Predigtreihe: Patron für die neue Pfarrei 19./20.10.2024 (29. Sonntag LJ B)
(Liebfrauen-St. Paulus) thematisch: Hl. Nikolaus
Das Team Rupert und Erentrud: Aufbrechen, um gemeinsam Kirche aufzubauen
Was wir heute erleben in der Kirche, ist nicht neu. Manchmal haben wir das Bild, als ob es 2.000 Jahre bergauf ging in der Kirche, alles wuchs und gedieh, die Kirchen wurden immer voller, die Menschen immer frömmer. Bis dann mit unseren modernen Zeiten plötzlich alles in sich zusammenbricht. Aber so war es nicht. Es gab in der Geschichte immer wieder Zeiten des Zusammenbruches und des Neuaufbaus. Manchmal kam der Zusammenbruch durch äußere Ereignisse: Kriege, Katastrophen; manchmal durch eine zunehmende Verweltlichung in der Kirche, die dann zum Zusammenbruch führte. Manchmal aufgrund von Reformunfähigkeit – bis dann etwa in der Reformation alles in Frage gestellt wurde und Vieles, was längst innerlich hohl geworden war, in sich zusammenbrach. Der Dreißigjährige Krieg und die großen Pestepidemien, die die Bevölkerung bis auf ein Minimum ausrotteten, waren solche Katastrophen. Und immer traten in solchen Zeiten Menschen auf, die auf den Trümmern des Alten anfingen, Kirche neu aufzubauen. Der heilige Franziskus war so einer: in seiner Zeit war die Kirche so machtverliebt und schwelgte im Luxus, aber der Glaube selbst war hohl geworden. Mit seiner Leidenschaft für eine arme Kirche begeisterte er plötzlich vor allem die Jugend; eine ganz neue Bewegung entstand, die die Kirche von innen heraus erneuerte. Aber auch der heilige Martin war so einer: auch damals steckte die Kirche in einer tiefen Krise. Äußerlich waren die Zeiten der Verfolgung gerade vorbei, durch Kaiser Konstantin wurden die Bischöfe zu Staatsbeamten, wurden wie Fürsten bezahlt, lebten auf einmal in Palästen und freuten sich an all den Privilegien, die die Kirche plötzlich hatte. Und vergaßen schnell ihre eigentliche Aufgabe: den Glauben zu verkünden, für die Menschen da zu sein, vor allem für die Armen. Gegen diese Haltung kämpfte Martin mit Leidenschaft; er weigerte sich, in den Bischofspalast in Tour einzuziehen, Wohnte mit einigen seiner Mönche in Höhlen vor der Stadt. Statt in seinem Palast zu residieren, war er ständig unterwegs, auf Reisen, zu den Menschen. Heilte Kranke, beschenkte Arme, hörte sich die Nöte an. War einfach nahe an den Menschen.
Nein, das was wir heute erleben, dass alte Strukturen nicht mehr tragen und zusammenbrechen; dass immer weniger Priester, weniger Hauptamtlichen da sind, dass die Kirche ihre Privilegien in der Gesellschaft mehr und mehr verliert, dass ihr die Menschen scharenweise davonlaufen: das alles ist nicht neu. Deshalb beraten ja momentan in Rom in der Weltsynode Bischofe und Laien miteinander und ringen und streiten, wie wir uns als Kirche neu aufstellen müssen. Und im Kleinen, aber vielleicht viel konkreter spürbar geht es ja auch bei uns genau darum, in all den Veränderungen des Pastoralen Weges, der neuen Gottesdienstordnung, der Aufgabe von Immobilien, der Auflösung und Neubildung von Pfarreien, der Neustrukturierung von Gemeinden und Räten. E geht nicht darum, dass wir den Mangel verwalten, gleichsam den Konkurs abwickeln. Es geht darum, uns neu aufzustellen, Kirche neu und für die Zukunft aufzustellen.
Ein guter Patron für das Neue, was wir gerade bauen, die neue Pfarrei, die da gerade entsteht, wäre daher für mich das Team Erentrud und Rupert, die ich Ihnen heute im Rahmen unserer Predigtreihe über die Kandidaten für den künftigen Pfarrpatron näher bringen möchte. Denn auch wenn sie vor gut 1300 Jahren gelebt haben, ist deren Situation unserer verblüffend ähnlich. Das weströmische Reich, das auch unsere Region geprägt hatte, ist zerfallen. Es war damals die Zeit der großen Völkerwanderungen: Europa ist völlig durchgewirbelt worden. Auch die frühkirchlichen Strukturen waren ja ursprünglich nach dem römischen Verwaltungssystem geprägt worden: die Bischöfe waren seit Konstantin im Rang eines Senators; wie römische Präfekten regierten sie über ihr Bistum. Die Frankenkönige übernahmen das System und setzen vor allem adelige, mit dem Königshaus verwandte Bischöfe als Fürsten und Statthalter für den König ein – so auch hier in Worms. Rupert war mit dem merowingischen Königsgeschlecht und mit den Karolingern verwandt, und als er wohl um das Jahr 670 herum hier Bischof wurde, war der Bischof Landesherr, der Stellvertreter des Königs vor Ort, residierte in der Königspfalz und hätte sich ein schönes Leben machen können. Rupert spürte jedoch, dass das nicht das ist, was von einem Jünger Christi erwartet wird. Es hält ihn daher nicht hier auf dem Wormser Thron; er lässt sich vom Bayernherzog rufen, der sein Volk zum Christentum bekehren möchte. Und Rupert versteht hier das Evangelium ganz wörtlich, als Jesus seine Jünger zwei und zwei aussendet „in alle Dörfer, in die der Herr selbst kommen will“. Er zieht mit einem Team von Gefährten los, um den Glauben weiterzutragen. In Regensburg bekehrt er zuerst den Bayernherzog und seine Familie; der Legende nach tauft er ihn in der von Rupert über einem römischen Tempel errichteten Gnadenkapelle zu Altötting. Eigentlich könnte man denken, damit hat er seinen Auftrag erfüllt und kann in sein Bistum zurückkehren. Aber ihn treibt das Wort des Herrn, den Glauben immer wieder zu tragen – bis an die Grenzen der Welt. Mit dem Einverständnis des Herzogs zieht er weiter nach Süden, kommt zunächst nach Lorch an der Enns: dort gab es in römischer Zeit bereits eine blühende christliche Gemeinde und einen Bischof; aber das Bistum war bereits untergegangen, die Christen zerstreut. Er zieht weiter nach Seekirchen und schließlich nach Iuvanum, auch einer alten, zerfallenen Römerstadt. Auch hier lebten wohl noch ein paar übrig gebliebene Christen. In den Trümmern der Römerstadt richtet sich Rupert ein, baut eine Kirche, die er nach dem Patron seines eigenen Domes in Worms dem heiligen Petrus weiht und baut im Hof dieser Kirche eine kleine Kapelle, in der er den Schrein mit den Gebeinen seines heiligen Vorvorgängers, des Wormser Bischofs Amandus beisetzt. Ihn hat er gleichsam als Fürsprecher und Schutzpatron für seine Missionsreise mitgenommen.
Rupert war in dieser Zeit nicht der einzige Bischof, der herumzog, um den Glauben und die Botschaft des Evangeliums weiterzutragen. Es waren vor allem iro-schottische Wanderbischöfe, die von der Insel aufs Festland gekommen waren, um hier den Glauben zu verbreiten, weil sich die ortsansässigen Kollegen des heiligen Rupert in ihrer Rolle als feudale Fürsten eingerichtet hatten und gar nicht daran dachten, ihr bequemes Leben aufzugeben. Deshalb gerieten diese Missionsbischöfe, später auch Bonifatius, in heftigen Konflikt mit der alteingesessenen Reichskirche. Rupert stand hier klar auf der Seite der Reformer, auf der Seite derer, die eine Kirche nahe an den Menschen wollte, statt einer feudalen Kirche, deren Bischöfe mit den Mächtigen paktieren. Aber anders, als diese charismatischen Wanderbischöfe, wusste Rupert, dass es auch Strukturen braucht, damit das Missionswerk nicht gleich wieder verpufft, damit es nicht allein von der Person eines charismatischen Missionars abhängt. Deshalb setzt Rupert von Anfang an auf Teamarbeit. Er zieht mit einem ganzen Tross von Mitarbeitern los; und hierzu gehört auch seine Nichte Erentrud und einige Frauen, die er aus Worms eigens nachkommen lässt, weil er viel früher als andere begriffen hat, dass der Glaube und der Aufbau von Kirche nicht reine Männersache ist. Es ist spannend zu sehen, mit welchem Selbstbewusstsein die hl. Erentrud als gleichberechtigte Mitarbeiterin auftritt, sich selbst als Kirchengründerin versteht und so auch von den Menschen wahrgenommen wird. Bis heute wird sie, wie sonst nur Bischöfe, als Heilige dargestellt mit einer Kirche in der Hand: als Kirchen- und Klostergründerin.
Rupert vereint in seiner Person das Charismatische, den Aufbruch, den Mut, Neues zu wagen. Er kann Menschen für den Glauben begeistern. Aber er ist zugleich auch ein genialer Organisator, ein Stratege, einer der weitsichtig denkt und plant. Er sucht lange und sorgfältig, wo er den Stützpunkt für seine Mission, für die neue „Südkirche“ hinlegt: er schaut zuerst in Lorch an der Enns, denn es war ja naheliegend, dort, wo es schon früher ein blühendes Bistum war, an die glanzvolle Vergangenheit anzuknüpfen. Aber er spürt: das passt nicht. Er zieht weiter nach Seekirchen, gründet dort eine Kirche, die er auch dem Hl. Petrus weiht, aber spürt: das ist zu abgelegen. Er zieht weiter und entdeckt in Salzburg einen Ort, wo die „Infrastruktur, wie wir heute sagen würden, stimmt: Es gibt leerstehende Gebäude, Salzburg liegt an wichtigen antiken Handelsstraßen. Und vor allem: er organisiert durch Anteile an der Salzgewinnung in Reichenhall auch finanzielle Ressourcen, die es ihm ermöglichen, hier wirklich und nachhaltig den Grundstein für ein künftiges Bistum zu legen, denn genau darum ging es ihm. Und Ruppert kann sich selbst zurücknehmen: nachdem sein Werk getan ist, legt er es vertrauensvoll in die Hände seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, unter anderem der hl. Erentrud, und zieht sich wieder zurück in sein Bistum Worms. Einer, dem es nicht um sich geht, der nicht sich selbst in den Mittelpunkt stellt, sondern der sich ganz in den Dienst nehmen lässt für die Sache Gottes. Einer, dem es nicht darum geht, selbst den ersten Platz zu haben, sondern der Diener sein kann.
Ich weiß, Rupert ist nicht der bekannteste und populärste Heilige. Und Erentrud schon gar nicht. An Popularität und Volkstümlichkeit sind ihnen der heilige Nikolaus und der heilige Urban weit voraus. Aber es sind zwei Heilige, die hier aus unserer Region, aus dem alten Wormsgau, stammen, und schon deshalb tut es mir so leid, dass ausgerechnet sie in ihrer Heimat bislang so wenig wahrgenommen werden. Obwohl sie uns doch gerade für unsere Zeit, für die Herausforderungen, in denen wir als Gemeinden aktuell stehen, so viel zu sagen haben. Zwei, die auf den Trümmern des Alten, Untergegangenen neu Kirche aufbauen. Die mutig, froh und mitreißend die Frohe Botschaft zu den Menschen tragen; die für eine Kirche stehen, die nahe bei den Menschen ist. Die mit Kreativität und Fantasie neue Strukturen aufbauen. Zwei, die Mut machen, nicht dem, was scheinbar zusammenbricht, nur nachzutrauen, sondern neu aufzubrechen, geführt von Gottes Geist. „Ihr seid das Salz der Erde!“ – das ist der Leitspruch des Heiligen, der mit einem Salzfass in der Hand dargestellt wird: der uns Mut macht, mit Selbstbewusstsein als Christen in dieser Welt auftreten, mit dem Bewusstsein, dass die Frohe Botschaft lebensnotwendig ist für diese Welt und die Menschen; und dass ohne uns als Christen alles so viel fader wäre.