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Predigt von Propst Tobias Schäfer:Ein Patron für die neue Pfarrei

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Datum:
20. Juli 2024
Von:
Martina Bauer
  1. SONNTAG LJ B (20./21.07.2024) (thematisch)

(Offstein / Dom / St. Paulus)             

                                                                                         

  1. Am 1. Januar 2026 entsteht aus vormals 32 einzelnen Gemeinden, mit der polnischsprachigen Gemeinde sogar 33, eine neue Pfarrei. Der Countdown läuft. Von heute an noch 528 Tage. Die neue Pfarrei braucht auch einen Patron. Natürlich behalten alle 33 einzelnen Kirchen ihre Patronate, ihre Namen, und mit den Kirchen auch die Gemeinden, für die die jeweilige Kirche der Mittelpunkt ist. Aber damit die vielen Gemeinden auch zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen können, braucht es auch für die Gesamtpfarrei einen Namen und einen heiligen Patron. Und zwar im besten Fall einen, mit dem sich möglichst alle identifizieren können, zu dem alle eine Beziehung entwickeln können. Deshalb sind wir momentan auf der Suche nach unserem künftigen Patron oder der Patronin.
  2. Wozu überhaupt einen heiligen Patron? Von ältester Zeit haben sich die Pfarreien einen Patron gesucht. Dahinter steht die Überzeugung, dass es eine lebendige, lebhafte Verbindung gibt zwischen Himmel und Erde, zwischen der himmlischen Kirche und der irdischen Kirche. Die Heiligen, die im Himmel sind, wollen uns auf unserem irdischen Weg unterstützen, helfen, begleiten, uns Beistand geben. Und umgekehrt tat es den Menschen immer gut, zu wissen, dass wir über unseren Patron gute Beziehungen in den Himmel haben, einen den wir bitten dürfen, für uns bei Gott einzustehen. Ich finde, das ist ein Gedanke, der auch in unseren aufgeklärten, modernen Zeiten einfach guttut. Wir sind nicht einfach nur auf uns allein gestellt.
  3. Wenn man einmal eine Stellenbeschreibung formulieren müsste, damit sich die Heiligen gleichsam bei uns bewerben können: Was müsste unseren Patron auszeichnen, was müsste er mitbringen, was erwarten wir von ihm oder ihr? Er sollte gute Beziehungen, einen guten Draht in den Himmel, zu Christus, zu Gott haben. Das ist vielleicht das wichtigste. Aber es sollte auch jemand sein, der die Menschen hier versteht, den Menschenschlag, die Art, wie die Menschen hier, in unserer Region ticken, denken, fühlen. Er braucht nicht nur gute Beziehungen in den Himmel, sondern eben auch zu den Menschen hier. Deshalb ist es uns ja auch so wichtig, dass sich möglichst alle in unseren Gemeinden mit der Suche nach dem neuen Patron beschäftigen, sich mit den Kandidatinnen und Kandidaten auseinandersetzen, sie kennenlernen. Das ist freilich nicht immer leicht. Manche Heilige sind sehr populär uns bekannt, wie der heilige Martin etwa. Andere kennt kaum jemand. Bei manchen wissen wir auch schlicht so gut wie nichts über ihr Leben. Nun haben alle Heiligen im Himmel ihre Zuständigkeit, ihr Ressort. Unterschiedliche Berufsstände haben ihren Patron, Länder, Regionen. Aber eben auch für alle möglichen Situationen im Leben gibt es konkrete Zuständigkeiten. Der auch sehr populäre heilige Antonius etwa ist der Patron für die Schusseligen, der angerufen wird, wenn wir etwas verloren haben und nicht mehr finden. Und wer hat nicht schon die Erfahrung gemacht, dass Antonius geholfen hat, wenn der Schlüssel verlegt war oder etwas Anderes, was uns wichtig ist?
  4. Wir haben eine Vorauswahl getroffen für den Pfarrpatron. Wir haben alle Heiligen ausgeschlossen, die bereits Patron einer Gemeinde oder Kirche in unserem Pastoralraum sind, einfach um sicherzustellen, dass es keine Verwechslungen gibt: „Wir sind die Gemeinde St. Martin in Wiesoppenheim in der Pfarrei St. Martin Worms-Wonnegau“. Und auch, damit niemand sich übergangen fühlt: „Warum soll gerade denen ihr Patron jetzt auch Patron für die Pfarrei sein und unserer nicht?“ Und wir haben gesagt: der Patron, die Patronin soll irgendeinen konkreten Bezug zu unserer Region haben. Wir wollen nicht einen Heiligen als Patron, der einen populären Namen hat, aber wo es eben keinen Bezug gibt, der im Grunde überall Patron sein könnte. Und nach diesen Kriterien haben wir aus über 30 Vorschlägen, die gemacht wurden, am Ende drei herausgesucht.
  5. Zunächst den heiligen Nikolaus: er gehört sicher zu den bekanntesten Heiligen. Sein Bezug zu unserer Region liegt darin, dass seine Verehrung im Abendland durch eine Reliquie, die die Kaiserin Theophanu im Jahr 980 nach Worms geschenkt hatte, hier in unserer Region ihren Ausgangspunkt hatte. Die Nikolauskapelle am Wormser Dom war einer der ersten Orte, die ihm geweiht waren. Von Worms ausgehend ist Nikolaus zu einem der populärsten Heiligen geworden. Er ist Bischof in Myra, in der heutigen Türkei gewesen. Vor allem sein Einsatz für die Armen und Schwachen ist in Erinnerung geblieben. Viele Geschichten ranken sich um ihn, einige sind am Wormser Dom auch bildlich dargestellt: etwa wie er drei zu Unrecht zum Tode Verurteilte rettet, wie er Schiffsleuten in Seenot beisteht. Die Geschichte mit den drei Goldklumpen, die er nachts in ein Fenster wirft, um zu verhindern, dass drei junge Mädchen aus Not der Prostitution preisgegeben werden. Durch sein Brauchtum wird er zum Patron der Kinder und der jungen Familien – Familienpastoral, so haben wir uns vorgenommen, soll ein inhaltlicher Schwerpunkt unserer Arbeit als Pfarrei sein. Im Dom ist Nikolaus auch als Lehrer dargestellt, wahrscheinlich, weil die ursprüngliche Nikolauskapelle zum Bereich der Domschule gehörte. Er steht also auch für eine gute, christliche Bildung. Und er verbindet Ost und West, ist insofern ein ökumenischer Patron. Aber Nikolaus ist nicht nur der gütige, fromme, weise alte Mann. Mich fasziniert eine Geschichte, die auch beschreibt, dass er in Konflikten sehr leidenschaftlich und streitbar sein konnte. Beim Konzil von Nicäa, als es um die Lehre von der wahren Gottheit Jesu ging, verteidigte er diese Lehre gegen den Priester Arius. Er redete sich so in Rage, dass er, so wird berichtet, Arius, der sich partout nicht überzeugen ließ, schließlich ohrfeigte. Nikolaus starb im Jahr 343. So steht Nikolaus als Patron für Kinder und Familien, für Bildung, für den Einsatz für die Schwachen und Notleidenden, aber auch als Kämpfer für die Wahrheit.
  6. Der zweite Kandidat ist, das merke ich, in unserer Region besonders beliebt und momentan sowas wie der heimliche Favorit: der Weinheilige Urban. Dabei muss man nüchtern sagen: über sein Leben wissen wir so gut wie nichts. Erschwerend kommt hinzu, dass in der Person des Weinpatrons, zwei historische Persönlichkeiten verschmelzen. Da ist einmal der Bischof Urban, der im 4. Jahrhundert lebte, Bischof von Langres und Autun in Frankreich war. Das einzige, was wir von ihm wissen, ist eine Legende, die erzählt, wie er sich in der Christenverfolgung hinter einem Weinstock vor seinen Verfolgern versteckt habe, und weil der Weinstock so üppig Laub trug, gerettet wurde. Deshalb wurde er zum Patron der Winzer und des Weinbaus. Dann gibt es aber auch noch den heiligen Papst Urban I. Auch aus seiner Wirkungszeit wissen wir so gut wie nichts. Er soll im Jahr 230 als Märtyrer gestorben sei. Und auch zu den Legenden gehört, dass er angeordnet habe, dass Kelche für die Eucharistie nur aus Silber oder Gold sein dürfen. Allerdings liegt sein Gedenktag am 25 Mai für eine Verehrung als Winzerpatron deutlich günstiger: die Weinstöcke tragen erstes Laub, in wärmeren Regionen beginnt die Rebenblüte, die Eisheiligen sind durch. Deshalb, aber vielleicht auch, weil man das Gefühl hatte, dass auch im Himmel ein Papst mehr zu sagen hat als ein gewöhnlicher Bischof, verlagerte sich das Weinpatronat vom Bischof auf den Papst, der heute, mit der päpstlichen Tiara auf dem Haupt und einer Weintraube in der Hand als Weinpatron verehrt wird. Und als solcher natürlich wunderbar zu unserer Region passt. „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Rebzweige“, sagt Jesus: Urban könnte als Patron also besonders auch für das Dabeibleiben, stehen, für das Dranbleiben auch in all den Veränderungen unserer Tage, wenn neue Wege gegangen werden.
  7. Der dritte Kandidat ist ein Team: der heilige Rupert und die heilige Erentrud. (Und ich sage ganz offen: die beiden sind meine Favoriten, obwohl ich momentan wahrnehme, dass Nikolaus und Urban doch eine deutlich stärkere Lobby haben.) Sie sind meine Favoriten, weil sie Wormser sind, oder mindestens hier aus der Gegend stammen. Sie kennen also den Menschenschlag, sind „welche von uns“. Und ich finde, wenn wir schon eigene Heilige hervorgebracht haben, dann dürfen wir darauf auch stolz sein. Tatsächlich wissen wir von den beiden, besonders vom Bischof Rupert, auch deutlich mehr historisch Gesichertes als von den anderen Kandidaten. Wir wissen, dass er irgendwo um das Jahr 680 Bischof von Worms wurde, als zweiter Nachfolger des ebenfalls heiligen Bischofs Amandus, der im Mittelalter der Stadt- und der Bistumspatron war. Rupert war verwandt mit dem Königshaus und den damals als Hausmeier herrschenden Karolingern. Es war eine Zeit, die unserer in Vielem nicht unähnlich war. Alte Strukturen zerfielen und trugen nicht mehr. Die ursprünglichen christlichen Gemeinden, die mit den Römern kamen, zerfielen nach dem Untergang des römischen Reiches, die Zeit der Völkerwanderung hatte ganz Europa durchgerüttelt. Es etabliert sich eine Reichskirche, in der die Bischöfe als Statthalter des Königs wie Grafen herrschten. In dieser Zeit hält es den Rupert nicht auf seinem Bischofsstuhl, sondern er bricht auf, um den Glauben weiterzutragen. Der Bayernherzog hatte ihn eingeladen, weil er sein Land christianisieren wollte. Rupert war jemand, der sehr strategisch denken konnte, der geschickt neue kirchliche Organisationsstrukturen entwickelte. Er war durch und durch ein Teamplayer: es wird berichtet, dass er bereits bei seinem Aufbruch ein ganzes Team mitgenommen hat, mehrfach lässt er aus Worms weitere Mitarbeiter nachkommen, darunter auch seine Verwandte Erentrud. Er errichtet Kirchen, Klöster und geistliche Zentren als Basisstationen für die Glaubensausbreitung. Erentrud spielt hier eine wichtige Rolle, weil Rupert eben auch die Frauen und ihre Bedeutung für die Glaubensausbreitung früh schon im Blick hatte. Das von ihr gegründete Kloster Nonnberg bei Salzburg war das erste Frauenkloster nördlich der Alpen und ist weltweit das älteste ununterbrochen bis heute bestehende Frauenkloster. Und nicht zuletzt fasziniert mich an Rupert, dass er auch ein sehr praktisches Verständnis hatte: er wusste, dass es bei aller Frömmigkeit auch eine solide wirtschaftliche Grundlage braucht, damit sein Missionswerk Bestand hat. Mit Geschick erwarb er Anteile an der Salzgewinnung in Bad Reichenhall und sicherte so den Reichtum der von ihm gegründeten Kirchen über viele Jahrhunderte. Deshalb wird er gern mit einem Salzfaß dargestellt, Erentrud dagegen wie sonst nur Bischöfe mit einer Kirche, als Hinweis darauf, dass sie als echte Kirchengründerin gilt.
  8. Schließlich war Rupert ein heimatverbundener Mensch: er hat während seiner ganzen Missionsreise immer den Kontakt zu seinem Bistum gehalten, ist am Ende, als die Kirche in Bayern und Salzburg gegründet und stabil war, wieder nach Worms zurückgekehrt und hier in seinem Bistum verstorben. An Ostern – am Auferstehungstag, einem 27. März. Nachdem Salzburg als Bistum errichtet war, hat man seine Gebeine im Jahr 774 von Worms nach Salzburg in den neu errichteten Dom überführt – und Rupert geriet in seiner Heimat sehr in Vergessenheit. „Ihr seid das Salz der Erde“, sagt Jesus. Auch heute ist die Verkündigung der Frohen Botschaft bei Menschen, die mit dem Glauben nichts mehr anfangen können, eine große Herausforderung. Auch heute zerbrechen die alten Strukturen und es müssen neue entwickelt werden. Und auch heute lernen wir wieder neu, dass Glaubensvermittlung nur gemeinsam, im Team, Männer und Frauen, funktioniert. Ich finde daher, Rupert und Erentrud wären tolle Patrone für die neue Pfarrei – Abenteurer, die sich mutig auf den Weg gemacht haben, die aber, wie wir heute gern sagen, ihrem Werk auch nachhaltig Struktur gegeben haben.
  9. Aber am Ende aber habe nicht ich das zu entscheiden. Am Ende wird die Pastoralraumkonferenz dem Bischof einen Vorschlag machen. In der Pastoralraumkonferenz sind Vertreter aus allen Gemeinden, Verbänden, den Kitas, den Ordensgemeinschaften, der Caritas, der Jugend und viele mehr. Deshalb wünsche ich mir, dass wir uns alle mit den Kandidaten, mit allen Kandidaten intensiv beschäftigen, sie besser kennenlernen, um dann auch eine gute Entscheidung zu treffen. Alle sind würdige Bewerber als Patrone für unsere künftige Pfarrei. Und egal, wie die Entscheidung am Ende ausgehen wird und wer das Rennen macht: wir werden in jedem Fall einen guten Fürsprecher im Himmel haben für all die Herausforderungen, vor denen wir stehen.

 

Gehalten:

20./21.07.24    Offstein, Dom, St. Paulus

18.08.24.         Abenheim