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Katholische Bestattungsrituale im Wandel – unzeitige Beobachtungen

Beerdigung
Datum:
3. Nov. 2025
Von:
Pfarrer Peter Eckstein

Vergleichen hilft! Besonders wenn Dinge sich verändern. Vor allem dann, wenn man sich fragt, ob die Veränderung auch ein Fortschritt ist.

Beginnen wir mit einem Rückblick. Noch vor 150 Jahren starb ein Mensch in einem Haus, in dem oft 3 Generationen zusammenlebten. Unmittelbar nach dem Verscheiden wurde der Verstorbene zu Haus aufgebahrt. Familienangehörige, Bekannte und Nachbarn kamen im Trauerhaus zusammen, um sich von dem Verstorbenen zu verabschieden und einander nahe zu sein. Spätestens am dritten Tag nach dem Todeseintritt wurde der Leichnam eingesargt und der Trauerzug formierte sich zum Gang in die Kirche. Dort fand in Gegenwart des Sarges die Totenmesse statt, anschließend erfolgte die Beisetzung auf dem Friedhof, der sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts in der Regel rund um die Kirche befand -  daher der alte Begriff „Kirchhof“. Mit dem sprunghaften Anstieg der Bevölkerungszahlen mussten vielerorts die Friedhöfe an den Ortsrand verlegt werden, da das Kirchenareal nicht mehr ausreichte.

Hinter diesen Ritualen steckte ein bemerkenswert durchdachter und sensibler Umgang mit dem Tod. Für die Angehörigen sind damit mehrere schmerzhafte Erlebnisse verbunden: der Todeseintritt - die Umbettung des Leichnams in den Sarg - das Verlassen des Wohnhauses - und zuletzt das Einsenken des Sarges in die Erde. Alle diese Schritte wurden behutsam gegangen. Das half der Trauer. Auch Personen außerhalb des engeren Familienkreises wurde Gelegenheit gegeben, sich von ihrem Nachbarn, Freund, Kollegen oder Vereinskameraden zu verabschieden. Für Personen aus diesen Kreisen kann das ebenfalls sehr wichtig werden. Die kirchliche Liturgie mit ihren Inhalten und Riten wurde dabei als bedeutender Rückhalt wahrgenommen. Auch der anschließende Leichenschmaus hatte seinen Sinn – als Brücke zurück ins Leben, das ja weiterging. Weitergehende Bräuche wie z.B. das „Sechs-Wochen-Amt“, eine Messe für den Verstorbenen sechs Wochen danach und damit innerhalb einer der schwierigsten Trauerphasen oder das Jahresgedächtnis um den Todestag herum begleiteten die Trauernden weiterhin.

Diese Bestattungskultur hat sich enorm gewandelt. Mit ihr das Bewusstsein. Nur noch selten wird der Priester zur Aussegnung ins Sterbehaus gerufen. Zwar kann ein Leichnam noch immer bis zu 24 Stunden zu Hause aufgebahrt werden, doch in der Regel wird das Bestattungsunternehmen kurze Zeit nach dem Eintritt des Todes  tätig. Der Sterbeort ist in sehr vielen Fällen nicht mehr das Zuhause, sondern das Krankenhaus bzw. das Senioren- oder Pflegeheim. Was danach geschieht, ist sehr unterschiedlich, auch bei katholischen Verstorbenen. Natürlich gibt es noch eine ganze Reihe Beerdigungen in katholischer Form. Aber das Bewusstsein, dass eine Beisetzung ein Gottesdienst (!) ist, schwindet deutlich! Inzwischen gilt sie mehrheitlich als eine rein familiäre Veranstaltung, die das Bestattungsinstitut nach den Vorstellungen der Auftraggeber zu gestalten hat. Bestatterinnen und Bestatter sind dabei nicht selten ungefiltert diffusen Emotionen von Angehörigen ausgesetzt, die von Trauer über Wut bis hin zu innerfamiliären Streitigkeiten reichen. Obwohl sie diese nicht verursacht haben, können sie sich als Dienstleister kaum dagegen wehren. Ansonsten gefährden sie ihre Existenz. Ob ein Verstorbener katholisch war und der Kirche angehörte, wird von Angehörigen zunehmend nicht mehr berücksichtigt. Die Zahl der Sterbefälle, von denen wir posthum nach der Beisetzung erfahren, steigt.

Überhaupt wirkt der Umgang mit Sterben und Tod in unseren Breiten  immer mehr  verschwommen. Ein hier nicht ansässiger Bestatter berichtete mir von seinem Eindruck, eine Reihe von Angehörigen würden gern ihre(n) Verstorbene(n) möglichst schnell „entsorgen“, am besten als anonyme Urnenbestattung gleich auf dem Krematoriumsgelände. Es gibt aber auch Übertreibungen in die andere Richtung. Man kann Formen eines detailverliebten Totenkults begegnen, der Trauer eher behindert statt ermöglicht (und vielleicht gerade deshalb unbewusst praktiziert wird?). Überhaupt sind Trauer und Trauerbewältigung weitgehend privatisiert. Öffentliche Trauer wird oft als Peinlichkeit empfunden – sowohl von den Betroffenen, wie von den damit Konfrontierten.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Trauernde, die eine kirchliche Beerdigung erbitten, tun dieses bewusster. In den allermeisten Fällen ist das Trauergespräch, das gewöhnlich vorausgeht, ein wichtiger Schritt für die Trauerbewältigung. Seelsorger und Seelsorgerinnen, die die Zeichen der Zeit erkannt haben, bemühen sich um eine sehr persönliche Gestaltung der Trauerfeier. Und bei noch offenen Fragen, etwa bei der musikalischen Gestaltung, ist eine Einigung fast immer möglich. Oft hören wir in den Tagen nach der Beisetzung eine freundliche Rückmeldung, für die wir natürlich sehr dankbar sind. Den Untergang des Abendlandes müssen wir also noch nicht ausrufen.

Früher trugen Trauernde nach der Beerdigung ein Jahr lang schwarze Kleidung. Natürlich wurde das mitunter als Korsett empfunden. Es bedeutete aber auch einen Schutz, denn jeder wusste sofort: Hier habe ich es mit einem Menschen in einer sensiblen Situation zu tun. Trauer durfte öffentlich sein. Und wenn hier im Gespräch auch einmal Tränen flossen, war das nicht überraschend.

Ob der einzig geeignete allgemeine Umgang mit dem Tod das Halloween-Spektakel am 31. Oktober ist, wage ich zu bezweifeln. Die gespielte Angst von dem Tod und vor den Toten lässt auf ein zunehmend gespaltenes Verhältnis zu diesem Thema schließen. Der Tod ist das Ende des irdischen Lebens – und der Hinübergang in ein neues, ewiges Leben. Das ist die Überzeugung der Christen. Sie beinhaltet Trauer und Hoffnung. Beides ist für Christen begründet im Tod und der Auferstehung Jesu Christi. Beidem Raum und neue, angemessene Ausdrucksformen zu geben, ist eine der Herausforderungen, vor die die Gegenwart uns stellt. Denn verleugnete oder überspielte Trauer kann krank machen.