Schmuckband Kreuzgang

101 Jahre auf dem Binger Rochusberg

Im vergangenen Jahr musste das 100jährige Jubiläum der Binger Kreuzschwestern coronabedingt leider ausfallen. Deshalb feierten die Kreuzschwestern in diesem Jahr am 30. Oktober mit umso größerer Freude ihre 101jährige Präsenz in Bingen. Lesen Sie hier den Bericht von Sr. Mary Helena, die Festpredigt von Bischof Dr. Kohlgraf und den Artikel aus "Glaube und Leben"

Kreuzschwestern: 101 Jahre auf dem Rochusberg (c) Anja Weiffen
Kreuzschwestern: 101 Jahre auf dem Rochusberg
Datum:
Fr. 12. Nov. 2021
Von:
Schwester Franziska Katharina

101 Jahre Kreuzschwestern auf dem Rochusberg - Bericht von Schwester Mary Helena RSM, Ordensreferentin

Ende Oktober war es nun endlich soweit, dass nach der geschuldeten Corona Verzögerung die Schwestern auf dem Rochusberg ihr 100+1 Jubiläum feiern konnten.

Die Feierlichkeiten wurden mit einem Pontifikalamt durch Bischof Peter Kohlgraf in der Kirche der Schwestern eröffnet. In seiner Predigt wurde bereits vorausschauend und dankend abgebildet was später in den Ansprachen durch Bürgermeisterin und andere bestätigt wurde. Die Schwestern haben ihren Dienst auf dem Rochusberg als Brückenbauer zu den Menschen in Tat und Gebet wahrgenommen – und das von damals bis heute. Sie waren mit den Menschen und haben in jedweder Herausforderung nach Lösungen gesucht um den Menschen zu helfen und für sie da zu sein in ihren leiblichen und spirituellen Nöten. Dieses Zeugnis wurde dankend und leuchtend durch alle Beiträge herausgestellt und ist sichtbar wiedergegeben in der sehr anschaulich und mit viel Liebe gestalteten Festschrift.

Es war ein sehr schön gestaltetes Fest an dem viele Menschen teilgenommen hatten und die einladende und großherzige Art und Weise der Schwestern selbst erfahren konnten.

Am Ende hat Sr. Ancilla Maria in Ihrer einladenden und großherzigen Art einem jeden Gast noch ein frisch gebackenes Brot nach Hildegard Tradition und eine Flasche Wein mit Etikett der Kreuzschwestern 100 Jahre in einem umweltfreundlichen Stoffbeutel mit Anhänger überreicht.

So endete eine sehr gelungene und in wohltuender Atmosphäre gestaltete Feier, welche sicher noch langen Nachklang in den Herzen der Festgemeinde haben wird.

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Bischof Peter Kohlgraf  -  Predigt beim Pontifikalamt „101 Jahre Kreuzschwestern auf dem Rochusberg“

Liebe Schwestern hier auf dem Rochusberg,
verehrte Festgemeinde!

Eines der schönsten Komplimente, das man einem Menschen wohl machen kann, ist es, ihn als Brückenbauer zu bezeichnen. Jemand ist oder war Brückenbauer zwischen Menschen. Der Papst zum Beispiel trägt den Titel Ponitfex – Brückenbauer. Wir wissen natürlich alle, dass es in der Kirchengeschichte nicht jedem Papst gelungen ist, diesem Titel gerecht zu werden.

Auch ich als Bischof erlebe in vielen Debatten, dass es zu den anspruchsvollen Aufgaben des Amtes gehört, solch ein Brückenbauer zu sein. Viele zerren an einem, rechts und links, oben und unten. Ich habe in manchen Debatten spaßhaft gesagt: „Es ist manchmal schwierig, den Leuten klarzumachen, dass nicht immer der eigene Vogel der Heilige Geist ist“. Menschen an einem Tisch zu halten, besonders im Gespräch, aber auch am Tisch des Herrn im gemeinsamen Gebet und im gemeinsamen Respekt füreinander, ist eine der anspruchsvollen Aufgaben gerade auch des Bischofs.

Es ist auch nicht selbstverständlich, dass Brücken halten. Es liegt immer an zwei Seiten. Das Gegenüber muss bereit sein, die Brücke zu betreten. Aber auch ich persönlich muss bereit sein, dem anderen Menschen entgegenzukommen. Erst dann kann es zu Begegnung kommen, die Menschen verbindet.

Was motiviert mich, was motiviert uns als Christinnen und Christen solche Brückenbauer zu sein? Grundsätzlich muss ich sagen: Die stärkste Motivation ist der Glaube an einen Gott, der nicht Mauern hochzieht, sondern selbst Brücken zu den Menschen gebaut hat. Er schickt uns seinen Sohn, der Mensch wird, der das Menschsein nicht spielt, sondern der wirklich in das menschliche Leid, in die menschlichen Freuden und bis in den Tod mitgeht und in der Auferstehung vorausgeht.

Immer wieder hat Jesus solche Brücken zu Menschen gebaut. Wenn er Kranke berührt, wenn er Sündern vergibt, indem er den Menschen von der Liebe Gottes erzählt. Selbst zu seinen Gegnern hat Jesus versucht, Brücken zu bauen, und nicht Mauern aufzurichten. Aber es gibt genügend Beispiele, dass diese Menschen damals eben von ihrer Seite aus die Brücke nicht betreten haben. Es braucht immer beide Seiten. Den, der ersten Schritt setzt und die Hand ausstreckt, aber auch den anderen Menschen, der sich darauf einlässt.

Es ist eine schöne Vision von Kirche, dass sie ein Ort einer solchen Begegnung und des Willkommens sein kann. Kirche als ein Ort, in dem Menschen sich auf Brücken begegnen, wo sie sich willkommen fühlen. Wir wissen alle, dass das für viele Menschen in unserer Gesellschaft und auch in der Kirche keine Realität ist. Wir leben zunehmend in einer Gesellschaft, die Mauern aufrichtet. Wir diskutieren derzeit wieder über Mauern am Rand Europas, die Menschen abhalten sollen, auf europäischem Boden eine Zukunft zu suchen. Wir gehen in der Kirche in Deutschland den Synodalen Weg. Da geht es nicht nur um Texte. Es geht um eine neue Kultur des Miteinanders, es geht darum Brücken zu bauen, Brücken zu gestalten. Auch der Papst lädt uns zu einer Weltsynode ein und sagt uns sehr deutlich, dass es nicht nur um Streit oder um interessante Textvorlagen und Textgattungen gehen soll, sondern dass er von uns erwartet, Träume zu wagen. Eine Kirche zu gestalten, die auch Brücken zur Welt hin baut, und die so einladend ist, dass Menschen Lust haben, diese Brücken zu betreten und die Kirche als einen Raum des Willkommens und der Wertschätzung zu erleben.

Liebe Schwestern, liebe Festgemeinde! Wir feiern 100 Jahre plus 1 Schwestern auf dem Rochusberg. Die Kreuzschwestern, die hier gewirkt haben und wirken, will ich heute gerne als brückenbauende Menschen und als eine brückenbauende Gemeinschaft würdigen und ihnen Dank sagen für ganz vieles, was in den 101 Jahren hier geleistet worden ist.

2015 noch das Engagement für Menschen auf der Flucht. Da wird deutlich, was es konkret bedeutet Brücken zu bauen, und dass es nicht bei der Theorie bleibt. Sie haben damals Menschen motiviert, sich für die zu uns kommenden, neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger einzusetzen. Von Anfang an hat Ihre Gründerin den Blick auf Menschen am Rand gerichtet, auf Menschen, die abgehängt werden, zu denen die Gesellschaft die Brücken oft nicht mehr gefunden hat. Das haben viele Schwestern an diesem Ort und andernorts versucht zu leben. Damit haben sie selbst das Evangelium gelebt, und sie sind für uns wichtige Botinnen der kirchlichen Aufgabe geworden, Brücken zu bauen – innerhalb der Kirche, aber auch in die Gesellschaft hinein und zu Menschen, die auch heute abgehängt sind.

Sie, liebe Schwestern, sagen uns sehr viel über Eigenschaften von Menschen, die sich als Brückenbauer verstehen. Ich muss Interesse an der anderen Seite mitbringen. Ich muss gut zuhören können. Ich darf nicht mit dem Anspruch auftreten, schon immer zu wissen, was für den Anderen gut ist. Allerdings braucht es auch eine eigene Position. Einen eigenen Standpunkt, ein Profil. Und das bringen Sie als Schwestern mit – als je eigene Persönlichkeiten, aber auch von Ihrer Ordensspiritualität her.

Wer Brücken bauen will, braucht Geduld. Vielleicht sieht er oder sie manchmal nicht schnelle Ergebnisse und Erfolge. Wer Brücken im Sinne Jesu bauen will, wird sich immer wieder an ihm orientieren müssen. Es muss immer wieder um die individuelle Situation von Menschen gehen. Wer Brücken bauen will muss selbst glaubwürdig sein. Er oder sie muss bereit sein, Verantwortung zu übernehmen. Er oder sie muss bereit sein, mit anderen zusammenzuarbeiten. Und da leben Sie, liebe Schwestern, uns in Ihrer Gemeinschaft vor, was Papst Franziskus mit Synodalität meint. Ordensgemeinschaften sind sozusagen Modelle gelebter Synodalität und wir tun, auch als Kirche im Bistum Mainz, gut daran auf Ihre Erfahrungen zurückzugreifen und von Ihren Erfahrungen zu profitieren. 

Im Letzten kann man das, was wir als brückenbauende Aufgabe bezeichnen, nicht anders nennen als das, was die Bibel Dienst nennt, Dienst im Sinne Jesu.

So bleibt mir der Dank an Sie alle. An die Schwestern die heute hier sind, an die Freundinnen und Freunde die Sie unterstützen, aber auch der Dank an die vielen Schwester, die in diesen Jahren 101 Jahren hier am Ort gewirkt haben und damit ein Netz von Beziehungen und von Liebe gestiftet haben.

Ich bin fest im Glauben überzeugt, dass wir auch mit den Menschen der Vergangenheit, mit den Bedürftigen, die die Liebe und den Dienst der Schwestern erfahren durften, und mit den Schwestern früherer Jahrzehnte in Gott in Verbindung sind.

Wir bleiben verbunden auch hier am Ort, im Bistum. Gottes Segen und Dank!

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Artikel von Anja Weiffen in "Glaube und Leben" vom 24. Oktober 2021

Die Kreuzschwestern auf dem Binger Rochusberg vermitteln die Botschaft der heiligen Hildegard. Sie leben aber vor allem aus der Spiritualität ihrer Gründerin Adèle de Glaubitz. Schwester Ancilla-Maria Ruf spricht in der aktuellen Ausgabe der Kirchenzeitung über den Geist des Ortes.

Eine Hildegard aus Stein steht vor dem Provinz-Mutterhaus der Kreuzschwestern. Das Kunstwerk zeigt, wie Hildegard von Bingen ein blindes Kind heilt. Ein wohltuendes Zeichen am Eingang des Gebäudes mit seinem nüchternen 60er-Jahre-Charme. Genauso wohltuend ist der freundliche Empfang von Schwester Ancilla-Maria Ruf und einer Mitschwester an der Klosterpforte. Die Menschen waren sich des besonderes Ortes hier oben auf dem Binger Rochusberg schon früher bewusst. Im Empfangsraum des Klosters hängt das Bild einer Villa im Stil der Jahrhundertwende. Schwester Ancilla-Maria nimmt die Schwarz-Weiß-Fotografie von der Wand. „Hier an dieser Stelle stand früher das Hotel Rochusberg. Heute würde man so ein Gebäude wohl nicht mehr abreißen“, sagt sie.

Als Mädchen sah Adèle täglich Armut und Elend

Seit 101 Jahren leben und wirken hoch über dem Rhein Kreuzschwestern. Am 30. Oktober feiern die Ordensfrauen das Jubiläum mit einem Gottesdienst und einem Festakt für geladene Gäste nach. Wegen der Corona-Pandemie war die 100-Jahr-Feier im vergangenen Jahr verschoben worden.
Im Lauf der Jahrzehnte ist aus dem Wirken der Kreuzschwestern ein Gebäude-Ensemble erwachsen. Außer dem Provinz-Mutterhaus, dem Hildegard-Forum, einem Hotel und dem „Seniorenwohnen im Kloster“, gehört eine Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung dazu. Letztere ist Ausdruck des ursprünglichen Auftrags der Kreuzschwestern, benachteiligten Menschen in Not zu helfen. Schwester Ancilla-Maria erläutert die Geschichte des Ordens, der von Adèle de Glaubitz (1797 bis 1858) gegründet wurde. In jungen Jahren sah das Mädchen aus gutem Haus auf den Straßen ihrer Heimatstadt Straßburg täglich Armut und Elend. Ihr Mitgefühl hatte Folgen. „Sie nahm verwahrloste Menschen in das elterliche Haus auf. Das brachte ihr Konflikte mit ihrer Familie ein“, erzählt die Ordensfrau. „Adèle sah den Menschen. Sie nahm sich derer an, die anders waren.“ Später entwickelte sich aus ihrer beherzten Haltung ein Hilfswerk, dann eine Kongregation. „Adèle wollte die Hilfsbedürftigen nicht für ihre Zwecke einspannen, sondern war überzeugt, dass diese ein Recht hatten, ihren Platz in der Gesellschaft zu bekommen“, betont die Schwester. „Im Prinzip ist das die gleiche Not wie heute.“ Beim Blick auf die Ordensgründerin sei ihr das wieder ganz bewusst geworden. Ancilla-Maria Ruf erzählt vom Engagement der Binger Schwestern für Geflüchtete: Als Flüchtlinge in der Region untergebracht werden sollten, gab es in der Bevölkerung Vorbehalte, erzählt die Ordensfrau. Bei einer Bürgerversammlung traten die Schwestern für die Geflüchteten ein und schilderten dem Publikum deren Not.

„Hier sind Menschen offen für Gespräche“

Die Kreuzschwestern kamen 1920 auf den Binger Rochusberg und übernahmen dort ein Kinderheim. Bereits zuvor waren die Ordensfrauen in Bingen tätig. Zu den Aufgaben der Straßburger Kongregation gehörte schon zu Anfang die Erziehung junger Mädchen, Betreuung geistig behinderter Menschen, Bildung für blinde und sehbehinderte Kinder, Hilfe für Kinder und Jugendliche in Not. In den 1990-er Jahren kam die Frage auf, wie diese Ziele zeitgemäß weiterentwickelt werden könnten, berichtet Schwester Ancilla-Maria. „Was sind die Nöte der Zeit? Das haben wir uns gefragt. Unsere Antwort lautete, dass Menschen verstärkt unter Orientierungslosigkeit leiden, dass sie nach Sinn und Wegen in ihrem Leben suchen.“ 1997 wurde das Hildegard Forum eingerichtet, das sich bis heute der Botschaft der Hildegard von Bingen widmet und Menschen mit seiner Atmosphäre beeindruckt. Schwester Ancilla-Maria: „Hier ist ein besonderer Ort, hier sind Menschen offen für Gespräche.“
Adèle de Glaubitz und Hildegard von Bingen – der Geist der beiden Frauen ist auf dem Rochusberg durch das Wirken der Schwestern präsent. „Bei Hildegard geht es um Heil und Heilung, um etwas Ganzheitliches“, erläutert Ancilla-Maria Ruf. „Adèle hatte die ganzheitliche Bildung des Menschen im Blick. Von einem Besuch in der Schweiz brachte sie die Ideen des Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi mit. Sie wollte, dass Benachteiligte menschenwürdig leben können. Diese Vision hat sie uns als geistiges Erbe hinterlassen.“
Um diese Werte zu schützen, baut die Kongregation zurzeit eine internationale Stiftung auf. Auch in Bingen machen die Schwestern ihre Einrichtungen zukunftssicher. In Deutschland gibt es aktuell 25 Kreuzschwestern, davon 22 in Bingen. Die Blütejahre des Ordens sind vorbei, dessen ist sich Schwester Ancilla-Maria bewusst. Dem Rochusberg aber wollen die Kreuzschwestern erst einmal treu bleiben.

Anja Weiffen in "Glaube und Leben" vom 24. Oktober 2021