Schmuckband Kreuzgang

Festansprache zum 75. Wallfahrtsjubiläum in Schotten
am 13. September 2020:
"Geistlicher Rat Dr. Adolf Schindler und die Pfarrei Schotten"

Lieber Herr Pfarrer Christoph Hinke, liebe Wallfahrer und Wallfahrerinnen,
gerne habe ich die Einladung Eures geschätzten Pfarrers Christoph Hinke angenommen und bin nach Schotten gekommen, um einige Worte zum 75. Wallfahrtstreffen an Sie zu richten. Ist es doch die Wallfahrt, die mein verehrter seliger Onkel Geistlicher Rat Dr. Adolf Schindler ins Leben gerufen hat.
In seinem Namen darf ich als sein Neffe, der jahrzehntelang eine herzliche Verbindung zu ihm haben durfte, heute zu Ihnen sprechen.
Ich möchte es nicht versäumen, Herrn Pfarrer Christoph Hinke ausdrücklich zu erwähnen, der das hier in Schotten begonnene Werk meines Onkels in seinem Sinne mit großem Engagement überzeugend weiterführt.
Wallfahrten sind ein Symbol der pilgernden Kirche der Christen, unterwegs zu ihrem ewigen Ziel, zu Gott. Wallfahrten sind auch heute in unserer aufgeklärten Welt etwas Zeitgemäßes.
Ungezählte Menschen treibt es, ihrer Sehnsucht folgend, auf strapazenreichen, steinigen Wegen nach Santiago de Compostella in Spanien. Sie berichten von Heil bringenden Erfahrungen und innerer Erneuerung.
In Schotten gibt es ein wundertätiges Gnadenbild der Muttergottes, das bereits im Mittelalter das Ziel von Wallfahrten war.
Um 1330 entstand eine Marienkapelle, die in der Folgezeit zur Gründung der Liebfrauenkirche führte. So war Schotten bereits im Mittelalter ein weit bekannter Wallfahrtstort.
Diese alte Tradition der Wallfahrt wurde unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg wieder aufgenommen. Denn die Not war groß, der Hunger, der Wohnungsmangel in dem zerschlagenen Land, die Arbeitslosigkeit, die Existenzsorgen, das Problem der Familienzusammenführung und ungezählte andere Notstände belasteten die Menschen. Nur Gott konnte der entscheidende Notwender, Tröster und Helfer werden.
Als Schotten Ende 1946 einen eigenen Seelsorger bekam, der mein Onkel war, führte Pfr. Dr. Schindler jährlich einen Wallfahrtstag ein. 
Das Motto dieses Jahres 2020 könnte sein, die einschneidenden Veränderungen, die unsere bisherige Lebensweise aufgrund der Corona-Pandemie bedroht, Gott vertrauensvoll zu übergeben. Wir dürfen sicher sein, dass Gott uns durch diese schwierige Zeit führen wird, wie es die Menschen in früheren Zeiten, die auf seine Hilfe bauten, auch erleben durften.
Es geht uns um die Rückbesinnung auf unseren Glaubensschatz und um das Gemeinschaftserlebnis bei aller äußeren Distanz.
Lassen Sie mich in einigen Worten eingehen auf den Gründer der Wallfahrt, zu dessen Gedenken und Ehrung wir uns auch versammelt haben, dessen Geist spürbar in unserer Mitte ist: Pfarrer Dr. Adolf Schindler.
Wer ihn näher kannte, weiß, dass er in seiner Bescheidenheit, meist im Stillen wirkte, und doch war es so, dass jeder zu ihm aufschauen konnte. Bereits in meiner Kindheit war seine Vorbildsfunktion auf mich übermächtig. Wurde ich als Kind nach meinen Berufsabsichten gefragt, antwortete ich stets: „Ich will das werden, was mein Onkel ist.“
Für mich war er der Onkel schlechthin, d.h. der ideale Onkel, wie man sich ihn in Güte und Ausstrahlung nur wünschen kann, eine Persönlichkeit, die nicht durch Worte, sondern durch ihr beeindruckendes Wirken in den Bann zog. Er war mir väterlicher Berater und Freund.   
Auch wenn er örtlich durch die weite Entfernung nicht zum Greifen gegenwärtig war, irgendwie war er  als geistliches Familienoberhaupt doch gegenwärtig. So fiel in unserer Familie oft der Satz: Was würde Onkel Adolf dazu sagen?
Alle Begegnungen und Gespräche mit ihm , seine Predigten und Ansprachen legten Zeugnis ab von seiner edlen Gesinnung, seiner Aufrichtigkeit und seiner unerschütterlichen Glaubensüberzeugung, aus der er heraus  sein Leben bescheiden und hilfsbereit gestaltete. Trotz aller beruflichen Belastungen und der vielen kirchlichen Dienste hatte er immer noch Zeit und ein Ohr für die Sorgen der Anderen, aber auch Sinn für humorvolle Bemerkungen.
Seine aus tiefreligiösem Gottvertrauen genährte Lebensgestaltung war verwurzelt in einem Jahrhunderten zurückreichenden Bauerngeschlecht. Eine tiefe Verehrung seiner Eltern und seiner Ahnen ließ ihn in mühevoller Kleinarbeit eine umfassende Familienchronik erstellen,in der er seine Vorfahren bis in den 30-jährigen Krieg um 1632 ausfindig machte.
Der Leser dieser Chronik - ich besitze nur eine Abschrift, das Original raubten 1945 die Tschechen - kann sich einer tiefen Ergriffenheit nicht entziehen, wenn er liest, wie für ihn der plötzliche Tod seines Vaters der Anlass dafür war, dass er nach dem Abi sein beabsichtigtes Medizinstudium mit der Theologie vertauschte. Denn es erschütterte ihn tief, dass die Ärzte der Erkrankung seines Vaters in der Lebensmitte (im Alter von 55 Jahren) hilflos gegenüberstanden.
Seine Eltern waren für ihn der Inbegriff dessen, was man Heimat nennt. Heimat im Sinn von Geborgenheit, Umhegtsein, und Vertrautsein, auch wenn er von Kindesbeinen an in den Ferien auf dem elterlichen Bauernhof hart mitarbeitete.
Heimat war ihm dann als junger Priester auch Bad Groß-Ullersdorf im Altvatergebirge, wo er mit ganzer Tatkraft als Pfarrer für seine ihm anvertrauten Gläubigen wirkte. Umso schmerzlicher war es für ihn, als er seine geliebte Pfarrgemeinde mit allen Bewohnern durch die Vertreibung nach dem 2. Weltkrieg verlassen musste.
Noch schlimmer war es aber für ihn, dass seine Pfarrkinder in alle Winde zerstreut wurden. Sie waren ihm gleichsam als seine „Erstlingskinder“,  so ans Herz gewachsen, dass er auch nach der Vertreibung den Kontakt mit ihnen halten wollte. Daher sammelte er die Anschriften der auf fast 1000 Orte im In-und Ausland verstreuten „Schäflein“ seiner Heimatpfarrgemeinde. Er stellte ein Adressbuch zusammen und korrespondierte mit fast allen Familien.
Weit über 100 000 Pfarrbriefe zu je 16 Druckseiten verschickte er von Schotten aus an seine heimatvertriebenen Pfarrkinder.  Zudem hielt er alle zwei Jahre ein Pfarrtreffen ab, an dem sich jedes Mal 600-800 Frauen und Männer aus der ganzen Bundesrepublik, aus Österreich und Frankreich beteiligten.
Das legt Zeugnis ab von seinem unermüdlichen Einsatz für seine ehemaligen Ullersdorfer Pfarrkinder. Auch die regelmäßigen Ullersdorfer Heimattreffen waren von seinem Geist geprägt. Das alles geschah neben dem Aufbau der neuen Pfarrei in Schotten und dem Neubau der Herz- Jesu- Kirche.
Aber man würde ihm Unrecht tun, würde man meinen, er sei durch die Verwurzelung mit seinen Vorfahren und die Verbindungen mit seiner ersten Pfarrgemeinde ein ewig Gestriger geblieben. Diese Bindungen waren Ausdruck seiner inneren Treue, aus der er die Kraft zu einem tatenerfüllten Neuanfang hier im Vogelsberg, in Schotten, schöpfte.
Bereits 1946 wurde er vom Mainzer Bischof Dr.Stohr mit der Gründung einer neuen Pfarrei in Schotten beauftragt. Ein schwerer Anfang ohne Kirche, ohne Pfarrhaus, ohne Geld.
Als Rucksackpriester zog er mit einem ausgeliehenen Fahrrad bergauf, bergab, um 2 000 Heimatvertriebene in 14 Gemeinden seelisch und caritativ zu betreuen, um ihnen so eine neue religiöse Heimat zu geben. Die Gläubigen waren kunterbunt zusammengewürfelt: aus Ostpreußen, dem Sudetenland, aus Ungarn und Rumänien.
Sein Weitblick erkannte früh, dass es nicht genügt, den heimatlosen Menschen lediglich ein Dach über dem Kopf zu verschaffen. Nein, zu einem erfüllten Leben gehört auch eine geistige Heimat, eine religiöse Gemeinschaft, die ihren sichtbaren Mittelpunkt in einem Gotteshaus haben muss. So ging er bald nach der Währungsreform daran, für die zusammen gewürfelte kath. Pfarrgemeinde in Schotten im Wege der Selbsthilfe ein Gotteshaus zu bauen.
Denn eine Pfarrgemeinde ohne eigene Kirche ist wie eine Familie ohne Wohnung, wie ein Körper ohne pulsierendes Herz. Dieses Vorhaben war eine dringende Lebensnotwendigkeit. Aber wie sollte das finanziert werden? Die Gläubigen hatten nichts, der Pfarrer hatte nichts, die Diözese hatte auch nichts.
Daher gründete der Pfarrer einen freiwilligen Bautrupp, der mit fünf bis zwanzig Männern und Frauen tagtäglich zur Stelle war. Auch Jugendliche, ohne Unterschied ihrer Herkunft, ihres Standes und Berufes, fühlten sich als Bauleute Gottes und griffen zum Spaten.
Alle Bauarbeiten, zu denen keine gelernten Fachkenntnisse nötig waren, wurden von den Freiwilligen ausgeführt. Sie lernten voneinander, spornten einander an und wuchsen zu einer Gemeinschaft zusammen. So wurden in 13-monatiger Arbeit etwa 10 000 Arbeitsstunden umsonst geleistet. Das war nun i h r e  Kirche.  Beispiele reißen mit.
Andersgläubige sagten: „ Schaut auf ihren Eifer. Bei uns hätte keiner einen Finger krumm gemacht.“ Die freiwilligen Helfer wurden vom Pfarrer verpflegt und schafften für ein Wurstbrot mit Tee oder Kaffee ihr Tagewerk. Als Dank erhielten sie Kleider, Wäsche und Schuhwerk aus Spenden der Caritas oder aus der Ostpriesterhilfe.
Es gab auch Dank und Anerkennung bei Weihnachts- und Faschingsfeiern, Ausflügen und Ehrungen für die, die die meist geleisteten Arbeitsstunden aufgebracht hatten. Das Arbeitsklima war bestens, Jugendliche trugen mit viel Spaß und guter Laune auch dazu bei. Viele cbm Erde mussten ausgegraben werden. Der Bauherr hatte viele schlaflose Nächte als hohe Baurechnungen der Baufirmen ankamen.
Auf Drängen konnte Dr ,Schindler das Bistum Mainz dazu bewegen, doch einen winzigen Zuschuss zum Kirchenbau zu geben. Der Pfarrer scheute keine Schwierigkeiten, wenn es um „seine Kirche“ ging.
Daher entschloss sich Dr. Schindler, 50 000 Bettelbriefe zu verschicken und zog dann selbst aus, Werbepredigten zu halten: In der Kölner Diözese, am Rhein und in Bayern, wo immer ihn ein Pfarrer auf die Kanzel ließ. Um die Finanzlücke ein wenig zu schließen, kamen in mühevoller Weise, durch Werbebriefe und Veranstaltungen sowie Sammelaktionen  insgesamt über 200 000 DM  für den Kirchenbau zusammen. 
So konnte am 4.August 1951 die Grundsteinlegung der Kirche erfolgen.
Mitten im Kirchenbau kam der Mainzer Weihbischof und bot ihm eine Pfarrei mit drei Kaplänen an. Aber er wollte die Pfarrgemeinde während der Aufbauarbeit nicht im Stich lassen. Daher lehnte er ab.
Neben allen äußeren Aktivitäten durfte natürlich die Seelsorge nicht vernachlässigt werden. Die primäre Aufgabe des Priesters ist ja die regelmäßige Feier der Gottesdienste am Pfarrort.
Davon lebt die Gemeinde, und das ist der schönste Inhalt des priesterlichen Dienstes. Über 30 Jahre hat er in den Predigten das Wort Gottes verkündet und die christliche Botschaft für das praktische Leben der Gläubigen nutzbar zu machen versucht. So ist sicher mancher gute Samen auf fruchtbaren Boden gefallen und wird weiterleben.
Im Religionsunterricht hat er den Kindern die Ehrfurcht vor Gott beizubringen versucht. In den Sakramenten durfte er die Erlösungsgnaden Christi weitergeben. Er hat viele Kranke besucht und getröstet und hat den Toten den letzten Dienst erwiesen.
Durch seine Offenheit und Leutseligkeit hat er nicht nur unter den Katholiken Freunde gewonnen.
Er war bei allen beliebt und anerkannt. Auch mit seinen evangelischen Amtsbrüdern stand er in gutem Einvernehmen. Von „Ökumene“ wurde nicht viel geredet, sie wurde gelebt.
So konnte am 6.Juli 1952 das erbaute Gotteshaus durch den Bischof von Mainz feierlich konsekriert werden.
In verhältnismäßig kurzer Zeit wurde dann die Orgel gebaut und die gesamte Inneneinrichtung der Kirche angeschafft. 1964 ging Dr. Schindler daran, einen Glockenturm zu bauen. Vier große Glocken laden die Gläubigen zum Gottesdienst ein. So bilden heute die evangelische Liebfrauenkirche und die katholische Christuskirche die beiden Brennpunkte im Stadtbild von Schotten.
Die Türme beider Gotteshäuser grüßen einander in harmonischer Eintracht, wie auch der Ton der Glocken beider Türme aufeinander abgestimmt ist. Im Glockenturm ist auch die Taufkapelle untergebracht.1965 erfolgte der Einbau einer Ölheizung für die ganze Kirche.
Durch den Turmbau war das Kirchengebäude stark beeinträchtigt worden, so dass 1965 eine Kirchenrenovierung durchgeführt werden musste. Da ist es nicht verwunderlich, dass es bei diesen Baumaßnahmen viel Ärger gab, z.B. wenn schlechtes Baumaterial geliefert wurde oder Handwerker vereinbarte Termine nicht einhielten oder sorgfältiges Arbeiten vermisst wurde. So wurde der Bauherr des Öfteren zum Bauknecht.
Gleichzeitig zu den Baumaßnahmen musste auch der seelsorgliche Aufbau der jungen Pfarrgemeinschaft erfolgen. Pfarrer Dr.Schindler gründete Jugendgruppen, einen Kirchenchor, ein Frauenapostolat, die Ortscaritas, die Pfarrbücherei mit 1200 Bänden.
Im ersten Jahrzehnt seines Wirkens in Schotten hielt er jedes zweite Jahr eine 4-6-wöchige Kapellenwagenmission ab und im Sommer jeden Jahres eine Gelöbniswallfahrt für die katholischen Heimatvertriebenen des Vogelsberges, um damit auch die alte Tradition des einstmaligen Wallfahrtsortes Schotten fortzuführen.
Schon 1959 hatte er die Leitung des Dekanats Büdingen übernehmen müssen.
1963 wurde ihm die Auszeichnung „Geistlicher Rat“ aufgrund seiner Verdienste verliehen.
Trotz gesundheitlicher Überforderung schaffte er unermüdlich und gewissenhaft, ohne sich zu erholen und sich Urlaub zu gönnen. Wer selbst gebaut hat, weiß, wie viel Zeit und Mühe, wie viel Nerven und Aufregung es kostet, neben der laufenden Berufsarbeit die Planungen, die Verhandlungen, Fahrten, Angebote, Schriftlichkeiten, Überlegungen, Bauaufsicht und die Sorgen mit der Finanzierung zu tragen und durchzustehen, erst recht, wenn es sich um ein so großes Bauvorhaben handelt und man noch dazu weithin auf Sammlungen und Spenden angewiesen ist. Die vielen Aufregungen zehrten an seiner Gesundheit.
Das alles schlug auf den Magen und ging an die Nerven. So bekam er Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre, Gallenbeschwerden Tag und Nacht, Er lag über zwei Monate im Krankenhaus in Gießen.
Auch erlitt er einen Schlaganfall. Ich weiß noch, wie er sagte: „Durch den Kirchenbau bin ich steinreich geworden, reich an vielen Gallensteinen“.
Glücklich war er, als er beim Abschied von Schotten 1977 die Kirche und Pfarrei schuldenfrei an seinen Nachfolger übergeben konnte.
Zusammenfassend möchte ich sagen, dass folgende Eigenschaften für ihn charakteristisch waren:
  1. Eine unerschütterliche Tatkraft:
    Unter größten Schwierigkeiten hat er die Seelsorgsstelle in Schotten gegründet und den Bau der Herz–Jesu–Kirche  durchgeführt.
  1. Seine Standfestigkeit:
    Allen Hindernissen zum Trotz und der vielen Enttäuschungen hat er dieses Lebenswerk vollendet. 
  1. Seine Ausstrahlung: sein Charisma.
    In seinen persönlichen Begegnungen spürte man seine Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit, die aus seinem Herzen kamen und jeden beeindruckten..    
  1. Seine tiefe Glaubensüberzeugung:
    Aus seinen Worten und Ansprachen spürte man seine tief gelebte Religiosität, aus der er seine Schaffenskraft schöpfte. 
Das brachte ihm übergroße  Wertschätzung von allen Seiten ein.
Die Seelsorge ist heutzutage eine schwere Sorge geworden. Die Welt wird immer gottentfernter und das Wort Gottes kommt immer schwerer an. Wissenschaft und Technik haben große Fortschritte gemacht, und viele Menschen neigen dazu, alles sei machbar und bedürfe eines Gottes nicht mehr. Diese Menschen vergessen, dass wir an menschliche Grenzen stoßen, dass der Fortschritt die Menschen wie nie zuvor bedroht: Umweltverschmutzung, Klimawandel, neue Zivilisationskrankheiten und jetzt noch die Corona-Pandemie.
Das Wort Gottes wird weithin erstickt unter dem Wohlstand. Viele Zeitgenossen sind mit der Nachkriegsnot leichter fertig geworden als mit dem Wohlstand von heute. Viele leben nur noch im Vordergründigen. Die zahllosen Angebote des Materiellen verstellen den Menschen die Wertewelt des Geistigen, des Göttlichen. Die Sorge um die Seele wird in ihren Tages.- und Lebenslauf nicht mehr eingeplant. Auch für unsere Zeit gilt das Herrenwort: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber Schaden an seiner Seele leidet“.
Die Welt braucht nicht nur Techniker und Informatiker, Industriekapitäne und Bürokraten.
Sie braucht auch Priester, damit die Seelen nicht verhungern und verdursten. Auch heute wird nach dem Sinn des Lebens gefragt. Der Mensch ist von Natur aus auf Gott angelegt. Wo man die Brücke zu Gott abbricht, wird der Mensch in seinem Innersten verletzt.
Auch die Kirche ist in einem Entwicklungsprozess als Reaktion auf die gesellschaftlichen Wandlungen. Gott kann schnell andere Wege einschlagen und auf krummen Zeilen gerade schreiben. Was auch kommen mag: Eine christliche Gemeinschaft braucht Priester bzw. pastorale Leitfiguren.
Drei Jahrzehnte wirkte Pfr. Dr. Schindler in Schotten: Äußerlich ist manches zu sehen: Die Kirche mit dem Kirchturm, das Pfarrhaus, das Jugendheim und die Pfarrbücherei.
Wenn man nach den geistigen Früchten fragt, so sind diese freilich statistisch nicht zählbar und erfassbar. Die Reichsgottesarbeit entwickelt sich nach anderen Gesetzen als in Politik und Wirtschaft, in Handel und Verkehr. Die eigentlichen Früchte reifen oft erst hinter dem Grab! Dr. Schindler hat Gott selbst und seinen Mitmenschen gedient, so gut er konnte.
Er hat seine Gesundheit nicht geschont und sich kaum Zeit zur Erholung gegönnt.
Einmal sagte er in Anlehnung an Joh.17,4:“Vater, ich habe dich verherrlicht auf Erden, indem ich das Werk vollbrachte, das du mir aufgetragen hast.“
In seiner Abschiedsansprache in Schotten vom 18.Sept. 1977 formulierte er es so: „Ich habe meinen Beruf immer als einen Gottesdienst betrachtet“ und fügte hinzu: „Vergesst an diesem altehrwürdigen marianischen Wallfahrtsort nicht die Verehrung Marias, ihr strahlendes Leitbild und ihre Mahnung, die sie am Tag der Hochzeit zu Kana ausgab“: Sie sagte:
„Alles, was er  (Christus) euch sagt, das tut.“ Dann wird Christus wie in Kana auch hier und heute die Wunder seiner Barmherzigkeit tun und das Licht des Glaubens in der Zukunft nicht verlöschen lassen.   
Wollen wir ihm nicht nur ein ehrendes Andenken bewahren, sondern auch das Erbe in seinem Geiste, in Verbundenheit mit all denen, die uns Heimat bedeuten, und in einem tiefen Gottvertrauen weiterführen.
Von diesem Geist zeugt auch sein geistliches Testament, das ich Ihnen in Auszügen als sein Vermächtnis auf den Weg mitgeben will:
„Ich will im kath. Glauben und in der Liebe Christi sterben, dem ich mein ganzes Leben geweiht und nach besten Kräften gedient habe. Ich danke dem Allgütigen für meine guten Eltern, für das Glück einer christlichen Erziehung, für die gnadenhafte Berufung zum Priestertum und für alle gütigen Gaben, die ich trotz meiner Unwürdigkeit aus seiner Vaterhand empfing...
Allen, die mir gut waren und helfend meinen Weg begleiteten, danke ich mit einem ganz herzlichen Vergelt`s Gott. Sie und alle meine Pfarrkinder ersuche ich inständig um ihre Fürbitte im Gebet und beim hl. Messopfer . Das wäre ihre vornehmste und wertvollste Abschiedsgabe! Dem Rufe des Herrn in die Ewigkeit folgend, hoffe ich zuversichtlich, alle meine Lieben wieder zu finden, die mir im Zeichen des Glaubens vorangegangen sind oder nachfolgen werden!...“
Pfarrer Dr. Schindler hat weitergegeben, was er empfangen hat, und wir haben die Verpflichtung, sein Erbe in diesen schwierigen und bedrohten Zeiten der Pandemie weiterzugeben, damit auch künftige Generationen an diesem religiösen Geist Anteil haben können.
Ich bin fest davon überzeugt, dass sein Geist auch heute hier unter uns, unter den Wallfahrern, unter Euch Allen weilt. Lassen wir uns von dieser edlen Gesinnung meines Onkels immer wieder aufs neue inspirieren und beleben.
Tragen wir dieses sein geistiges und geistliches Erbe weiter.
Ich bin voller Freude und Zuversicht, dass mein Onkel keinen besseren Nachfolger im Amt als Herrn Pfarrer Christoph Hinke hätte finden können.   
Aus ganzem Herzen danke ich den Anwesenden und Herrn Pfarrer Christoph Hinke, die Ihr zu dem Wallfahrtsjubiläum gekommen seid.
Viel Segen und reichliche Gnade strahle in Euer Leben hinein.
 
Dr. Hans Schindler,
Neffe vom Geistlichen Rat, Pfarrer Dr. Adolf Schindler