Wo ansonsten unzählige Leuchter für die feierliche Stimmung sorgen, erwarteten die mit Laternchen bewaffneten Besucher diesmal Tischdecken aus Jutesäcken, Grubentücher statt Tischsets, Scherben, hängendes Moos und Salzsteine. Für den dazu passenden Kellergeruch sorgten Briketts. Bibliotheksleiter Willi Weiers und sein Team hatten diesmal zur "Unter Welt"eingeladen. Fünf Stunden lang drehte sich alles darum/'was sich unter der Oberfläche abspielt, im doppelten Sinn" versprach Willi Weiers.
Verständlich, dass dieses nicht immer nur aus angenehmen Beiträgen bestehen konnte, wollte man dem Motto treu bleiben.
Treu blieben die fleißigen Hände in der Küche jedoch ihrer Kochkunst, die zum "Einstieg" mit einem portweingetränkten Käsetoast und "Brottöpfchen mit flüssiger Erdäpfelfüllung unter Pfifferlingen" servierten. Dazu sang das"Rat pack"-Trio Frank Sinatra, Dean Martin und Sammy Davis beschauliche Liedchen aus den Sechzigern. So richtig staubig, dreckig, duster und stinkig ging es fünf Meter unter der Könneritzstraße im Leipziger Kanalsystem zu, als Willi Weiers vom "Zauber der Kloaken" erzählte.
Für den Reiz des besonderen Flairs in der Kanalisation standen auch "Unterirdisches Wien" von Berndt Anwander und "Der dritte Mann" von Graham Greene, der in der Nachkriegszeit verfilmt zum Welterfolg wurde. Unter Tage literarisch fündig geworden, durfte auch ein Seitenhieb auf die Kanalarbeiterfraktion innerhalb der SPD der 1960er und 70er Jahre nicht fehlen. lm"Tiefgang" zwischendurch in drei Etappen verköstigt, gewöhnten sich die Gäste auch an die verschlungenen Wege in gedruckter Version, die Willi Weiers mit ausgesprochener Kreativität und Phantasie ausgesucht hatte.
Voyeuristische Züge nahm der Einblick in die U-Bahn von London an, in der 253 Personen unterwegs waren, um ein mit britischem Humor gesalztes Beziehungsgeflecht miteinander einzugehen. Für den Gaumen gab es unterwegs "Grubenhühnchen mit Kartoffelhaube", "20000 Meilen Proviant" (gefischte Erdäpfel) und "Fiakergulasch aus der Wiener Halbwelt".
Literarisch mit weiteren Untergrundgeschichten abgehärtet und satt gegessen ging es "aus der Unterwelt zurück" Richtung Nachtisch. Zum Aufatmen war es jedoch zu früh. Gekonnt setzte der Rezitator mit Edgar Allen Poes "Vorzeitiges Begräbnis" dem bisweilen makabren Spiel einen weiteren Höhepunkt. Vom Lärm auf dem Friedhof geweckt machte sich ein lebendig begrabener Offizier bemerkbar, um noch ein paar Tage länger unter den Irdischen weilen zu dürfen. Wem die literarische Kost auf den Magen geschlagen hatte, durfte sich mit einem "Unterberg" denselben wieder beruhigen. Ein gelungener Abend. Das köstliche Essen wie die gekonnte Auswahl aus dem Bücherregal mussten sich nicht in Kellern, Gruben, Kanälen und Schächten verstecken.