Abstieg in Abgründe

Kleinkunst: Team der katholischen Bücherei überrascht mit Literatur und Gaumenschmaus zum Thema „Unter Welt“

Unter Welt-Plakat (c) Bücherei St. Sophia/WW
Unter Welt-Plakat
Datum:
Sa. 28. Jan. 2006
Von:
Willi Weiers
Erbach. Es gehört inzwischen zur guten Tradition der Katholischen öffentlichen Bücherei St. Sophia, im Januar so viele Gäste zu einem Abend der literarischen Kurzweil und einen damit verbundenen Gaumenschmaus einzuladen, wie an dem großen Tisch im Palais Platz nehmen können. Vom Krimiabend über Bella Italia und zuletzt vom Bettgeflüster verwöhnt, führte der Weg in diesem Jahre erst einmal durch dunkle, muffige Gänge hinab in die Welt unter der Welt.

Auch unter Welt kann man es sich gut schmecken lassen

Am Tisch in der Unterwelt
Am Tisch in der Unterwelt

Wo ansonsten unzählige Leuchter für die feierliche Stimmung sorgen, erwarteten die mit Laternchen bewaffneten Besucher diesmal Tischdecken aus Jutesäcken, Grubentücher statt Tischsets, Scherben, hängendes Moos und Salzsteine. Für den dazu passenden Kellergeruch sorgten Briketts. Bibliotheksleiter Willi Weiers und sein Team hatten diesmal zur "Unter Welt"eingeladen. Fünf Stunden lang drehte sich alles darum/'was sich unter der Oberfläche abspielt, im doppelten Sinn" versprach Willi Weiers.

 

Mit Orpheus in die Unterwelt (c) Bücherei St. Sophia/WW
Mit Orpheus in die Unterwelt

Verständlich, dass dieses nicht immer nur aus angenehmen Beiträgen bestehen konnte, wollte man dem Motto treu blei­ben.

Treu blieben die fleißigen Hände in der Küche jedoch ihrer Kochkunst, die zum "Einstieg" mit einem portweingetränkten Käsetoast und "Brottöpfchen mit flüssiger Erdäpfelfüllung unter Pfifferlingen" servierten. Dazu sang das"Rat pack"-Trio Frank Sinatra, Dean Martin und Sammy Davis beschauliche Liedchen aus den Sechzigern. So richtig staubig, dreckig, duster und stin­kig ging es fünf Meter unter der Könneritzstraße im Leipziger Kanalsystem zu, als Willi Weiers vom "Zauber der Kloaken" erzählte.

Für den Reiz des besonderen Flairs in der Kanalisation standen auch "Unterirdisches Wien" von Berndt Anwander und "Der drit­te Mann" von Graham Greene, der in der Nachkriegszeit verfilmt zum Welterfolg wurde. Unter Tage literarisch fündig geworden, durfte auch ein Seitenhieb auf die Kanalarbeiterfraktion inner­halb der SPD der 1960er und 70er Jahre nicht fehlen. lm"Tiefgang" zwischendurch in drei Etappen verköstigt, gewöhnten sich die Gäste auch an die verschlungenen Wege in gedruckter Version, die Willi Weiers mit ausgesprochener Kreati­vität und Phantasie ausgesucht hatte.

Voyeuristische Züge nahm der Einblick in die U-Bahn von Lon­don an, in der 253 Personen unterwegs waren, um ein mit briti­schem Humor gesalztes Beziehungsgeflecht miteinander einzu­gehen. Für den Gaumen gab es unterwegs "Grubenhühnchen mit Kartoffelhaube", "20000 Meilen Proviant" (gefischte Erdäpfel) und "Fiakergulasch aus der Wiener Halbwelt".

Literarisch mit weiteren Untergrundgeschichten abgehärtet und satt gegessen ging es "aus der Unterwelt zurück" Richtung Nachtisch. Zum Aufatmen war es jedoch zu früh. Gekonnt setzte der Rezitator mit Edgar Allen Poes "Vorzeitiges Begräbnis" dem bisweilen makabren Spiel einen weiteren Höhepunkt. Vom Lärm auf dem Friedhof geweckt machte sich ein lebendig begrabe­ner Offizier bemerkbar, um noch ein paar Tage länger unter den Irdischen weilen zu dürfen. Wem die literarische Kost auf den Magen geschlagen hatte, durfte sich mit einem "Unterberg" denselben wieder beruhigen. Ein gelungener Abend. Das köstli­che Essen wie die gekonnte Auswahl aus dem Bücherregal mussten sich nicht in Kellern, Gruben, Kanälen und Schächten ver­stecken.