„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens“ (Lk 2,14) werden uns auch in diesem Jahr die Engel auf den Feldern von Bethlehem singen, und wir werden in unseren Gottesdiensten in dieses Lied einstimmen. „Friede auf Erden“, er ist so weit entfernt.
Wir blicken heute in viele Regionen unserer Erde und erschrecken vor der Gewalt und dem Leid, das Menschen sich zufügen. Immer noch herrscht Krieg in der Ukraine, Menschen im Heiligen Land haben im Jahr 2023 unbeschreiblichen Terror erlebt, viele andere Kriegsherde werden übersehen. Und ich schaue auf unser Land, in dem auf den ersten Blick Frieden herrscht. Spaltungen durchziehen die Gesellschaft, gegenseitiges Vertrauen schwindet, Denken und Sprache werden gewalttätiger und selbst in der Kirche herrschen nicht selten Misstrauen und Unstimmigkeiten. Viele Menschen kennen auch im persönlichen Umfeld das friedlose Herz, Verletzungen in Gedanken, Worten und Werken.
Auch in diesem Jahr mag vielleicht die Frage aufkommen, ob Weihnachten nicht Kitsch ist angesichts dieser Realitäten und ob wir als Christinnen und Christen auch durch unsere Gottesdienste nicht einen nur schwer erträglichen Zuckerguss über diese Welt gießen, der nach wenigen Tagen des Vergessens umso widersinniger zu sein scheint. Die Menschwerdung des Sohnes Gottes in unserer Welt ist wohl kein Zuckerguss, weder gestern noch heute. Wir sprechen von ihm als Erlöser. Er kommt in eine unheile Welt, in der Menschen sich Gewalt antun und die von Gott so gut geschaffene Welt in einen Ort verwandeln, den wir Tag für Tag erleben.
Die Sehnsucht nach Frieden auf Erden verdrängt die Wirklichkeit nicht, aber sie traut Gott zu, Schritt für Schritt Veränderungen zu ermöglichen. Die Logik von Gewalt und Hass haben in dieser Glaubenshaltung nicht das letzte Wort. Erlösung ist dabei kein Zauberkunststück, mit dessen Hilfe Gott das Leid einfach wegwischt. Das erhoffen sich glaubende Menschen für das Ende der Zeiten. Gegenwärtig werden wir jedoch in die Verantwortung genommen, die mühsamen und kleinen Schritte zum Frieden und zu einer neuen Welt mitzugehen und zu gestalten. Erlösung beginnt im Inneren des Menschen. Sein Herz, sein Verstand, sein Denken und Handeln soll verändert werden – nicht aus eigener Kraft, sondern aus der inneren Verwandlung durch Gottes Geist: „Wie ergreife ich den Frieden, der mit dem Kommen Gottes zu den Menschen kam? Die Antwort kann nur lauten: Indem ich an der Stelle, an der ich stehe, Gottes Frieden den Weg bereite“ (Eberhard Schockenhoff). Die Engel stellen insofern keine Forderung auf. Sie sprechen Menschen die Möglichkeit zu, Menschen Gottes Wohlgefallens zu sein. Weihnachten ist der Beweis dafür, dass Gott sich für uns interessiert, mehr noch, dass er sich uns liebevoll zuwendet. Das größte Rätsel in den vielen Konflikten besteht für mich darin, dass Menschen, die an einen ihnen zugewandten Gott glauben, aufeinander einschlagen. Brüder und Schwestern werden einander zu Mördern. Die Engel sprechen nicht einen Wunsch aus, sondern ein Versprechen an uns Menschen.
„Ehre sei Gott in der Höhe“, beginnt das Lied der Engel. Gott hat sich unserer Welt zugeneigt, er ist Mensch geworden, er hat gezeigt, wie viel wir ihm bedeuten. Er ist gekommen als Kind im Stall, in unsere Armut und Niedrigkeit. Es wird keinen Tag mehr geben, an dem wir sagen müssen, wir seien allein, und kein Gott ist bei uns. Das ist die Zusage Gottes für das neue Jahr. Jeder Tag nun soll eine Antwort auf dieses Entgegenkommen Gottes sein. Gott die Ehre geben heißt, dass jeder Tag mit dem Glauben an diesen Gott beginnen soll, der uns Tag für Tag begleitet. Gott die Ehre geben bedeutet, die Gedanken und Worte an seinem Wort, an seinem Willen auszurichten. Gott die Ehre geben bedeutet, am Leben der Kirche teilzunehmen, die Nähe Gottes in den Sakramenten immer wieder zu suchen, auch wenn die Motivation dazu fehlt.
Es wird in unserer Gesellschaft zunehmend darauf ankommen, dass Christinnen und Christen die Ehre Gottes bewusster bezeugen. Ich bin allen dankbar, die Sorge tragen für die Weitergabe des Glaubens, Eltern, Lehrerinnen und Lehrern und allen, die in der Seelsorge arbeiten. Viele Erwachsene verlieren den Bezug zum Glauben, weil der einst vermittelte Glaube für sie an Relevanz verliert. Mitunter hat sich der Zugang zu bestimmten Inhalten des Glaubens nicht weiterentwickelt. Das darf uns als Kirche nicht gleichgültig sein, denn das Evangelium ist tatsächlich eine Botschaft des Lebens, eines Lebens in Fülle. „Ehre sei Gott in der Höhe“ – Menschen sollen erfahren, dass Glauben etwas Wunderbares sein kann, wenn er den Menschen im Inneren freimacht.
Er kann den Himmel und damit Horizonte und Perspektiven eröffnen und er kann Menschen zu Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Friedens machen. Viele Probleme dieser Welt lassen uns hilflos dastehen.
Manchmal bleibt uns nur das hoffnungsvolle Gebet an der Krippe. Dieses Gebet verwandelt zunächst uns selbst, womit der erste Schritt zu einer anderen Welt gegangen ist. Dazu gebe Gott Ihnen allen seinen Segen.
Ihr
Bischof von Mainz