Wir arbeiten nach dem pädagogischen Konzept Situationsansatz. Das Bild vom Kind basiert darauf, dass jedes Kind ein Recht auf bestmögliche Bildung hat und in seiner Entwicklung individuell und Akteur seiner Entwicklung ist.
Im Mittelpunkt der Arbeit stehen die Kinder mit ihren Familien. Wir orientieren uns an konkreten Lebenssituationen der Kinder. Zara (pakistanische Herkunft) aß während der ersten Wochen in der Kita nichts. Die Erzieherin respektierte das und bot ihr an, bei der Frühstückzubereitung mitzuhelfen. Das tat und tut sie bis heute mit Freude. Vor zwei Wochen begleitete sie die Erzieherin zum Frühstücksbereich, nahm Platz, schmierte sich ganz selbstverständlich ein Brot und aß es mit Genuss. Seit diesem Tag frühstückt sie in der Kita und benötigt kein Essen mehr von zuhause. Sie legt Wert darauf, mit „ihrer“ Erzieherin frühstücken zu gehen, das ist für uns selbstverständlich. Eine Jungengruppe beschwerte sich bei einer Erzieherin, dass Erzieher*innen sie „anmeckern“, wenn sie im Flur rennen. Die Erzieherin nahm sich für diese Beschwerde Zeit und sprach mit den betroffenen Jungen. Es stellte sich heraus, dass die Bildungsbereiche, die für die Jungen interessant waren, oft nicht geöffnet wurden. Mit den Jungen bearbeitete die Erzieherin über mehrere Monate diese Situation. Ein Ergebnis: es gibt jetzt einen Rotier-Plan, der regelt, wer die jeweiligen Bildungsbereiche betreut. Seit vielen Jahren arbeiten wir erfolgreich mit Kindern mit Handicap. In unserem Haus gilt es eine Treppe zu bewältigen um in alle Bildungsbereiche zu gelangen. Nach jahrelangem Beantragen, liegt jetzt die Baugenehmigung vor, einen Personenaufzug einzubauen.
Wir erstellen eine Lebensweltanalyse, um die Bedarfe der Familien zu erkennen. Dazu gehören, dass Familien sich über einen Steckbrief vorstellen. Das Erstgespräch, wie das Reflexionsgespräch nach der Eingewöhnungszeit und das jährlich Entwicklungsgespräch. Darüber hinaus erfragen wir über Wandzeitungen oder Fragebögen die Bedürfnisse der Familien. Der aktuelle Fragebogen fragt nach, welche konkrete Angebote Familien von einem Familienzentrum erwarten. Der Fragebogen ist neben Deutsch in vier weitere Sprachen übersetzt und kann online beantwortet werden. Seit 2016 sind wir als katholisches Familienzentrum anerkannt und bieten in diesem Rahmen wöchentlich einen Krabbeltreff und die Literacy-AG, die für alle Familien in unserem Ort offen sind, an. Die intensive Zusammenarbeit mit der Kommune, der Grundschule, der Pfarrgemeinde stellen die Basis für die gezielte Unterstützung von Familien dar. In den letzten Jahren vermehrte sich die Zahl der Familien, die Unterstützung benötigen erheblich. Aus diesem Grund arbeiten wir eng mit dem Kita-Referat und dem Amt für Flüchtlingsangelegenheiten der Kommune zusammenzusammen. Es gibt dort eine Anlaufstelle, die Eltern beim Stellen von Anträgen jeglicher Art unterstützt. Wir stellen für die Familien den Erstkontakt her, dadurch werden „Barrieren“ abgebaut. Durch die Zusammenarbeit mit der Grundschule konnten wir erreichen, dass der Vorlaufkurs, der in Hessen zur Sprachförderung für Kinder ab 5 Jahren verpflichtend angeboten wird, in der Kita stattfindet. Immer mehr Familien hatten Schwierigkeiten, die Kinder nach dem Kurs von der Schule abzuholen, um sie in die Kita zu bringen.
Partizipation Durch das gruppenübergreifende Konzept mit Stammgruppen, können sich Kinder ihren Aufenthaltsort in der Kita auswählen, ebenso die Teilnahme an Angeboten oder Projekten. Sie beteiligen sich an der Planung von Räumen: in der Roten Gruppen wollten die Kinder eine neue Kugelbahn installieren. Sie malten ihre Ideen auf, besprachen diese mit dem Erzieher, nahmen aktiv am Beschaffen des Materials und dem Montieren der Bahn teil. Es gibt eine „Wünschewand“. Die Kinder halten hier ihre Ideen und Wünsche fest. Eine Fachkraft plant mit interessierten Kindern die Wochenübersicht. Gemeinsam stellen diese das Ergebnis den Kindern der Stammgruppe vor. Diese können die Planung annehmen oder Eingaben machen. Bei der Planung von Projekten (Sommerfest, Umgestaltung des Außengeländes) die die Kita als Ganzes betreffen, wählen wir Abgeordnete, die die Stammgruppen im Festausschuss vertreten. Eltern bringen ihre Kompetenzen ein: Um Bildungsungerechtigkeit auszugleichen, gründeten Elternvertrer*innen vor 19 Jahren den Samariterfond. Dieser speist sich vom Erlös der jährlich stattfinden Faschingsbörse. Der Erlös kommt Familien zugute, die ihrem Kind Bildungsangebote, die mit Unkosten verbunden sind, nicht ermöglichen können. Das Team diskutiert das Thema Erziehungspartnerschaft kontrovers. Über die interne Evaluation gelingt es dem Team Ziele zu definieren und Handlungsschritte für die Umsetzung zu entwickeln.
Wir begreifen uns als lernende Organisation. Die Reflexion der pädagogischen Arbeit gehört für uns unabdingbar zum Alltag. Den Gruppenteams stehen einmal im Monat zwei Stunden ausschließlich zur Planung und Reflexion der pädagogischen Arbeit zur Verfügung. Im Team evaluieren wir zweimal im Jahr einen pädagogischen Grundsatz. 2016 ließen wir uns extern evaluieren und bekamen das Bistumssigel der Diözese Mainz verliehen. Der Dienstplan regelt die individuelle Verfügungszeit verlässlich. Neben den regelmäßigen Teamsitzungen stehen dem Team drei Tage im Jahr zur Verfügung, um die pädagogische Konzeption weiterzuentwickeln. Einmal im Monat nutzen wir die Vorteile einer Supervision. Unsere Kita wird von vielen Hospitationsgästen besucht. Alleine diese Tatsache veranlasst uns das was wir tun, kontinuierlich zu hinterfragen und zu begründen. Unser Fort- und Weiterbildungskonzept garantiert, dass Mitarbeiter*innen qualifizierte Weiterbildungen besuchen können. Zwei Personen sind als Fachkräfte im Situationsansatz zertifiziert und sieben befinden sich in der modularisierten Weiterbildung. Eine Erzieherin ist Fachkraft für Krippenpädagogik, eine weitere befindet sich in der Weiterbildung. Als Team sind wir über die Fachschule für Sozialpädagogik an der Landrat-Gruber-Schule, Dieburg in das europäische Erasmus + Projekt „Reflektive Praxis während der Ausbildung zur Erzieherin/zum Erzieher in europäischen Kindertagesstätten rpase.wordpress.com“ eingebunden. Themen wie Flüchtlingsintegration, Interkulturalität, soziale Ausgrenzung und Vorurteilsbewusstsein stehen bei dem Projekt im Mittelpunkt. Das Projekt findet in enger Zusammenarbeit mit Schulen und Kindertagesstätten
aus England, Schweden statt.
Was können andere Kitas von uns lernen? Wir fühlen uns sicher in der Umsetzung des pädagogischen Konzepts Situationsansatz. Bei uns können Hospitierende erleben, wie es gelingt, mit allen Beteiligten dieses Konzept im Alltag zu leben, eine Schlüsselsituation zu identifizieren, sie zu analysieren, um die Schlüsselsituation zu definieren. Arbeiten nach den vier Planungsschritten im Situationsansatz; Exploration ermöglichen, indem wir uns auf ko-konstruktive Lernprozesse ein- und diese bei Kindern zulassen; Beobachtung und Dokumentation nach den Bildungs- und Lerngeschichten, Schreiben von Lerngeschichten und das Entwickeln nächster Schritte mit den Kindern gemeinsam; Bildungs-Portfolio mit Kindern in einem demokratischen Prozess und im Dialog gestalten; Raumgestaltung im Hinblick auf gruppenübergreifendes Arbeiten mit Bildungsschwerpunkten; Teilhabe von Kindern (Umgang mit Wünschen von Kindern, mit Kindern planen, Durchführen von Kinderkonferenzen, das Recht des Kindes auf den heutigen Tag, Umgang mit Beschwerden von Kindern und Familien); Gestaltung der Erziehungspartnerschaft (Übergang von der Familie in die Krippe – den Kiga), Dialog mit Eltern, eigenverantwortliche Teilhabe von Eltern; Transparenz der Arbeit für Familien (Alltags- und Projektdokumentation, Teilhabe an Lerngeschichten, Einbeziehung der Eltern in die Portfolioarbeit, Eltern gehören dazu, sie können sich selbstverständlich immer im Haus aufhalten, das Haus nutzen); Nutzen des Sozialraums für die Kita-Arbeit – Netzwerke aufbauen.
Verfasserin: Gerlinde Ries-Schemainda 28.08.2018