Niedergeschrieben von Berthold Höra 2003 zum 50 Jährigen Jubiläum
1. Vorgeschichte
1951–1952 erbauten vertriebene deutsche Landsleute aus den Ostgebieten (Pommern, Schlesien, Polen, Sudetenland, Rumänien,Ungarn und Jugoslawien), unter ihnen viele Speierlinger aus dem Egerland in Westböhmen,in der Diaspora in Okarben, Pfarrei Kloppenheim, ein Gotteshaus. Diese Vertriebenen waren mehrheitlich Katholiken und wollten auch in ihrer neuen Heimat, in die es sie verschlagen hatte, den Frieden mit Gott wieder finden.
Die Bürger der Gemeinde Okarben bekannten sich nach der Reformation mehrheitlich zum evangelischen Glauben. Nur eine kleine Minderheit, die zum Teil auch zugezogen waren, waren katholische Christen. Sie lebten in der Diaspora und wurden von der Pfarrei Kloppenheim betreut, wo sie auch den sonntäglichen Gottesdienst besuchten.
2. Der Wunsch entwickelt sich
Nach dem 2. Weltkrieg wurden von den Siegermächten die Grenzen in Europa neu gezogen. 15 Millionen Menschen wurden aus ihrer angestammten Heimat vertrieben und in das Mutterland Deutschland, von dem sie einst vor mehr als 1000 Jahren die Ostgebiete besiedelten, von ihrem Hab und Gut verjagt. Darunter auch 3,5 Millionen Sudetendeutsche.
Viele von ihnen wurden in der Diaspora, also unter anders Gläubigen angesiedelt. Nach Okarben hat es 37 Personen aus Speierling, Kreis Tachau im Egerland, verschlagen. Erst nach der Währungsreform im Jahre 1948, als die Wirtschaft wieder anfing zu pulsieren, konnten die meisten von ihnen in der nahe gelegenen Stadt Frankfurt wieder Arbeit finden.Die finanziellen Mittel waren damals noch sehr knapp. Die Flüchtlinge, wie man sie damals nannte, wohnten noch sehr beengt bei den Gastfamilien, die sie nach der Vertreibung aufgenommen haben.
In den folgenden Jahren wurden von der Nassauischen Siedlungsgesellschaft Nebenerwerbssiedlungen erbaut. Auch die Gemeinde Okarben stellte Baugrund zur Verfügung. Es bestand für viele reges Interesse sich wieder ein eigenes Heim zu schaffen.
Die mehr als 300 Vertriebenen, vorwiegend katholischen Glaubens, die von der Gemeinde aufgenommen werden mussten, fanden am Ort weder Kirche noch eine geistliche Betreuung vor. Nordhessen war seit der Reformation evangelisch. Die Flüchtlinge wurden von der katholischen Pfarrei Kloppenheim, einer kleinen Nachbargemeinde, die in einem kleinen Saal ihre Gottesdienste feierte, aufgenommen und notdürftig religiös versorgt. Vielen alte Menschen, gezeichnet von den Demütigungen der Vertreibung, die versuchten die Nähe Gottes wieder zu finden, war der Weg nach Kloppenheim zu beschwerlich, um den sonntäglichen Gottesdienst zu besuchen. Fahrmöglichkeiten gab es zu dieser Zeit nur wenig. So kam Pfarrer Schwab alle vier Wochen nach Okarben und hielt in der Schule eine heilige Messe. Der evangelische Pfarrer Stritter, der gebeten wurde, die evangelische Kirche einmal im Monat den Katholiken für eine heilige Messe zur Verfügung zu stellen, lehnte dies grundsätzlich ab. Herr Nabitz, der Schulleiter der Volksschule Okarben, stellte einen Klassenraum für den Gottesdienst bereit. Schon zum Ostergottesdienst stand ein Harmonium zur Verfügung. So waren die ersten Hürden genommen. Mit eifriger Mithilfe der Gestrandeten kam wieder Leben in die christliche Gemeinschaft. Trost und Hilfe wollten sie bei Gott finden, um die erniedrigenden Erfahrungen die sie erleiden mussten, zu vergessen.
Wie heißt es so schön in der deutschen Messe von Franz Schubert, die zum Eingang gesungen wird: „Wohin soll ich mich wenden, wenn Gram und Schmerz mich drücken; .... zu dir, zu dir, oh Vater, komm´ ich in Freud´ und Leiden......“.
Von Königsstein im Taunus kam Prof. Dr. Leo Scheffczyk, ein Freund der katholischen Gemeinde, der aus Beuthen in Oberschlesien stammte und hielt zusätzliche Gottesdienste. Pater Barton von der Kapellenwagenmission in Königsstein, predigte zu Einkehrtagen. Die Christen in der Diaspora rückten immer näher zusammen und der Gedanke, selbst ein eigenes Gotteshaus zu haben, nahm immer festere Formen an. Am ersten Adventsonntag, dem 3. Dezember 1950 wurde bei einer Adventsfeier, wo neben Pfarrer Schwab, auch Pfarrer Kranz aus Friedrichsdorf und Kaplan Kiefer aus Königsstein zugegen waren, zum ersten mal öffentlich zum Bau eines neuen Gotteshauses aufgerufen und Geld dafür gesammelt.
Eine Gemeinde ohne Kirche ist wie eine Familie ohne Wohnung. Die heimatvertriebenen Katholiken, die durch Vertreibung und Entrechtung einen Zuspruch Gottes dringend brauchten, um wieder Halt zu finden, drängten zum Bau eines neuen Gotteshauses.
Eine wichtige Stütze für die katholische Seelsorge in Okarben wurde der Hofgutbesitzer Richard Wendel und seine Frau Ilse, geb. Bernbeck, die Tochter eines evangelischen Pfarrers. In der Familie Wendel wohnte auch die Konvertitin Käthe Claasen, Heimatvertriebene aus Pommern. Auch sie hatte sich sehr für die Belange der Gestrandeten und vor allem für den Kirchenbau eingesetzt. Sie schrieb Bittbriefe und erledigte den ganzen Schriftverkehr. Die Familie Wendel stellte auch am unterem Ende des Dorfes kostenlos den Baugrund für einen Kirchenneubau zur Verfügung.
Am Fest Maria Geburt, den 8. September 1951, wurde im Beisein von Pfarrer Schwab, Pfarrer Kranz und Architekt Müller aus Bad Homburg der 1. Spatenstich gemacht. Schon am 16. September 1951 wurde durch H.H. Domkapitular Schwalbach von Mainz und Dekan Winkler aus Oppershofen-Bad Nauheim die feierliche Grundsteinlegung vorgenommen.
In der Gartenhütte bei Wendels feierte man die heilige Messe. Anschließend erfolgte die Prozession zur Baustelle. Bei sonnigem Wetter waren neun Geistliche Herren und viele Gläubige aus nah und fern zur Grundsteinlegung gekommen. Es sollte eine Muttergotteskapelle werden.
Aus den Annalen kann man über die religiöse Entwicklung in Okarben nachstehendes entnehmen:
Schon seit dem Jahre 1295 bestand in Okarben eine kleine Kapelle, die auf Bitten der Einwohner von der Mutterkirche Petterweil losgetrennt wurde. So entwickelte sich eine eigene Pfarrei mit täglichen Gottesdiensten.In der Zeit der Reformation 1555 – 1564 wurde die Gemeinde evangelisch. Die alte Pfarrkirche wurde 1708 abgebrochen. Um 1710 wurde die jetzige evangelische Kirche gebaut.
In der Deutschordens-Niederlassung in Kloppenheim befindet sich seit 1714 eine Kapelle, die dem heiligen Johannes Nepomuk geweiht wurde. Hier konnten die Katholiken von Kloppenheim und Umgebung den Gottesdienst besuchen. Sie waren der Pfarrei Bad Vilbel zugeordnet. Erst nach dem 2. Weltkrieg, der die Vertreibung der Ostdeutschen zur Folge hatte, wurde Kloppenheim 1967* eine eigene Pfarrei mit den Filialkirchen in Groß- und Kleinkarben und Okarben.
Die Muttergottes wurde schon seit dem 13. Jahrhundert in der Wetterau von den Menschen verehrt. Wahrscheinlich stand schon im frühen Mittelalter auf dem „Alten Berg“ eine Kapelle mit einem erhabenen Muttergottesbild. Darauf deuten die „Heiligen Häuser“ hin, aber auch die in der nördlichen Wetterau verbreitete Redensart: „Wann Gott will ern die laib Frau von Okarwe“ (Wenn Gott will und die liebe Frau von Okarben), wird unser Vorhaben oder unser Wunsch in Erfüllung gehen.
Durch einen längeren Metallarbeiterstreik waren täglich viele Arbeiter und Helfer auf der Baustelle. Die Firma Stumpf aus Frankfurt stellte zwei bei ihr tätigen Maurer aus Okarben, nämlich den Polier Anton Heller und den Maurer Sieber, für den Kirchenbau frei. Die günstige Herbstwitterung und viele freiwillige Helfer beschleunigte den Fortgang der Baumaßnahmen, so dass schon bald das Richtfest gefeiert werden konnte.
Dem christlichen Leitspruch gemäß: „Bete und arbeite“, wurde an jedem Donnerstagabend bei Wendels ein Rosenkranz gebetet. Polier Heller war der Vorbeter. In einem Brief an Bischof Dr. Albert Stohr vom 1.12.1951 konnte berichtet werden, dass das Dach schon eingedeckt wird.
Nun galt es fromme Menschen zu aktivieren, die ihren Stand und ihre Persönlichkeit einbrachten, Geldspenden für die zügige Fortführung des Bauwerks zu bekommen. Auch Sachspenden waren gefragt. Pfarrer Adolf Kranz stellte sich mit sehr viel Eifer und Geschick für diesen Zweck zur Verfügung . Er predigte an vielen Orten im Umkreis von Frankfurt und brachte immer wieder Geld bei. Bis zur Einweihung am 25. Mai 1952 kostete der Bau DM 25000.—
In einem feierlichen Gottesdienst wurde die Kirche schon nach 9 Monaten Bauzeit von Bischof Dr. Albert Stohr geweiht. Dies war nach 400 Jahren die erste Kirchenkonsekration in der Wetterau.
Für die innere geistliche Vorbereitung in der Gemeinde sorgte zu forderst Pfarrer Adolf Kranz. Neben reichlichen Beichtgelegenheiten und in persönlichen Gesprächen bereitete er die Gläubigen auf dieses große Fest vor.
Der Rohbau wurde mit Blumen und Girlanden, Birken, Transparenten und Fahnen geschmückt. Der H.H. Bischof freute sich bei seinem Eintreffen über das äußere Umfeld der bevorstehenden Festlichkeiten. Beglückt waren vor allem die Heimatvertriebenen, die nach dem schmerzhaften Verlust der Heimat und ihrer schönen Kirchen wieder ein bescheidenes, aber eigenes Gotteshaus bekamen. Besonders freuten sie sich darüber, dass es eine Marienkirche war, da sie fast immer bei der schmerzhaften Muttergottes an vielen Wallfahrtsorten ihrer verlorenen Heimat Trost und Hilfe suchten und fanden.
H.H.Bischof Dr. Stohr würdigte in seiner Ansprache beim Weiheamt den Eifer und die Zielstrebigkeit der Christen, woraus das Gotteshaus gewachsen ist. Glaube, Hoffnung und Liebe, die wichtigen christlichen Tugenden sollten wieder gestärkt werden.
Die Worte der Mahnung: „ Möge diese Liebe nie erkalten, möge Gleichgültigkeit hier nie Fuß fassen, aber Dankbarkeit und Treue allzeit lebendig bleiben“ .
Die Dankandacht am Nachmittag hielt Pfarrer Kranz, der so unendlich viele Bausteine zum Gelingen des Werks beigetragen hat. Aus seiner Ansprache war zu entnehmen: „ Wie soll ich dem Herrn danken für alles, was er uns Gutes getan ! Der Mutter Gottes ist die Kirche geweiht. Möge auch sie die großen und kleinen Opfer segnen, die Spenden und die Hilfeleistungen, die den Bau ermöglicht haben !“
Die Kirchenglocken wurden durch das erzbischöfliche Ordinariat in Mainz vermittelt. Sie wurden unter dem Begriff Leihglocken oder Patenglocken geführt und stammen aus dem Lager des Glockenfriedhofs in Hamburg. Es waren Glocken aus den verschiedenen Gebieten Deutschlands, die in den letzten Kriegsmonaten zusammengekarrt wurden, um in der Rüstungsindustrie für den „Endsieg“ eingeschmolzen zuwerden. Am 25. Mai 1952 sind 3 Glocken mit der Bahn nach Großkarben angeliefert worden. Sie stammten aus Kirchen jenseits der Oder-Neisse-Linie. Die größte Glocke war 300 kg schwer. Der Architekt Müller und ein Glockenfachmann, namens Werner, aus Windecken entschieden, dass die Statik es nicht zuließ, sie im Turm aufzuhängen. Die katholische Gemeinde Dorn-Assenheim hatte dafür Interesse und bekam sie auch.
Die Glocke Nr. 97 war 126 kg schwer und stammte aus Ober-Pritschen. Leider konnte die Inschrift nicht entziffert werden. Die kleine Glocke, 106 kg schwer, stammte aus Zobten. Sie hat folgende Inschrift: IN.HON. S. : JOSEPHI DER KIRCHE ZU ZOBTEN AM BOBER MDCCXXVIIII (1729) PRÄPOSITO ET PAROCHO.
Eine Benediktion wurde nicht vorgenommen. Bei der Aufhängung im Turm wurden sie nur mit Weihwasser besprengt.
Der Rohbau war fertig. Die Kirche musste noch verputzt werden. Es fehlte noch die Inneneinrichtung. Bänke für 120 Sitzplätze mußten angefertigt werden. Pfarrer Aloys Schwab besorgte Holzleuchter, eine Monstranz mit Kustodie, ein Rauchfass mit Schiffchen und ein Altarkreuz. Seine Schwester hat auch die nötigen Ministrantenröckchen genäht. Zwei Messgewänder und eine Spende von DM 1500.— brachte Pfarrer Adolf Kranz bei. Missale, Kelchwäsche und Ziborium kamen aus Bad Nauheim. Vespermantel und Velum hat Pfarrer Ekkehard Edel, ein Konvertit, der bei Familie Wendel verkehrte, aus Mainz besorgt. Eine Dame aus München stiftete zu Weihnachten eine Krippe. Frau Rinner, ebenfalls eine Konvertitin aus Estland, schenkte der jungen Gemeinde aus ihrer Heimatkirche einen aus russischem Silber getriebenen, vergoldeten Kelch, den sie unter großen Gefahren gerettet hatte. Auch die Familie Wendel, die gute Beziehungen hatte, hat viel zu der Kircheneinrichtung beigetragen und auch manches selbst finanziert.
Hubert Koch fertigte die 12 Apostelleuchter, sowie den Halter für das „Ewige Licht“, an seinem Arbeitsplatz bei der Firma Messer, Griesheim, nach Feierabend an , die auch das dazu benötigte Material zur Verfügung stellte.
Franz Höra fertige das Turmkreuz, sowie die Türbänder in der Hofschmiede von Wendel an. Er baute auch sämtliche Schlösser für die Kirche ein. Auch die Liedertafel, wo die Nummern für die im Gottesdienst gesungenen Lieder eingesteckt wurden, stammt von ihm. Inzwischen wurde sie durch eine elektronische Liedanzeige ersetzt.
Für den Panzertabernakel, der diebes- und feuersicher sein musste, hat die Gemeinde DM 4000.—aufgebracht. Er trägt die Inschrift: „ Wo die Liebe ist, da ist Gott“. Er ist mit Bergkristall verziert und mit einem kleinen Dach versehen, das eine kleine Weltkugel mit einem darauf stehenden Kreuz ziert.
Der Kreuzweg wurde von der Familie Wendel 1962 aus Oberammergau besorgt. Er wurde am 25.3.1962 geweiht.
Die Orgel wurde von dem Orgelbauer Josef Schwarz aus Überlingen am Bodensee gebaut. Pfarrer Heinrich Rolly hat sie vorfinanziert. Am 18.3.1964 wurde sie feierlich geweiht.
Da die Kirche eine Marienkirche ist, hat die Familie Wendel über den linken Seitenaltar ein schönes Marienbild angebracht, das jahrelang eine Zierde des Gotteshauses war. Als Abschluß der Kirchenrenovierung 1978/79, konnte es durch eine Marienstatue, angefertigt von Kurt Faulhaber in Petterweil, ersetzt werden. Das geliehene Bild wurde an Frau Gisela Lischka, geb. Wendel zurück gegeben.