von Johann Kirschbaum
Es ist nicht viel, was man mir nahm:
Ein kleines Haus am Dorfesrand,
ein Feld, auf dem das Korn noch stand,
als jene Stunde kam.Es ist nicht viel, was drüben blieb:
Ein Blumengarten an dem Bach,
ein Pflug, der meine Scholle brach,
von der man mich vertrieb.Es ist nicht viel, was dort zerfällt:
Ein kleines Haus am Dorfesrand,
ein Feld, auf dem das Korn noch stand,
und eine g a n z e W e l t !
Zu den größten Verbrechen in diesem jetzt zu Ende gehenden Jahrhundert gehört auch die Vertreibung der Deutschen aus ihrer angestammten Heimat.
Die sudetendeutsche Volksgruppe, ihrer Zahl nach größer als das norwegische und nahezu so groß wie das dänische und finnische Volk, wurde seit dem 1. Weltkrieg zum Objekt der internationalen Politik gemacht, aber eine Lösung des sudetendeutschen Problems ist nie erzielt worden.
Der Autor des Buches „Geschichte Böhmens 1848-1948", Friedrich Prinz, macht sehr genaue Angaben über die Vertreibung der Sudetendeutschen und das weitere Schicksal dieser Volksgruppe. So sind durch den von Hitler verursachten 2. Weltkrieg 215.000 sudetendeutsche Soldaten gefallen, 230.000 bis 240.000 Personen - oft Frauen und Kinder - dem barbarischen Austreibungsgeschehen zum Opfer gefallen. Allein in Aussig wurden über 2.000 Deutsche ermordet. Der berüchtigte Todesmarsch der Brünner Deutschen forderte ein Vielfaches an Opfern und im Mai 1945 wurde innerhalb weniger Tage das ganze Deutschtum in der Tschechei ausgerottet. Historiker nennen auch dies Völkermord.
Bis zum Potsdamer Abkommen vom 2.8.1945 waren etwa 750.000 Sudetendeutsche unter unsäglichen Begleitumständen nach Deutschland abgeschoben worden. Bis zum Jahresende wurden dann weitere 70.000 vertrieben. 1946 kamen 750.000 Sudetendeutsche mit Transporten in die sowjetische Besatzungszone, 1,2 Millionen wurden in den amerikanisch besetzten Teil Westdeutschlands vertrieben. Eine halbe Million Deutsche wurden als Spezialisten in der Tschechei festgehalten.
Nach Oberhessen in das Notstandsgebiet des Vogelsberges kamen Tausende Vertriebene. Allein der frühere Landkreis Büdingen hatte mehr als 21.000 Vertriebene aufzunehmen.
Die Gemeinden Ranstadt, Ober-Mocksadt, Nieder-Mockstadt, Dauernheim, Bellmuth und Bobenhausen mußten sehr viele Vertriebene aufnehmen. Die einheimische Bevölkerung dieser Gemeinden ist seit der Reformation evangelisch, die Vertriebenen aus dem Sudetenland dagegen sind katholischer Konfession, was viel Toleranz von beiden Seiten erforderte.
Der 1. Transport kam in der Mehrheit aus der größten deutschen Sprachinsel, dem Schönhengstgau, aus den Gemeinden des Landkreises Zwittau. Er kam mit der Bahn in Viehwaggons am Bahnhof in Ranstadt am 27.4.1946 an. Der 2. Transport, ebenfalls Sudetendeutsche, kam aus den Gemeinden des Landkreises Mährisch Schönberg, auch in Viehwaggons verladen am 13.8.1946 in Ranstadt an. Zwischen den beiden Transporten kamen auch einige Familien aus dem Landkreis Mies-Egerland nach Ranstadt und mußten untergebracht werden.
Wir kamen nach mehrtägiger Bahnfahrt bei sommerlicher Hitze in überfüllten Viehwaggons an. Unter uns waren viele alte und kranke Personen und Kinder. Unsere wenige Habe - meistens nur 50 kg pro Person - wurde noch vor dem Abtransport von tschechischen Partisanen genauestens kontrolliert, wobei noch so manches gute Stück weggenommen wurde. Die Waggons waren bis zur deutschen Grenze verschlossen und nur bei längerer Rast auf irgendeinem Güterbahnhof geöffnet worden, wo sie dann meistens noch von einer johlenden tschechischen Menschenmenge mit Steinen beworfen wurden.
Obwohl wir Vertriebenen jetzt frei waren, Mädchen und Frauen sich nicht mehr aus Angst vor Vergewaltigungen verstecken und wir auch keine Armbinde zum Zeichen, Deutsche zu sein, mehr tragen mußten, kamen jetzt Sorgen ganz anderer Art auf uns zu. Die Unterbringung der vielen eingeschüchterten Menschen, die jetzt eine Wohnung und Nahrung brauchten, war ein Problem, das sich nicht auf die Schnelle lösen ließ. In der Gemeinde Ranstadt wurde eine Wohnungskommission gebildet. Jedes Wohnhaus, ob groß oder klein - ohne Unterschied - wurde besichtigt, seine Räume gezählt und nach Art und Beschaffenheit in einer Kartei eingetragen.
Es hat dann Jahre gedauert, bis eine spürbare Lockerung der Wohnungsnot eintrat. In dieser Zeit kamen immer noch einzelne Personen, z.B. Soldaten, als Heimkehrer und suchten ihre Angehörigen. So ergab sich zusätzlich ein beständiger Wohnungstausch, manche zogen in ein anderes Bundesland zu ihren Angehörigen. Auch jene, welche in der Heimat selbst verschleppt wurden oder dort in Bergwerken arbeiten mußten, kamen erst später einzeln nach und brauchten Unterkunft.
Neben einer Wohnung fehlte es auch an den allernötigsten Haushaltsgeräten wie Kochtöpfen, Eßgeschirr u. a. m. , an Möbeln wie Bettgestellen, Tischen und Stühlen, Kleiderschränken und natürlich an Bekleidung. Es fehlte einfach an Allem. Aus dieser Not heraus wurde im Ort des öfteren eine Sammlung bei der Bevölkerung durchgeführt und um brauchbare Sachen gebettelt. Es gab auch nicht immer eine zweite Kochstelle im Haus, so daß die Hausfrau ihren Herd mit der im Hause wohnenden Flüchtlingsfamilie teilen mußte. Oft gab es keine Bäder im Haus, und das WC befand sich in den meisten Fällen draußen im Hofe. Selten war eine Waschküche vorhanden ...
Doch wie soll man einen Zustand, der zunächst ohne Aussicht auf Besserung als unendlich lang anhaltend empfunden wurde, in Worte fassen ?
In jener Zeit waren die Nahrungsmittel, Gebrauchsgegenstände, auch Bekleidung und Schuhe rationiert und nur auf Zuteilung erhältlich.
Verpflegung, besonders für Kinder und alte Menschen, war bei weitem nicht ausreichend, sondern einseitig und führte zu verschiedenen Krankheiten, da ja die Vertriebenen dadurch, daß sie vor der Vertreibung in Lager eingeliefert, zu Zwangsarbeit verurteilt oder gar eingesperrt waren, besonders anfällig waren.
Trotz Bezugsscheinen waren Lebensmittel und auch andere Gebrauchsgegenstände oft nicht erhältlich, weil sie überhaupt nicht vorhanden waren. Direkt vor der Währungsreform wurde die besonders gesuchte Ware in den Geschäften zurückbehalten, um dann nach der Währungsreform in den Genuß der neuen DM zu kommen.
Dem einheimische Bürger ging es etwas besser: Auf dem Land war er Selbstversorger, er hatte Lebensmittel, Eier, Butter oder Fett, Milch und anderes. Wir dagegen konnten für Geld nichts erwerben, die RM war wertlos geworden und Tauschmittel hatten wir ja keine. Mancher Vertriebene hätte leichter leben können, wenn man noch bis zur Währungsreform die alte Mark angenommen hätte.
Die Not vergrößerte sich noch durch die Arbeitslosigkeit der Vertriebenen. Oft wurde schlechtere und schwere Arbeit den Vertriebenen zugewiesen, wie z. B. am Bau den Schutt zu beseitigen oder im Sägewerk und bei der Landwirtschaft oft nur für die Verpflegung zu arbeiten. Der Stundenlohn betrug damals 78 Pfennige - was konnte man dafür schon bekommen ?
Für den Menschen in heutiger Zeit ist das alles nicht mehr vorstellbar und scheint daher der jetzigen Generation nicht glaubwürdig.
Oberhessen war katholische Diaspora.
Eine katholische Pfarrei mit Pfarrer war in Nidda. Sie erstreckte sich auf 71 Gemeinden, darunter auch Ranstadt. In dieser großen Pfarrei wohnten ca. 400 Katholiken unter 35.000 Nichtkatholiken.
Vor dem 2. Weltkrieg zählte Ranstadt 670 Einwohner. Schon in den Kriegsjahren war ein Zuwachs der katholischen Bevölkerung zu verzeichnen. Auch der Bereich Ranstadt hatte dann gegen Kriegsende eine große Zahl von Katholiken zu verzeichnen, so daß der damalige Pfarrer von Nidda, Dr. Hermann Volk, der spätere Bischof von Mainz und Kardinal, einen regelmäßigen vierwöchentlichen Gottesdienst einrichtete. Die evangelische Kirchengemeinde stellte ihre Kirche dazu bereitwilligst zur Verfügung.
Schon im Mai 1946 sah sich der neue Pfarrer von Nidda, Pfr. Georgen genötigt, einen regelmäßigen Gottesdienst alle 14 Tage in Ranstadt einzurichten.
Ankunft des 1. Transportes der Heimatvertriebenen. Sie kamen mit der Bahn aus ihren Heimatgemeinden des Landkreises Zwittau / Sudetenland in Viehwaggons verladen in Ranstadt an (s. Seite 2). Direkt vom Bahnhof wurden sie in den Gemeinden Ranstadt, Ober- und Nieder-Mockstadt, Dauernheim, Bellmuth und Bobenhausen untergebracht. Einige Wochen später kamen noch einige Familien aus dem Egerland, aus den Gemeinden des Landkreises Mies.
Der zweite große Transport brachte Vertriebene aus den Gemeinden des Landkreises Mährisch Schönberg / Sudetenland. Sie fanden ebenfalls in den bereits genannten Gemeinden Unterkunft.
Durch bischöfliches Dekret wird in den Bezirk Ranstadt ein Priester entsandt. Da die jetzt anfallende Arbeit - Gottesdienste im ganzen Bezirk Ranstadt, Unterricht in fünf Schulen in mindestens zwei Gruppen (Unter- und Oberstufe), Jugendgruppen, Krankenbesuche u. a. m. - ein Priester ohne zusätzliche Hilfe nicht mehr schaffen konnte, wird ihm gleichzeitig eine Pfarrhelferin zugeteilt, die aber ihren Wohnsitz in Ober-Mockstadt haben sollte. Da nun der für Ranstadt vorgesehene katholische Priester in der Gemeinde Ranstadt keine Wohnung finden konnte, ging dieser Priester für den Bezirk Ranstadt wieder verloren.
Jetzt erst, fast zwei Jahre später, konnte von seiten der Gemeinde Ranstadt eine Wohnung für einen Priester zur Verfügung gestellt werden. Diese Wohnung befand sich im Obergeschoß des Bauernhofes der Familie Suppes. Sie umfaßte ein Zimmer mit 26 m2 und zwei weitere kleine Räume. Das Zimmer war für den Pfarrer zugleich Arbeits-, Schlaf-, Wohnzimmer und Pfarrbüro. In diesem Raum hielt der Pfarrer die Wochentagsmessen, hörte Beichte, Chorproben wurden abgehalten, er diente als Sitzungszimmer und war noch gleichzeitig Durchgangszimmer für seine kranke Mutter und die Haushälterin. Der Zugang zu dieser Wohnung führte vom Hofe über eine Bodentreppe und war für die Besucher sehr umständlich. Im Zimmer befand sich eine große Kommode, die Pfarrer Schild von seiner Pfarrgemeinde geschenkt bekam. Diese Kommode diente als Altartisch, eine Hausapotheke war der Tabernakel, in dem er die heiligen Hostien aufbewahrte. Auch Bücher, Caritaskasse u.a.m. wurden in diesem Raum aufbewahrt.
Die beiden kleineren Räume dienten als Küche und Schlafraum für die Pfarrmutter und die Haushälterin. In dieser Wohnung verbrachte Pfarrer Schild mit seinen Angehörigen volle fünf Jahre. Wenn man bedenkt, daß der Zugang zur Pfarrerwohnung über eine Bodentreppe führte, das bäuerliche Leben sich tagsüber im Hof abspielte, dann auch noch der Lärm eines Handwerksbetriebes aus dem Hof zu hören war, ist dies für die heutige Zeit nicht mehr vorstellbar !
An diesem Tag um 16 Uhr war die feierliche Amtseinführung des neuen Pfarrers Anton Schild von Spannenberg. Unter reger Anteilnahme der Dorfbevölkerung und großer Beteiligung der Gläubigen aus dem ganzen Bezirk Ranstadt führte Pfarrer Georgen aus Nidda den neuen Pfarrer in sein Amt ein. Die Feierlichkeiten fanden in der Evangelischen Kirche in Ranstadt statt. Anschließend hielt Pfr. Schild den Gottesdienst und seine Antrittspredigt. Bei diesem Gottesdienst wurden 90 Heilige Kommunionen ausgeteilt.
Von jetzt an war jeden Sonntag Gottesdienst. Er fand immer in der Evangelischen Kirche in Ober-Mockstadt, dem Zentrum des Pfarrbezirkes, statt. Gleichzeitig wurde noch an einem anderen Ort der neuen Diasporagemeinde Gottesdienst gehalten.
Der Dienst des Geistlichen überforderte die menschlichen Kräfte: der weite Weg zu den einzelnen Gemeinden - die erste Zeit immer zu Fuß - auf dem Rücken den Rucksack mit der priesterlichen Kleidung und den Geräten für das heilige Meßopfer (als „Rucksackpfarrer"). Erst viel später bekam er ein gebrauchtes Fahrrad, darauf wurde der Koffer geschnallt. Bei schlechtem Wetter trug er einen großen Umhang, dieser schützte den Koffer und Körper, und statt Schuhen hatte er Knobelbecher, worin dann seine Hose steckte, um sich so vor Kälte und Regen zu schützen. Hinzu kam dann auch noch der Schulunterricht in den Schulen der einzelnen Gemeinden.
A
24.4. 1949
Erstkommunionfeier für die Kinder von Ranstadt und Dauernheim. Ein neues Altartuch, genäht von Frauen aus Ober-Mockstadt, wird der Kirchengemeinde übergeben.
15.5. 1949
Firmung mit Gottesdienst in Ober-Mockstadt durch Bischof Albert Stohr, Mainz.
16.5. 1949
Fronleichnamsprozession in Nidda. Geschlossene Teilnahme der Gläubigen des Pfarrbezirks Ranstadt mit Pfarrer Schild.
3.7.1949
Pfarrer Schild begeht sein 25 jähriges Priesterjubiläum. Lehrer, Schulkinder, der Bürgermeister der Gemeinde Ranstadt, Vertreter der Vertriebenen und eine große Zahl der Ortsbevölkerung überbringen Glückwünsche.
Die kirchliche Feier ist dann um 10 Uhr in der Evangelischen Kirche in Ober-Mockstadt mit Predigt von Dr. August Reimann, ehemaliger Provinzial der Redemtoristen in Karlsbad als Levitenamt. Der Kirchenchor von Mörlenbach im Odenwald (frühere Dienststelle von Pfarrer Schild) wirkte mit.
16.6.1950
Erste Fronleichnamsprozession unserer Pfarrgemeinde in Ober-Mockstadt. Die Prozession führte durch eine reich geschmückte Straße zu den vier Altären. Blumenteppiche mit religiösen Motiven waren vor den Altären ausgelegt, die auch in evangelischen Höfen aufgebaut werden durften - ein schönes Zeichen beginnender Ökumene.
12.10.1950
Pater Werenfrieds Omnibus mit der fahrenden Kirche ist in Ranstadt eingetroffen. Die fahrende Kirche wird am Verladeplatz am Bahnhof Ranstadt abgestellt. Er bleibt einige Tage, an denen täglich Werktagsgottesdienst stattfindet. Vor der Abfahrt der fahrenden Kirche werden noch „Liebesgaben" ( Lebensmittel) an Gläubige verteilt.
1.2.1951
Diözesanflüchtlingsseelsorger Dr. Reis, Offenbach, hält in Ranstadt Gottesdienst und Predigt.
15.7.1951
Sterbetag der Pfarrmutter. Sie wird in Ranstadt beerdigt.
18.8.1951
Ein Kapellenwagen der Ostpriesterhilfe Königstein wird einige Monate zur Verfügung gestellt. Er wird auf dem Zimmerplatz am Oberried Ranstadt mit Genehmigung der Gemeinde abgestellt.
11.11.1951
Einjähriges Bestehen unserer eigenen Pfarrbibliothek. Bestand etwa 125 Bücher.
15.6.1952
Fronleichnamsprozession in Ober-Mockstadt - wieder mit vier Altären.
8.7.1952
Firmungsgottesdienst und Firmung in Ober-Mockstadt durch Bischof Albert Stöhr, Mainz.
6.4.1953
Einführung der Mainzer Gesangbücher.
26.4.1953
Erstkommunion in Ober-Mockstadt
7.6.1953
Fronleichnamsprozession in Ober-Mockstadt
23.4.1954
Kapellenwagen in Dauernheim (bis 27.4.)
12.6.1954
Fronleichnamsprozession, diesmal ohne Blumenteppiche.
Dem Pfarrer wird die Wohnung gekündigt. Diesmal war eine neue Wohnung leichter zu finden. Sie befand sich in einem Neubau der Eheleute Ruppel in der Pfortgartenstraße und war geräumiger und günstiger. Auch in dieser Wohnung spielte sich der gesamte Pfarrbetrieb ab.
5.12.1955
Abermalige Kündigung der Wohnung. Die Gefahr, den Priester für Ranstadt zu verlieren war sehr groß. Der Kirchenstiftungsrat trat zusammen, um zu beraten, wobei der Beschluß zum Bau einer eigenen Kirche mit Wohnraum für den Pfarrer gefaßt wurde. Gleichzeitig wird auch noch ein Bauausschuß für den geplanten Kirchenneubau gebildet.
6.12.1955
Der Bürgermeister von Ranstadt wird von dem Bauvorhaben unterrichtet, gleichzeitig wird ein Ansuchen um ein geeignetes Baugrundstück gestellt.
8.12.1955
Domkapitular Moser wird ebenfalls davon in Kenntnis gesetzt. In kurzer Zeit gibt dieser seine Zustimmung.
21.12.1955
Direktor Weißbäcker wird auch in Kenntnis gesetzt. Er gibt ebenfalls seine Zustimmung.
27.1.1956
In einer leidenschaftlichen Aussprache in der Gemeinderatssitzung wurde schließlich der kath. Kirchengemeinde ein Baugrundstück zugesprochen. Gleichzeitig wird der Bürgermeister aufgefordert, die erforderlichen Schritte einzuleiten.
5.2.1956
Bei Verhandlungen mit dem Kulturamt und dem Bürgermeister wurden das vorgesehene Baugrundstück für nicht geeignet angesehen und abgelehnt. Nach einer nochmaligen Aussprache zwischen Kirchenvorstand und Bürgermeister wird ein Grundstück an der Laisbachstraße vom Bürgermeister ins Gespräch gebracht. Der Kirchenvorstand nimmt diesen Vorschlag an.
13.2.1956
Es erfolgt auch die Zustimmung der Gemeindevertretung.
Das Grundstück besteht aus zwei Bauparzellen. Es hat eine Größe von 1.162 m2 und kann für 1 DM /m2 erworben werden. Der Kirchenstiftungsrat bestimmt den Architekten Bilek, Offenbach, der in Mainz für Kirchenbauten bekannt ist.
Bereits im März wird mit einer Sammelaktion begonnen. Dabei wurde ein Betrag von DM 920.- erzielt. Alle Gläubigen beteiligen sich dann weiter mit freiwilligen Spenden, um so einen sicheren einzuplanenden Geldbetrag zu erzielen. Die Sammelaktion wurden dann durch viele Jahre hindurch fortgesetzt.
21.5.1956
Kirchenvorstand und Bauausschuß genehmigen den Planungsentwurf für das zu errichtenden Gotteshaus. Vorgesehen ist der Kirchenraum im Obergeschoß, im Erdgeschoß das Pfarrbüro und die Pfarrerwohnung, im Kellergeschoß ein Jugendraum. Der Kostenüberschlag für das gesamte Bauvorhaben beträgt 106.000 DM.
Davon in Selbsthilfe 3.000 DM
Sammlungen der Pfarrei 10.000 DM
„Bettelbriefaktion" (wurde später verboten) 7.000 DM
Darlehen von Mainz 25.000 DM
Zuschuß von Mainz 36.000 DM
Spende des Bonifatiusvereins 25.000 DM
Weitere Spenden des Bonifatiusvereins: der Tabernakel, ein weißes Meßgewand und sechs Holzleuchter.
4.8.1956
Der Bonifatiusverein überweist bereits den Betrag von DM 25.000
1.9.1956
Auf der Baustelle werden die Vermessungen vorgenommen.
2.9.1956
Samstag, den 2. September, um 18 Uhr erfolgt der erste Spatenstich. Aus diesem Anlaß versammelte sich viele Menschen. Als Ehrengäste begrüßte Pfarrer Schild
Pfarrer Rawitzer, Echzell Kaplan Rosenkranz, Nidda
Bürgermeister Engel, Ranstadt Architekt Bilek
Baufirma Lupp, Nidda kath. Jugendgruppe Ranstadt
der Kirchenvorstand u. a.
3.9.1956
Die Baufirma beginnt mit den Erdarbeiten
11.10.1956
Der letzte Hammerschlag vor dem Richtfest. Um 17 Uhr ist Richtfestfeier in der Gastwirtschaft Ruppel. 40 Personen nehmen am Richtfest teil. Es gibt ein gemeinsames Essen, eine Flasche Bier und sechs Zigaretten.
In den Wintermonaten werden dann die Installationsarbeiten durchgeführt
A
Ausführende Firmen:
Erd- und Maurerarbeiten: Firma Lupp - Nidda
Zimmererarbeit: Firma Pfaff - Nidda
Spenglerarbeiten: Firma Jakob - Ranstadt
Dackdecker: Firma Orth - Nidda
Blitzableiter: Firma Abt - Nidda
Turmkreuz: Fima Bubenschuh - Offenbach
Schalung: Firma Himmelsbach - Nidda
Elektro: Firma Lang - Ranstadt
Sanitäre Anlagen: Firma Fritz Schröter- Nidda
Schreinerarbeiten: Firma Kraus - Ranstadt
Verputzerarbeiten: Firma Spruck - Nidda
Altarbild und Anna Selbdritt: Maler Jakob - Würzburg
Kirchenfenster: Firma Glas Glatt - Friedberg
21.7.1957
Die letzten Vorbereitungen zur Einweihung werden getroffen.
3.8.1957
Nachdem der Pfarrer seine neue Wohnung bereits bezogen hatte, wurde die Einweihung der mit Fahnen geschmückten Kirche am 3. August 1957 durch Bischof Stohr vorgenommen. Die Kirche wurde der Hl. Mutter Anna als Schutzpatronin geweiht. Der langersehnte Wunsch, ein eigenes Gotteshaus als Mittelpunkt des Gemeindelebens zu haben, ist mit viel Fleiß und Mühe Wirklichkeit geworden.
22.11.1958
Sterbetag von Pfarrer Anton Schild von Spannenberg.
Es war ihm nicht gegönnt, längere Zeit in der neuerbauten Kirche für seine Gläubigen zu wirken.
Anfang 1958 kam Pfarrer Schild bereits in ärztliche Behandlung in das St. Josefskrankenhaus nach Gießen. In der Zwischenzeit waren mehrere Kapläne als Aushilfe in seiner Pfarrei tätig. Letzter Kaplan vor seinem Tode war Kaplan Rachor aus Seligenstadt. Trotz vorübergehender Besserung und einem Erholungsaufenthalt im Schwarzwald ist Pfarrer Schild dann am 22.11.1958 an einem Herzschlag gestorben. Ein großer Trauerzug gab ihm das letzte Geleit. An die 50 Geistlichen Herren von nah und fern, sowie eine unübersehbare Menschenmenge nahmen an der Beerdigung teil. Seine ihm anvertraute Pfarrgemeinde wird diesem so eifrigen, herzensfrommen und beliebten Priester immer ein ehrenvolles Andenken bewahren. Vor der neuen St. Anna-Kirche ist sein Grabstein als Zeichen bleibender Dankbarkeit 1994 aufgestellt worden.
Der Bericht über religiöse Betreuung aus dieser Anfangszeit wäre unvollkommen, ohne auch die Arbeit von Frau Maria Luise Maier zu erwähnen. Sie war nicht nur für Pfarrer Schild eine große Hilfe, sondern auch für die Pfarrgemeinde ein ausgesprochener Glücksfall und Segen durch ihre vielseitigen Talente: gelernte Kindergärtnerin, musikalisch begabt - sie spielte Orgel, Akkordeon und Zither.
Sie begleitete den Pfarrer bei jedem Wetter - und das immer zu Fuß - zu den Gottesdiensten in den Gemeinden, verschönerte durch ihr Orgelspiel die Gottesdienste, schrieb Kirchenlieder aus den verschiedenen Liederbüchern ab und übte sie mit den Gläubigen ein, gründete den Kirchenchor und warb Mitglieder an, sodaß auch zwei- und dreistimmig im Chor bei besonderen Anlässen gesungen werden konnte, an Weihnachten und Ostern
auch das lateinische Amt u. a. m. Sie kümmerte sich um die Ministranten (damals mußten die Gebete noch lateinisch gelernt werden !), sie half beim Aufbau der Bücherei und warb Mitglieder für den Borromäusverein an, sie kümmerte sich um die erwachsene Jugend und um die Jugenderziehung.
Ihre vielseitigen Talente hat sie jederzeit und unentgeltlich im Dienst der Kirche dem Aufbau und Leben der kath. Kirchengemeinde Ranstadt zu Verfügung gestellt.
Als Kirchengemeinde bleiben wir ihr für ihre aufopfernde Arbeit immer zu großem Dank verpflichtet.
Die großen baulichen Veränderungen
in unserer Gemeinde Ranstadt nach 1945
Der alte Ortskern umfaßte die Bahnhofsstraße (Beginn bei der Tankstelle), die Ortsdurchfahrt bis zum Bauernhof Mickel zusätzlich eines weiteren Wohnhauses, die Hintergasse, die beiden Sackgassen und die Bangertstraße.
Bedingt durch die eingetretene Wohnungsnot durch den außergewöhnlich großen Zustrom von Heimatvertriebenen und Flüchtlingen sowie auch dem langsam anwachsenden Wirtschaftsaufschwung nach der Währungsreform entstanden auch in Ranstadt verhältnismäßig rasch neue Wohnsiedlungen wie auch Betriebs- und Geschäftsneugründungen.
Wohnsiedlungen und Neubauten
1. Der Brunnenweg
Diese Straße entstand noch vor der Währungsreform. Die Bauherren waren alle alt eingesessene Bürger der Gemeinde, bekamen aber zur Auflage, eine Familie aus dem gesetzlich vorgeschriebenen Personenkreis wie Vertriebene, Flüchtlinge, Verfolgte u. a. aufzunehmen.
2. Am Wiesengrund
Diese Wohnsiedlung entstand durch Eigeninitiative und in Nachbarschaftshilfe von Heimatvertriebenen. Das Baugebiet war von seiten der Gemeinde wegen fehlender Geldmitte noch nicht erschlossen. Beim Bezug der Wohnungen war weder ein Wasser-, Kanal- noch Stromanschluß vorhanden. Sämtliche Anschlußarbeiten konnten erst später von den Anliegern in Selbsthilfe für die Gemeinde durchgeführt werden.
3. Pfortgartenstraße
In dieser bereits vorhandenen Straße wurden noch weitere sieben Wohnhäuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite gebaut.
4. Oberriedstraße
5. Laisbachstraße
6. Am Markstein
Besteht aus der Stolbergstraße.
7. Baugebiet Bergstraße
Besteht aus der Bergstraße, Sudetenstraße und dem Finkenweg. In diesem Baugebiet wurden 25 Nebenerwerbssiedlungen für das vertriebene Landvolk mit vorgesehen. Zu diesem Baugebiet zählt auch der Aussiedlerhof.
8. Mockstädterhöhe
Besteht aus der Ringstraße, Taunusstraße, Wetterauer Straße, Höhenweg, Gartenstraße, Heinrich-Jung-Straße und der Katzenauerstraße.
9. Am Waschboden
Besteht aus der Angerstraße, Zur Hardthöhe, Waschbodenstraße, Am Rabenberg und der Vogelsbergstraße.
10. Bellmutherstraße
Besteht aus dem Hassia-Wohnblock und der früheren kath. Kirche (heute Wohnhaus).
Weitere gemeinnützige Einrichtungen verschiedener Art
im heutigen Ortsteil Ranstadt
Bürgerhaus mit Parkplatz, Schwesternstation und geplantes Jugendheim (früher Gefrieranlage), Gemeindebücherei, Kindergarten mit Kinderspielplatz, drei weitere Kinderspielplätze an verschiedenen Orten in der Gemeinde, Rathaus (vorher Schule), Schulneubau und Schulpavillons, 1970 Neubau der kath. Kirche St. Anna mit Pfarrbüro, Pfarrerwohnung, Gemeindesaal, Bücherei und zwei Jugendräumen im Keller, 1988 Bau eines Glockenturm und Anschaffung von fünf Glocken (finanziert aus Spenden), Neubau einer Friedhofshalle und zweimalige Erweiterung des Friedhofes, Ehrenmal für die Gefallenen des Krieges mit Grünanlage, Kanalisierung des gesamten Ortes mit einer Kläranlage für die Großgemeinde, zwei praktizierende Ärzte mit je eigener Praxis, eine Zahnarztpraxis, Notariatskanzlei mit Rechtsanwaltsbüro, je eine Zweigstelle der Sparkasse Wetterau und der Volksbank Nidda, eine Apotheke.
Betriebs- und Geschäftsgründungen
im Ortsteil Ranstadt nach 1945
Maschinenbau Hassia, Verpackungsbetrieb Pentapack, Druckerei Brühl, Autolackierung Westphal, Lagerhaus Raiffeisen, Autowerkstatt Moufang, Lagerhalle Isenmann, Mitsubishi Autohaus, Verbrauchermarkt Wachutka, Krafts Neukauf, Autowerkstatt Bigus (FAREPA), Tankstelle, Installation und Sanitär Möbus/Will, Quelle-Agentur, zwei Friseursalons, Gärtnerei und Blumenladen Bergmann, Verpackungsbetrieb GmbH A. Suppes, S&K Elektroanlagenbau GmbH
Ranstadt und seine Bewohner
Ranstadt ist seit alter Zeit eine Siedlung von Bauern. Außer Handwerk hat es in Ranstadt nie Industrie gegeben.
In der Reformationszeit wurde die Bevölkerung evangelisch und ist bis 1946 eine rein evangelische Gemeinde geblieben. In kath. Zeit hatte Ranstadt eine kleine Kapelle, geweiht dem hl. Erzengel Michael, war aber keine selbständige Pfarrei, sondern gehörte zu einem Stift.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Gemeinde keine 700 Einwohner, auch kein eigenes Rathaus. Die Bürgermeisterei befand sich im Hause des Bürgermeisters. Durch den Zustrom der vielen Heimatvertriebenen ist die Einwohnerzahl sprunghaft angestiegen. Mehr als ein Viertel der Einwohner waren Heimatvertriebene.
Nach einiger Zeit weiterer Veränderungen - Ranstädter Männer kamen aus der Gefangenschaft, einige Heimatvertriebene verließen den Ort wieder und zogen zu ihren Angehörigen oder fanden außerhalb einen Arbeitsplatz - blieben schließlich folgende Familien in Ranstadt:
Adamle, Bergmann, Biastoch, Chytil, David, Deibel, Demel, Dömel, Fischer, Freiberg, Frost, Gärtner, Georg, Ginter, Gottwald, Götz, Haala. Haarköter, Harbich, Hehle, Heger, Heinrich, Hein, Heintel, Hink, Holler, Jakob, Jaklin, Kaschnik, Keck, Kirschbaum, Haberhauer, Klenner, Klinger, Koepke, Kolb, Kopp, Kossuth, Kosch, Krauß, Kugler, Kursche, Kusch, Kuttler, Kürbel, Klöckel, Lang, Langer, Lindenthal, Lippert, Lohmann, Löffler, Mattutat, Matschke, Mauermann, Schubert, Schumpa, Schuster, Schwarzer, Spiller, Schauer, Schild, Schiller, Schmidt, Schmied, Schrödl, Schwetz, Stanzel, Stepanek, Sterzl, von Stolberg zu Wernigerode, Strelov, Stummer, Tafill, Tonert, Wild, Truschovski, Wachutka, Wagner, Waschka, Weis, Weiser, Wenkel, Wollny, Worschech und Weber. Nachtrag: Meixner, Moldan, Mück, Müller, Neubauer, Nitsch, Patotschka, Plischke, Pilz, Rzehorz, Seemann, Schremmer
Kaum hatten sie ein Dach über dem Kopf gefunden, regten sich die Heimatvertriebenen und suchten Möglichkeiten, ihr schweres Schicksal zu überwinden. Es bestand ja kaum die Chance, in absehbarer Zeit wieder in die Heimat zurückzukehren. So wuchs ein ungebrochener Lebenswille, eine ungebrochene innere Kraft und der Mut, nun von neuem zu beginnen ...
Betrachtet man den Aufschwung der ganzen Gemeinde auf allen Gebieten, so war die Aufnahme der vielen heimatlosen Menschen ein Segen und wirkte sich zum Vorteil für die Gemeinde und ihrer Bewohner aus.
Aus Anlaß des 50 jährigen Gedenkens der Vertreibung der Menschen aus ihrer angestammten Heimat geschrieben im Herbst 1995
Johann Kirschbaum