Bella Italia I.

Kulinarisch-Literarisches Ereignis

Bella Italia (c) Bücherei St. Sophia/WW
Bella Italia
Datum:
Sa. 17. Jan. 2004
Von:
Willi Weiers

ERBACH. Wir befinden uns in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Ganz Deutschland will Urlaub machen, am liebsten in Italien. Ganz Deutschland ist dabei? Nein, nur eine kleine Schar von zweiundzwanzig Auserwählten haben sich auf den Weg gemacht, um eine abendfüllende Zeitreise mit kulinarisch-literarischen Höhepunkten anzutreten. Angekommen sind sie am Samstag in der katholischen öffentlichen Bücherei St. Sophia, die ihre Gäste diesmal zu „Bella Italia“ eingeladen hatte.

Impressionen Bella Italia
Impressionen Bella Italia

Über die Bildschirme im Foyer huschten Bilder von vollschlanken Damen im Bikini, die stolz auf dem eigenen Motorroller posierten. Und zum Begrüßungs-Martini erinnerte Bibliotheksleiter Willi Weiers zur Einstimmung „an die schöne alte schmalzige Zeit der Fünfziger“. Da hieß es zunächst Platz nehmen an dem mit grünweiß-roten Bändern und Fähnchen geschmückten Tisch, auf dem die mit Bast umwickelte bauchige Chiantiflasche mit der legendären Tropfkerze nicht fehlen durfte. Zu Vino, Acqua und schnulzigen Schlagern mussten sich die Gäste anfangs noch mit drei kleinen Gebäckfischlis begnügen, die es galt, zu Ehren des Hauses „mit Andacht zu kauen “.

Die Zeitreise nahm ihren Lauf, und mit ihr füllten sich die Bäuche immer üppiger, ganz wie in der Nach-Nachkriegszeit, als die Deutschen mit deutscher Gründlichkeit den wachsenden Wohlstand im wahrsten Sinne des Wortes verinnerlichten.

Antipasti aus Ligurien, Piemont, Latium und Apulien sorgten für einen bunten Augen- wie Gaumenschmaus, bestehend aus süß-sauren Möhren, Brotfladen mit Käse und mit Sardellen gefüllten Paprikaschoten mit viel Petersilie. Paglia e fieno, zu Deutsch „Stroh und Heu“, aus der Toscana bildeten die zweite Vorspeise, die Kenner sofort als grüne Bandnudeln mit Sahnepilzsauce identifizierten. Als Secondi servierten die netten Signorinas mit der Bella-Italia-Schürze (aus dem Discountladen) Thunfisch mit Erbsen (Latium), Kalbsröllchen mit einer Leberfarce und mit Feldsalat aus der Lombardei. Zum Abschluss Dolci, bestehend aus Gelati und einer gebackenen süßen Creme (Ligurien), und dem Südtiroler „Ertrunkenen Kapuziner“, dem Cappuccino affogato, wie das in einer Eiermasse gebackene Weißbrot mit Rosinen in Rotwein getränkt heißt.

Weiers schwelgte zwischendurch in eigenen und fremden Kindheitserinnerungen vom Campingurlaub am Gardasee und steigerte die literarische Belastbarkeit seiner Gäste mit frühen Texten deutscher und italienischer Kabarettisten und Schriftsteller mit Namen Dieter Hildebrandt, Werner Finck, Hanns Dieter Hüsch, Dino Buzzati, Natalia Ginzburg, Andrea Camilleri und Carlo Manzoni. 3000 Kalorien als damalige Tagesration, Lübkes Dummheiten, das kleine Glück am Nierentisch, Petticoats und Tütenlampen, das bügelfreie Perlonhemd, der Alpen-Nordsee-Express oder der penible Zollbeamte – sie alle stehen für diese Jahre und ihre Fresswelle, gefolgt von der Einrichtungswelle, der Bekleidungswelle und Reisewelle. Die Sexwelle folgte dann doch etwas später, aber das ist eine andere Geschichte.

Manfred Giebenhain