja nicht unbedingt ein kraftvoller Kriegsheld sein. Aber doch wenigstens ein beeindruckender priesterlicher Lehrer, der mit großer Weisheit und göttlicher Autorität das zerstrittene Israel wieder vereint und führt.[8]

3: Und Weisheit, göttliche Autorität und Kraft hatte Euer Jesus nicht?

2: Schon! Aber der Messias muss sich doch irgendwie durchsetzen und überzeugen. Notfalls mit Gewalt.

3: „Überzeugen... mit Gewalt“. Kann man so die Menschen wirklich zu Gott führen?

1: Und wo stehen wir jetzt? Wir bleiben ein besetztes Land. Die Römer schauen voller Verachtung auf uns herab und saugen unser ohnehin nicht reiches Land mit ihren Steuern aus. Die Schriftgelehrten streiten sich weiter und wir werden nie wirklich herausfinden, was richtig und falsch ist. Wie sollen wir da eine Zukunft haben?

3: Hat Jesus dazu etwas gesagt?

2: Ich erinnere mich. „Du sollst den Herrn, Deinen Gott lieben und Deinen Nächsten wie Dich selbst.“[9]

1: „Alles, was ihr wollt, das Euch die Menschen tun, das tut auch ihnen. Darin besteht das Gesetz und die Propheten.“[10]

2: Und das Gleichnis vom Weizen und vom Unkraut. „Lasst beides wachsen bis zur Ernte“[11]. Dann werden die Schnitter kommen und beides voneinander trennen. Gott wird Recht schaffen. Aber warum tut er es nicht jetzt schon? Es wäre doch höchste Zeit!

3: Weil Jesus einen neuen Weg gezeigt hat, um der Herrschaft Gottes zum Durchbruch zu verhelfen. Das ist der Weg der Liebe.[12] Dieser Weg braucht Zeit und Geduld. Diese Liebe aber ist stärker als Ihr ahnt. Sie ist eher bereit, Gewalt zu erleiden, als selbst Gewalt zu üben. Haben das die Ereignisse der vergangenen Tage nicht deutlich gezeigt?

1: Du meinst, ausgerechnet das Kreuz habe Jesus zu einem Zeichen der Liebe gemacht? An deren Ende steht dann trotzdem der Tod! Kein großer Trost.

2: Liebe ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können. Die Zeiten sind einfach zu hart.

3: Gibt es Nachrichten, wie Jesus gestorben ist? Ich meine, mit welcher Haltung!

1: Vor seinen Richtern habe er weitgehend geschwiegen, heißt es. Nur auf die Frage, ob er der Messias bzw. ein König sei, soll er geantwortet haben. Zustimmend. Wenngleich er bei Pilatus hinzufügte, ein weltlicher König sei er nicht.

2: Warum ihn Gott nicht gerettet hat, kann ich nicht verstehen. Die Strafe soll er ohne Murren ertragen haben, heißt es. Es sei so gewesen, als habe er sein Leben bewusst und willentlich dem Vater überantwortet, bis in den Tod hinein.[13] Das alles habe den diensthabenden Centurio angeblich sehr beeindruckt. Der sei wirklich ein Gottessohn gewesen, soll er für alle Umstehenden vernehmlich über Jesus gesagt haben.[14]

3: Ausgerechnet den Hauptmann eines Hinrichtungstrupps hat Jesus also beeindrucken können. Einen hartgesottenen Soldaten. Ist die Liebe, von der er gesprochen hat, tatsächlich ein Luxus? Oder brauchen wir sie nicht dringender denn je!? Es geht hier, wohlgemerkt, nicht um alles Mögliche, was die Menschen heute „Liebe“ nennen, sondern um eine Liebe, die von Gott kommt, die leidenschaftliche Hingabe an ihn und für andere kennt und zu der Gott diejenigen befähigt, die ihn von ganzem Herzen suchen.[15] Bis hin zur Feindesliebe.[16] Nur diese Liebe erfüllt den Menschen ganz.

1: Leidenschaft für Gott – die findest Du bei den Zeloten auch! Sie kämpfen für Gottes Herrschaft unter Einsatz ihres Lebens mit der Waffe in der Hand. Immer wieder schlagen sie unerwartet zu und lehren die Römer und alle Ungläubigen das Fürchten.[17] Die können sich auf dem Boden Israels eben nicht alles erlauben!

3: Ist es das, was Gott will? Furcht und Schrecken unter denen zu verbreiten, die nicht an ihn glauben? Bei Jesaja hören wir anderes: Gottes Weisheit und Gerechtigkeit werden aus Israel hervorbrechen wie ein helles Licht, wenn es das Gesetz des Herrn befolgt. Diese Lebensordnung wird die anderen Völker so sehr beeindrucken, dass sie sich nach und nach auf die Wallfahrt zum Zionsberg begeben werden, um den Gott Israels anzubeten und an seinen Segnungen Anteil zu erhalten.[18] Jesus hat sich als Gesandter eben dieser Weisheit verstanden.[19] Er hat das zerstrittene Israel neu sammeln wollen, damit die Völker diese Weisheit und Gerechtigkeit hautnah erleben können. Dazu braucht es vor allem Überzeugungskraft, nicht Gewalt – auch bei denen, die Jesus folgen. Und den Mut, notfalls anders zu sein und sich zu unterscheiden, wenn andere diesen Weg nicht gehen wollen.[20]  Gewaltlosigkeit und Überzeugungskraft sind die einzigen Mittel, um die Menschen dorthin zu geleiten...

2: … oder am Kreuz zu enden!

3: Beim Propheten Ezechiel heißt es doch: „Ich reinige Euch von aller Unreinheit und von Euren Götzen. Ich beseitige das Herz von Stein aus Eurem Fleisch und gebe Euch ein Herz aus Fleisch.“[21] Es geht Gott nicht darum, sein Volk unter Druck zu setzen, sondern sein Herz zu verwandeln. Jesus hat die Menschen vor eine Wahl gestellt[22]: Wollen sie der Liebe Gottes in ihrem Herzen Raum geben? Dann, so hat er gesagt, sollen sie ihm nachfolgen. Oder Sie tun es nicht. Wie immer sich ein Mensch entscheidet, es hat Folgen für ihn.

1: Also doch Druck und Strafe!

3: Aber nicht vonseiten Gottes! Es ist der Mensch selbst, der sich die Folgen auflädt. Er schlägt einen Weg aus, der ihn ganz und heil machen könnte. Sein Herz wird ständig unruhig bleiben, allem Möglichen wird er nachjagen und doch nicht finden, was er sucht. Oder er wird innerlich abstumpfen und sich betäuben, um den Schmerz nicht mehr zu spüren, der aus seiner inneren Leere kommt...

2: Aber es gibt doch genug Heiden, die ein angenehmes Leben führen, ohne dass sie meinen, es fehle ihnen etwas. Es gibt sogar welche, die Gott suchen und erahnen. In Kafarnaum zum Beispiel gibt es einen römischen Centurio, der unserem Volk eine Synagoge erbauen ließ...[23]

3: Ich bin diesem Mann sogar einmal begegnet. Aber er hat mit der Zeit selbst gemerkt, dass ihm Suchen und Erahnen allein nicht reichen. Er ist, wie ich weiß, inzwischen zum Glauben gekommen.[24] Selbst guten und begüterten Menschen fehlt ohne Gott etwas Wesentliches: Eine begründete Hoffnung über den Tod hinaus.[25] Ohne diese Hoffnung legt die Dunkelheit des Todes einen Schatten auf das Leben, der umso länger wird, je mehr die Jahre voranschreiten.[26] Wo aber Gott ist, ist Licht! Wer könnte zu diesem Licht nun besser hinführen: ein gewalt- oder ein leidensbereiter Messias?

2: Wenn ich das alles zusammenfasse, heißt das: In Jesus hätte Gott den Menschen ein neues, ultimatives Angebot gemacht  – ungeachtet aller Widerstände. Dann hätte Jesus für seinen Auftrag sogar sein Leben gegeben! Das Kreuz wäre dann kein Zeichen des Fluches mehr, sondern des Erbarmens. - Am Ende steht dennoch immer wieder der Tod. Ein solches Erbarmen bedeutet dann doch wieder Dummheit und Schwäche. Oder weiß Gott nicht, wie die Menschen sein können?

3: Du weißt nicht, was Barmherzigkeit ist! Es ist keine kraftlose Nachgiebigkeit. Im Erbarmen liegt für den, der es schenkt, immer ein Stück Kreuz, das es zu überwinden gilt! Erbarmen hält eine Tür auf, die anders längst verschlossen wäre. In einem Punkt aber hast Du recht: Durch diese Tür muss man dann auch gehen wollen![27] Erbarmen kann nur bei dem wirken, der es ernst nimmt. Dann freilich hat es verwandelnde Kraft.[28] Was meinst Du: Könnte hier nicht eine bislang unerkannte Weisheit zum Ausdruck kommen? Eine große innere Kraft?[29]  Auf welchem Weg findest Du wohl zu größerer Reife und Tiefe?

1: Was Du sagst, rührt mich durchaus an.  Aber …! Ach, könnten wir Jesus doch selbst noch einmal befragen.

2: Du magst es drehen und wenden, wie Du willst. Der Tod Jesu lässt alle Deine schönen Gedanken an der Realität zerbrechen.[30] Und eine begründete Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod? Wo sollen wir die denn hernehmen, wenn sich nicht einmal die Gelehrten Israels in dieser Frage einig sind?[31]

3 (lächelnd): Bitte reicht mir doch einmal das Brot herüber...

(Fortsetzung: Lukasevangelium, Kapitel 24, Verse 30-35).

Fußnoten

[1]Die Zahlen 1-3 repräsentieren je eine dieser drei Personen. - Die nachfolgenden Dialoge verstehen sich als erzählerische Ausschmückung von Lk 24,13-32, die aber die frühesten christlichen Deutungen des Todes Jesu nachzeichnen, vgl. hierzu Ernst Haag, Art. Knecht Gottes, in: LThK³ 6 (2006), 154-156. -  Eduard Lohse, Grundriß (sic!) der neutestamentlichen Theologie, Stuttgart (4. Aufl.) 1989, 54 schreibt mit Blick auf die älteste christliche Überlieferung: „Das Lied vom leidenden Gottesknecht und die Leidenspsalmen (sind) von größter Bedeutung für die Ausbildung der Christologie gewesen.“

[2]Vgl. Dtn 21,23: Ein an einem Pfahl hängender Hingerichteter „ist ein von Gott Verfluchter“.

[3]Vgl. Mt 23, 29-32; Apg 7,51-53.

[4]Vgl. Eduard Lohse, Umwelt des Neuen Testamentes (NTD Ergänzungsreihe 1), Göttingen 1983, 140.

[5]Vgl. Jes 42,1-9; 49,1-9; 50,4-9; 52,13-53,12.

[6]Vgl. Jes 52, 13; 53, 4b.5a.9.

[7]Vgl. Klaus Berger, Theologiegeschichte des Urchristentums, Tübingen 1994, 63f.

[8]Vgl. Martin Hengel / Anna Maria Schwemer, Jesus und das Judentum, Tübingen 2007, 161-168.

[9]Mt 22, 37-40.

[10]Mt 7, 12.

[11]Mt 13, 30.

[12]Vgl. Joh 15, 9-17.

[13]Diesen Punkt hebt Lk 23, 46 deutlich hervor.

[14]Vgl. Mk 15, 37- 41.

[15]Vgl. Jer 29, 13f.: „“Sucht ihr mich, so findet ihr mich. Wenn ihr von ganzem Herzen nach mir fragt, lasse ich mich von euch finden – Spruch des Herrn.“

[16]Vgl. Mt 5, 43ff.

[17]Vgl. Gerhard Bodendorfer-Langer, Art. Zeloten, in: LThK³ 10 (2006), 1418f.

[18]Vgl. Jes 60-62.

[19]Nach Lk 4, 16-21 verwendet Jesus das Schriftzitat  Jes 61, 1-2 in seiner „Antrittsrede“ in Nazareth, um seine Sendung zu kennzeichnen.

[20]Vgl. Gerhard Lohfink, Gegen die Verharmlosung Jesu, Freiburg 2013, 156-177.

[21]Ez 26, 25f.

[22]Dieser Aspekt kehrt im NT immer wieder, etwa im Bildwort vom klugen und törichten Hausbau (Mt 7, 24-27) oder im letzten Aufruf Jesu in Joh 12, 44-50, sich mit Blick auf ihn zu entscheiden.

[23]Vgl. Lk 7, 3f.

[24]Vgl. Joh 4, 53.

[25]Die in der Antike weit verbreitete hedonistische Lebensphilosophie - der Aufruf zu jedem sich bietenden Genuss - wurde regelmäßig mit dem Hinweis begründet, dass mit dem Tod alles aus sei, vgl. Marius Reiser, „Iß, trink und sei fröhlich!“, in: Forschungsmagazin der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz 10 (1994), 5-10, hier: 7f. - Es ist kein Zufall, dass das allmählichen Verschwinden des Auferstehungsglaubens in der westlichen Welt zu einer Renaissance dieser Einstellung geführt hat.

[26]Das Gespräch Jesu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen (Joh 4, 5-30) geht ausführlich darauf ein.

[27]Das illustriert Jesus u.a. im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15, 11-32).

[28]Hier begegnen wir einem zentralen Aspekt der urchristlichen Verkündigung, wie es u.a. die Tempelplatzrede des Petrus in Apg 3, 12-26 zeigt.

[29]In 1 Kor 1, 18-31 wird Paulus diesen Gedanken noch weiter entfalten.

[30]Vgl. 1 Kor 15, 14: „Ist Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer, leer auch euer Glaube.“

[31]Die Gruppe der Sadduzäer, die die Priesterschaft im Tempel stellten, lehnte den Auferstehungsglauben ab, vgl. Mt 22, 23; Mk 12, 18; Lk 20, 27; Apg 23, 6-8.