Liebe Leserin, lieber Leser,
Den einen war er zu radikal. Den anderen zu zögerlich.
Traditionalisten sahen ihn die katholische Kirche geradewegs in ein Schisma führen. Und manchen Progressiven wurde er mit den Jahren immer mehr zu einer Enttäuschung ihrer Hoffnungen auf Reform, die er mit unkonventionellem Auftreten und unkonventionellen Äußerungen doch selbst immer wieder genährt hatte.
Diejenigen, die bei ihm die theologische Tiefenschärfe und Klarheit vermissten, störten sich dann aber an der Schärfe und Klarheit, mit denen er Partei für die Armen und die geschundene Schöpfung ergriff und fanden das dann auch wieder zu einseitig und oberflächlich.
Und dass er demütig und in Augenhöhe den Menschen begegnet sei und an runden Tischen eine neue Kultur des Zuhörens in der Kirche eingeführt habe, dürften die Kurienkardinäle, die er öffentlich abkanzelte, oder Kardinal Müller, der von ihm abserviert wurde, möglicherweise anders gesehen haben. An Strukturen absolutistischer Herrschaft mit dem Papst an der Spitze hat sich in seiner Amtszeit jedenfalls wenig verändert.
Die Nachrufe sind geschrieben. Sie geben ein durchaus widersprüchliches Bild.
Jetzt werden sich die Kirchenhistoriker und Theologen mit dem Vermächtnis von Papst Franziskus befassen.
Er hat die „Cathedra Petri“ zwischen die Stühle postiert.
Und vielleicht ist das ja genau der richtige Platz!
Eines nämlich ist Traditionalisten und Progressiven in der Kirche gemeinsam: dass sie an Strukturen (sich) festmachen, ob sie nun eine alte Herrlichkeit verteidigen oder von einer neuen träumen, in der die Kirche sich endlich zeitgemäß präsentiert. Das eine hat es nie gegeben, das andere wird es nicht geben.
Papst Franziskus hat diese Sicht immer wieder unterlaufen und relativiert: ihm war eine „verbeulte“ Kirche lieber als eine, die, unter welchen Vorzeichen auch immer, um sich selbst kreist.
So hatte er es schon in seiner Rede im Vorkonklave, die möglicherweise ausschlaggebend für deine Wahl gewesen ist, formuliert:
„Die Kirche ist dazu berufen, sich selbst zu überschreiten und nicht nur an die geographischen Peripherien zu gehen, sondern auch an die existentiellen. Es gibt, vereinfacht gesprochen, zwei Kirchenbilder: eine evangelisierende Kirche, die aus sich herausgeht, und eine mondäne Kirche, die in sich selbst, aus sich selbst und für sich selbst lebt. Unter diesem Licht sind alle denkbaren Veränderungen und Reformen zu sehen, die zum Heil der Seelen anzugehen sind.“
Diese Grundoption für eine extrovertierte Kirche, die sich herauswagt ohne Angst, sich dabei zu verlieren, vielmehr im Vertrauen, gerade so ganz bei sich selbst zu sein, ist durchaus auch ein kritischer Maßstab für die Reformbestrebungen im Kleinen, mit denen wir zur Zeit vor Ort in den Strukturprozessen unserer Kirchen uns abmühen.
Ihr Pfarrer Stefan Schäfer