Die Idee einer großen Orgel für St. Thomas Morus, die dem neuen Kirchenraum und der zu feiernden Liturgie gerecht werden sollte, ist so alt wie Planungen zum Kirchbau selbst. Bereits zum 16. Juni 1967 – also einen Monat vor der Kirchweihe am 15. Juli - erfolgte die Zustellung einer ersten Offerte des Orgelbauers Matthias Kreienbrink zum Orgelteilbau Thomas Morus/Gießen in Höhe von 76.459,- DM vor. Dieser erste Bauabschnitt erhielt “12 klingende Register, 4 Pedalfreikanzellen, komplette Trakturstrom- und Spielwindversorgung sowie komplettausgeführte Spieltisch-, Prospekt- und Gehäuseanlage.”
Die Gesamtkosten der spielfertigen Orgel lagen dementsprechend bei 109.083,- DM für 24 Register mit 1586 Pfeifen.
Im Vergleich zur finalen Disposition mit 21 klingenden Registern kamen im Hauptwerk neben der 5fach Mixtur eine 3fach Mixtur Hellcymbel dazu; im Brustwerk zusätzlich eine Quintade 8′ und im Pedal ein Choralbaß 4′. Statt des Schalmey-Regals 8′ war außerdem ein 16′ Holzdulcian vorgesehen und statt des 2-3fachen Obertons ein 2facher Terzian. Im Pedal wurde der ursprünglich vorgesehene Quintbaß 10 2/3′ durch einen weiteren 16′ Prinzipalbaß ersetzt.
Trotz entsprechender Reduktion des Angebots auf 21 Register waren die hohen Kosten des geplanten Orgelneubaus in St. Thomas Morus Grund genug für den damaligen Orgelsachverständigen des Bistums Mainz Herrn Domkapellmeister Heinrich Hain in einem Schreiben vom 2. August 1969 an das Bischöfliche Ordinariat festzustellen, dass die Orgel für einen Preis von DM 99.603 ,- incl. Mehrwertsteuer bei einer Registeranzahl von 21 Registern zu teuer sei. Es ginge aber nicht an, daß dafür Preise gezahlt werden, die der Firma Klais in Bonn ebenbürtig seien, so der Orgelsachverständige.
Ferner warf jener die Frage auf, warum man nicht die ortsansäßige Firma Förster und Nikolaus, die auch in der Pfarrkirche St. Bonifatius ein repräsentatives Werk erstellt habe, berücksichtige? Über die Firma Kreienbrink, Osnabrück, sei ihm hingegen aus seiner erst kurzen Tätigkeit nichts bekannt geworden.
Zur Disposition waren seine Anmerkungen insofern ausschlaggebend, als dass der angedachte Holzdulcian 16′ im Brustwerk durch das Schalmey-Regal 8′, einem Trichterregal der Bauweise Arp Schnitgers nachempfunden, ersetzt wurde. Auch der Quintbaß verschwand aus der Disposition und wurde ersetzt durch den Prinzipalbaß.
So konnte mit Schreiben vom 15. Oktober 1969 an das Katholische Pfarramt St. Thomas Morus die Genehmigung zur Anschaffung einer neuen Orgel durch das Bischöfliche Ordinariat erteilt werden.
Am Sonntag, den 31. Januar 1971 folgte die festliche Orgelweihe. Aus der Gießener Allgemeinen Zeitung vom 2. Februar 1971:
(Jo) Große Anteilnahme fand am Sonntagnachmittag die feierliche Weihe der neuen Orgel der katholischen St.-Thomas-Morus-Gemeinde in der Grünberger Straße. (…) Unter den Besuchern befanden sich auch Oberbürgermeister Schneider und der Dekan der evangelischen Kirche, Bernbeck, die von Dekan Luley besonders begrüßt wurden. (…)
Der Festredner, Akademikerseelsorger Pfarrer Walter Seidel (Mainz) wies auf die Bedeutung der Orgel im kultischen Geschehen der Gottesdienste hin. Sie habe die Aufgabe, in einer Sprache zu den Menschen zu sprechen, die von allen verstanden werde. (…)
Das Orgelkonzert wurde mit der Fantasie f-Moll (KV 608) von Wolfgang Amadeus Mozart eingeleitet. An der Orgel saß Domorganist Eberhard Kraus (Regensburg). (…)
In seinem Gutachten vom 30. September 1981 zur Abnahme der neuerbauten Orgel in der Pfarrkirche St. Thomas Morus in Gießen am 15. März 1971 führt Domkapellmeister Hain aus:
“(…) Die Disposition ist ganz auf den Kirchenraum abgestimmt und trägt der Verwendung der Orgel im Gottesdienst ausgezeichnet Rechnung. (…)
Die mechanische Spieltraktur arbeitet – trotz des langen Wegs – ohne Störung. Hierbei darf die leichte Spielbarkeit dieser Mechanik hervorgehoben werden, die auch bei gekoppelten Spiel ohne besondere Belastung bewältigt wird.
Die Orgel befindet sich in einem Vollgehäuse aus Eiche auf der linken Seite der Kirche, vom Hauptschiff aus gesehen. Somit wurde eine homogene Klangverschmelzung erreicht. Die Prospektgestaltung ist reizvoll und folgt dem natürlichen Aufbau der einzelnen Werke. Die gesamte Orgel gibt somit der Kirche ein besonderes Gewicht in der Ausstattung. (…)
Für die Herstellung der Pfeifen wurde hochwertiges und gutes Material verwendet. (…) Bei der Untersuchung des Pfeifenwerks zeigte sich die handwerkliche Sauberkeit und die sorgfältige Verarbeitung. Alle Teile der Orgel sind übersichtlich angeordnet und gut zugänglich.
Die Intonation verdient volle Anerkennung. (…) Das volle Werk hat einen strahlenden und silberhellen Glanz und ist zugleich voll Kraft und Fülle. Die einzelnen Werke (…) geben in der Klangfarbe einen guten Kontrast (…) Auch im solistischen Spiel sind die Registriermöglichkeiten vielfältig und reich an Farbe. Diese Orgel ist ein Zeichen einer opferwilligen Gemeinde.”
Ein herzliches Dankeschön geht an Herrn Wilhelm Schmidt aus Fernwald-Annerod für die umfangreichen Recherchebemühungen im Pfarreiarchiv.
Die Große Orgel der Firma Kreienbrink aus dem Jahr 1971 besitzt zwei Manuale (Hauptwerk und Brustwerk) und Pedal, darüberhinaus zwei Freie Kombinationen plus einer zweiten, davon unabhängigen Freien Kombination für das Pedal.
Praestant 8′ • Hohlflöte 8′ • Oktave 4′ • Rohrflöte 4′ • Nasat 2 2⁄3′ • Gemshorn 2′ • Mixtur 5fach • Trompete 8′
Gedackt 8′ • Prinzipalflöte 4′ • Schwiegel 2′ • Sifflöte 1′ • Oberton 2-3fach • Scharff 2fach • Schalmey-Regal 8′
Prinzipalbaß 16′ • Subbaß 16′ • Oktavbaß 8′ • Gedacktbaß 8′ • Piffaro 2fach • Fagott 16′
Nach der erfolgten Innenrenovierung der Kirche im Jahr 2005, in deren Zuge die Seitenschiffe abgetrennt und der damit zur Verfügung stehende Kirchenraum verkleinert wurde, stand die fällige Reinigung der Orgel an. Die Renovierungsarbeiten in der Kirche hatten Schmutz produziert, Kalkreste vom Mauerputz, der sich auch in der Orgel finden ließ. Dieser grobe Schmutz hätte der Orgel sehr geschaden, infolge es durch eine dadurch bedingte Zerstörung des Pfeifenwerks zu irreversiblen Klangbeeinträchtigungen gekommen wäre.
Durch die Verkleinerung des Kirchenraums war außerdem eine akustische Anpassung an die neuen Raumverhältnisse notwendig. Die Orgel war gerade in den hohen Lagen – bedingt durch den damals vorherrschenden Zeitgeist im Orgelbau – zu laut und “schreite”. Das Gutachten des Orgelbauers Gabriel aus Fulda, der auch für die Wartung der Orgel verantwortlich war, bezifferte einen Reparaturumfang von ca. 14 000 €. In Ermangelung reeller Finanzierungsoptionen und des fehlenden Verständnis für die tatsächliche Renovierungsbedürftigkeit des Instruments verzögerten sich die weiteren Maßnahmen.
Mit dem Wunsch durch eigene kirchenmusikalische Veranstaltungen in Form der Orgelvespern Orgelmusik wieder einem breiten, interessierten Publikum auch außerhalb des sonntäglichen Gottesdienstes näherzubringen, wurden die Spendenbemühungen zur Auftreibung der benötigten Summen intensiviert. Durch die Orgelvespern konnten bei einer durchschnittlichen Besucherzahl von 30 Zuhörern durchschnittlich jeweils ca. 200 € zugunsten der Orgelrenovierung gesammelt werden. Daneben wurde über die Situation der Orgel aufgeklärt und informiert und bei jeder sich bietenden Gelegenheit für das Spendenprojekt beworben.
So konnten durch die Anstrengungen aus der Gemeinde bis zum Beginn der Renovierungsarbeiten knapp 15 000 € gesammelt werden. Das Bistum Mainz unterstützte das Projekt nicht. Stattdessen konnte die fehlende Summe durch eine Zuwendung des Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst sowie der Stiftung der Stadtsparkasse Gießen gedeckt werden.
Im Januar 2014 erfolgte der Auftrag an die Licher Orgelbaufirma “Förster & Nicolaus”. Die Renovierungsarbeiten erstreckten sich über den gesamten Monat März und konnten rechtzeitig zwei Wochen vor Ostern erfolgreich beendet werden. Die festliche Einweihung der frisch renovierten Orgel erfolgte am 4. Mai 2014 zur 19. Orgelvesper zur Osterzeit. An der Orgel spielte Regionalkantor Thomas Wiegelmann aus Bad Orb.