Predigtreihe: Patron für die neue Pfarrei 05./06.10.2024
(Maria Himmelskron / St. Martin) thematisch: Hl. Urban
Vier Bewerber haben wir für das Amt als Patron für unsere künftige Pfarrei: zwei Einzelpersonen und ein Team. Heute und an den kommenden zwei Sonntagen sollen in einer Predigtreihe in allen Kirchen unseres Pastoralraum diese Kandidaten vorgestellt werden. Und heute, an Erntedank, beginnen wir mit dem heiligen Urban, dem Patron der Winzer, der Weinberge und Reben. Und ich gehe wohl nicht ganz falsch in meinem Eindruck, dass der Heilige, der immer mit den Weintrauben in der Hand dargestellt ist, gerade hier in Rheinhessen ein heißer Favorit ist für den Titel als künftiger Pfarrpatron – auch wenn ich ehrlich sagen muss: mein persönlicher Favorit ist das Team Rupert und Erentrud. Aber am Ende hat das die Pastoralraumkonferenz zu entscheiden, und die wird, so hoffen wir, auch ein wenig die Stimmungen und Tendenzen in den Gemeinden aufnehmen. So dass wir uns am Ende für einen Patron entscheiden, mit dem sich möglichst alle identifizieren können.
Nun muss ich sagen: das fällt mir bei Hl. Urban, auch wenn er nicht mein persönlicher Favorit ist, auch nicht schwer. Ich habe eine ganz persönliche Verbindung und Geschichte mit ihm. Meine erste Pfarrei als Pfarrer war die einzige Pfarrei im Bistum Mainz, die dem Hl. Urban geweiht ist: St. Urban in Gau-Heppenheim. Damals zählten etwa 90 Katholiken zu dieser Pfarrei. Die Filialgemeinde Framersheim war mit 350 Katholiken deutlich größer, weshalb der Gottesdienst auch in der Filiale stattfand. In der bis ins 8. Jahrhundert zurückreichenden Urbanskirche, die keine Heizung hatte, fand nur über die Sommermonate einmal im Monat Gottesdienst statt, also so ca. 4-5 Gottesdienste im Jahr. Um den heiligen Urban etwas aufzuwerten, habe ich damals eine in der Reformation untergegangene Tradition aufgegriffen und die Urbanswallfahrt an seinem Festtag, dem 25. Mai wieder ins Leben gerufen, bei der wir mit einer Statue des Heiligen, die von den örtlichen Winzern getragen wurde, in die Weinberge gezogen sind, um von dort aus die vom Weinbau so geprägte rheinhessische Landschaft, die Weinberge zu segnen. Damit dann, im Herbst, zu Erntedank, auch Grund ist, zu danken für eine gute und reichliche Ernte.
Was aber hätte Urban, wenn er unser Pfarrpatron würde, uns heute zu sagen? Was aus seinem Leben wären Anknüpfungspunkte für uns, für unsere neu entstehende Pfarrei? Kann uns da vielleicht das Leben des Heiligen einen Anhaltspunkt geben?
Um es gleich zu sagen: das ist nicht leicht. Denn wir wissen über das Leben des heiligen Urban so gut wie nichts. Jedenfalls nichts, was historisch gesichert wäre. Das fängt schon damit an, dass wir gar nicht so ganz genau wissen, welcher Urban es denn eigentlich ist. Da ist der französische Bischof Urban, der im 4. Jahrhundert Bischof von Langres und Autun war, und von dem die Legende erzählt, er habe sich vor Verfolgern hinter einem Weinstock versteckt, der auf wundersame Weise mitten im Winter so viel Laub getragen habe, dass ihn die Häscher nicht entdeckten. Unser künftiger Patron: einer der davonläuft, wenn es brenzlig wird? Ein Feigling, der sich im Weinberg versteckt, statt mutig für seinen Glauben einzustehen? Die Legende will etwas Anderes sagen: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Rebzweige!“, sagt Jesus im Johannesevangelium. Die Botschaft dieser Legende ist also: Wer auf Christus vertraut, wer sich an ihn hält, den umgibt er mit seinem Schutz und Segen! Der Weinstock steht für Christus. Er hilft uns, er schütz uns, gerade wenn es auch mal schwierig wird. Das ist in unserer Zeit, in der uns als Kirche manchmal ein heftiger Gegenwind ins Gesicht bläst, eine mutmachende Botschaft. Genau diese Legende hat übrigens diesen Bischof, von dem sonst nicht viel bekannt ist, zum Patron der Winzer und des Weinbaus gemacht. Der Gedenktag des Bischofs ist übrigens der 2. April.
Später aber hat ein anderer Urban, der heilige Papst Urban I., der wohl schon um das Jahr 230 als Märtyrer in Rom gestorben ist, das Weinpatronat gleichsam übernommen. Auch von seinem Leben weiß man so gut wie nichts. Die Legende sagt, die kirchliche Vorschrift, dass der Kelch für die Messfeier aus Silber oder Gold zu fertigen sei, gehe auf ihn zurück – so hatte man wenigstens eine kleine Brücke zum Wein geschlagen. Aber es waren wohl mehr pragmatische Gründe, warum der heilige Papst den heiligen Bischof als Weinpatron allmählich verdrängt hat: der Gedenktag von Papst Urban ist nämlich der 25. Mai, wettermäßig viel besser geeignet für Prozessionen und auch für feuchtfröhliches Feiern. Vielleicht hat auch ein bisschen der ganz menschliche Gedanke mitgespielt: „Oberst sticht Unterst“: Papst schlägt Bischof – auch wenn es um die himmlische Fürsprache geht. Jedenfalls zeigt die Mariensäule in den Weinbergen auf dem Hospitalberg oberhalb von Heßloch, übrigens vermutlich der höchste Punkt innerhalb unseres Pastoralraumes, den hl. Urban eindeutig als Papst mit der Papstkrone, der Tiara. Das bedeutet: der Urban, den man seit alters her hier in Rheinhessen als Weinpatron verehrt, ist der Papst. Aber ganz gleich, welcher der beiden nun der rechte Patron ist, oder ob wir sie sicherheitshalber alle beide um ihre Fürsprache anrufen, für beide gilt: von ihrem Leben wissen wir eigentlich nicht viel. Können, wollen wir uns einen Patron leisten, von dem wir eigentlich nichts wissen?
Im Wormser Dom kann man an einem der großen Pfeiler im Mittelschiff etwas Eigenartiges sehen: an diesem Pfeiler sind, in den Stein tief eingekerbt, ganz deutlich die Strahlen von mehreren Heiligenscheinen zu erkennen. Mehr nicht. Die Heiligen selbst, die wahrscheinlich einmal auf den Pfeiler aufgemalt waren, sind über die Jahrhunderte längst verblasst und restlos verschwunden. Allein die Heiligenscheine sind noch da. Die Person ist längst verblasst, allein die Heiligkeit bleibt und strahlt über die Jahrhunderte – so könnte man das deuten. Mich berührt das jedes Mal, wenn ich an diesem Pfeiler vorbeikomme. Denn es zeigt für mich, was der Kern von Heiligkeit ist. Es geht nicht darum, dass da ein bestimmter Mensch Großartiges vollbringt, dass er sich durch besondere Heldentaten, durch heroische, fromme, christliche Lebensführung gleichsam unsterblich und unvergessen macht. Heilige sind nicht fromme Superhelden. Es geht auch nicht darum, sich einen Platz in den Geschichtsbüchern zu sichern, sondern es geht im Gegenteil darum, selbst mehr und mehr zurückzutreten, damit Gottes Glanz und Strahlkraft durch den Heiligen durchscheinen kann. Vielleicht könnte genau das die Stärke, die Botschaft eines Patrons sein, von dessen Leben wir eigentlich gar nichts wissen. Und wenn wir uns dann noch in Erinnerung rufen, dass wir als getaufte Christen alle, wie der Apostel Paulus sagt, zur Heiligkeit berufen sind, dann ist das genau das, was wir von den Heiligen lernen können: sich selbst zurücknehmen, damit Christus durch uns mit seinem Geist, mit seiner Liebe, mit seiner Strahlkraft durchscheinen kann.
Konkret bedeutet das: in der Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, soll etwas von der Liebe Gottes zu den Menschen aufscheinen und spürbar werden; in der Art und Weise, wie wir uns um einander sorgen, wie wir füreinander da sind, soll Gottes Sorge um die Menschen spürbar werden. In der Art und Weise, wie wir als Christen gerade auch ein Gespür haben für die Not der Menschen, wie wir besonders für die Schwachen, die Armen, die Notleidenden da sind; für Flüchtlinge, die in unserem Land, auch in unseren Städten und Dörfern, Schutz und Heimat suchen; für Menschen, die an der Tafel um Lebensmittel anstehen: daran zeigt sich, ob wir vom Geist Gottes erfüllt sind. Ob der Glanz seiner Liebe, seiner Heiligkeit, durch uns in diese Welt scheint. Alles andere wird, das zeigen uns die heiligen Urbane, egal ob Bischof oder Papst, das zeigt jener Pfeiler im Dom zu Worms: alles andere wird mit der Zeit verblassen und in Vergessenheit geraten. Der Glanz der Heiligkeit bleibt. Wenn unser Patron uns daran immer wieder erinnert, ist viel gewonnen.
Und natürlich steht Urban für eines der großen Themen und Herausforderungen unserer Zeit: die Bewahrung der Schöpfung. Dass wir alles tun, dass diese Erde, die Gott uns anvertraut hat, auch nachfolgenden Generationen noch ein guter Ort sein kann. Dass wir auch künftig dankbar und froh Erntedank feiern können.
Und noch ein letzter Gedanke: „Wer Durst hat, komme zu mir und trinke!“ An dieses Wort aus dem Johannesevangelium muss ich denken. Wenn man dieses Wort des Evangeliums böswillig aus dem Zusammenhang reißt, dann könnte man es leicht als passendes Motto für den heiligen Patron der Winzer und des Weins nehmen. Dann würde er zu einem Patron der Trinker, Zecher und Säufer. Andererseits: Wein prägt unsere Landschaft. Er steht für Geselligkeit, Gemeinschaft, für Lebensfreude. In einer Zeit, in der Kirche ein sehr negatives Image hat, in der wir selbst uns oft runterziehen lassen durch die bittere Erfahrung, wie Vieles, was Kirche, was unsere Gemeinden über Jahrzehnte und Jahrhunderte getragen hat, auf einmal zusammenbricht, in einer Zeit, in der auch in der Kirche so viel Mutlosigkeit und Resignation und Enttäuschung herrscht, könnte es gut sein, die Freude wieder in den Vordergrund zu rücken. Nicht umsonst schildert ebenfalls das Johannesevangelium, dass es Jesu erstes Wunder war, Wasser in Wein zu verwandeln, und zwar in einer unfassbaren Menge. Ein Bild für die unbändige Lebensfreude, die Gott uns schenken will. Urban als Patron für einen frohen, gemeinschaftsstiftenden, Freude schenkenden Glauben. Für die Fülle, mit der Gott uns beschenken will. Für unseren Auftrag, Gottes gute Schöpfung zu bewahren. Und auch, wenn Urban, um es nochmal zu sagen, nicht mein persönlicher Favorit ist, mit einem solchen Patron, der uns daran erinnert, der uns Mut macht, alle unsere Hoffnung auf Christus zu setzen, den wahren Weinstock, mit einem solchen Patron könnte ich am Ende auch gut leben.