Offener Brief an die Menschen in den Pfarreien des Pastoralraumes Wetterau-Mitte

Liebe Schwestern und Brüder im Pastoralraum Wetterau-Mitte,
vor gut anderthalb Jahren habe ich mich Ihnen im Pastoralraum als leitender Pfarrer für unseren Pastoralraum vorgestellt und von meinen Hoffnungen und Erwartungen für das Zusammenwachsen unserer Gemeinden erzählt. Seitdem ist vieles geschehen. Viele von Ihnen haben sich in Gremien und Projektgruppen – auf Pastoralraumebene, aber auch in den Gemeinden vor Ort in den „Pastoralen Weg“ eingebracht. Allen bin ich sehr dankbar für dieses großartige Engagement. Gleichzeitig bin ich insbesondere in den letzten Wochen immer wieder gefragt worden, wo wir denn nun stehen. So möchte ich Ihnen mit diesem Schreiben einen zusammenfassenden Zwischenbericht anbieten. Selbstverständlich kann ich nicht vollständig alles wiedergeben, was seit der Gründung des Pastoralraums passiert ist, und sicherlich wird mein Bericht auch geprägt sein von meiner sehr subjektiven Wahrnehmung. Gleichwohl möchte ich mich bemühen, die groben Diskurslinien aufzuzeigen, in denen wir gemeinsam um die Zukunftsgestalt unseres Pastoralraums ringen.
Die größte Aufmerksamkeit hat in den letzten Monaten sicherlich die Projektgruppe erhalten, die sich um ein Gebäudekonzept bemüht. Hier hat das Bistum vor dem Hintergrund seiner Sparzwänge den größten zeitlichen Handlungsdruck aufgebaut. Hier spüren aber auch unsere Ehrenamtlichen die Konsequenzen des Pastoralprozesses am intensivsten. Die Einsparzwänge sind ambitioniert: Knapp die Hälfte der Kosten unserer Kirchen und Pfarrheim werden wir uns zukünftig nicht mehr leisten können. Bei den Pfarrheimen lässt sich durch Vermietungen oder Übernahme durch einen z.B. Förderverein der Kostendruck noch abmildern. Bei den Kirchengebäuden ist das so ohne weiteres nicht möglich.

In einem eher ländlich geprägten Flächenraum haben sich sehr eigenständige Gemeinden in den Grenzen ihrer dörflichen Strukturen entwickelt – einige von ihnen in einer jahrhundertealten Tradition. Bereits vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die vom Bistum vorgegebene Ressourcenbündelung durch ein bloßes Zusammenlegen der Gemeinden unter Verzicht ganzer Kirchorte jedenfalls schwierig ist. Wie soll es gelingen, auf einem pastoralen Weg zusammenzuwachsen, wenn wir uns in der Konkurrenz um knapper werdende Ressourcen gleichzeitig auf unterschiedlichen Seiten wiederfinden?
In unseren 11 Pfarreien unterhalten wir 18 Kirchen – ohne Maria Sternbach als Wallfahrtskirche. Für drei Kirchorte fand sich sehr früh der Konsens, dass wir sie wohl nicht mehr halten können: Für St. Anna in Friedberg-Dorheim, St. Bernhard in Assenheim und Heilig Kreuz in Okarben. In einem ersten Gedankenspiel wurde überlegt, die Filialkirchen aufzugeben und sich auf die Pfarrkirchen zu konzentrieren. Aber auch an den Filialen hat sich ein lebendiges Gemeindeleben entwickelt, dem wir nicht einfach die Heimat nehmen wollen. Vor diesem Hintergrund hat die Pastoralraumkonferenz beschlossen, alle weiteren 15 Kirchen zu erhalten und den zu leistenden Einsparungseffekt durch einen Verzicht auf bestimmte Bezuschussungsmöglichkeiten zu erreichen.
Eines ist klar: Diese Lösung ist sicherlich die teuerste. In den Resonanzen der Gremien, insbesondere der Verwaltungsräte, wurde zurecht darauf hingewiesen, dass der Erhalt von 15 Kirchen auf lange Sicht das wirtschaftliche Vermögen des Pastoralraums übersteigen wird. Auch stellt sich die Frage, wie wir die Kirchen zukünftig bespielen werden. Noch haben wir auf hauptamtlicher Seite sieben Priester. Der Personalplan geht für die neu zu gründende Pfarrei ab 2027 nur noch von drei Priestern aus. Ob eine stabile regelmäßige Gottesdienstordnung dann von dem Engagement von Wort-Gottes-Leitern aufgefangen werden kann, ist fraglich. Umgekehrt scheint es aber auch nicht sinnvoll zu sein, eine Kirche zu erhalten, in der nur noch ein bis zweimal im Monat ein Gottesdienst stattfindet.
Einen besonderen Blick lohnt es sich, auf die Gemeinde in Friedberg zu werfen. Sie ist die einzige, die nach dem Willen der Pastoralraumkonferenz zwei Kirchen behalten soll. Allein die bloße Begründung, dass Friedberg die mit Abstand größte Gemeinde ist, rechtfertigt diese Entscheidung sicherlich nicht. Die Marienkirche als historische und zentral offene Pfarrkirche und die Heilig-Geist-Kirche als großer und lichtdurchfluteter moderner Bau sprechen völlig unterschiedliche Menschen an. Die Marienkirche befand sich zum Beginn des Immobilienprozesses gerade in der Umsetzungsphase eines Orgelneubaus. Die Heilig-Geist-Kirche dagegen wünschte sich die überwiegende Mehrheit der Pastoralraumkonferenz als Pfarrkirche. Um eine Spaltung der Gemeinde zu vermeiden, schlugen die Gremien vor, neben der St. Anna-Kirche das für die Gemeinde zu große Albert-Stohr-Haus (ASH) aufzugeben und die Heilig-Geist-Kirche entweder multifunktional für Begegnung zu ertüchtigen oder ggf. einen Pfarrsaal neben der Kirche neu zu bauen. Als Zugeständnis für die zweite Kirche hat die Pastoralraumkonferenz die Marienkirche allerdings in der Bezuschussungskategorie abgewertet. Nach den Vorstellungen des Bistums sollen Kirchen in dieser Eingruppierung 3 zwar nicht sofort, aber auf lange Sicht aufgeben werden – was ich mir für den denkmalgeschützten Bau nur schwer vorstellen kann. Auch der Verzicht auf das ASH birgt Zumutungen. Gerade die Katholische Vereinigung der Schwarzen Sieben nutzt ihren „Bau“ in einer Weise, die eine kleinere Lösung an der Heilig-Geist-Kirche jedenfalls nicht erfüllen kann. Vor diesem Hintergrund prüfen wir gerade, ob ggf. ein Förderverein das ASH in Erbpacht übernehmen kann.
Abgesehen von Friedberg, Assenheim und Okarben scheinen alle anderen Gemeinden relativ unbeschadet aus dem Gebäudeprozess hervorzugehen. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass wir mit unserer Entscheidung uns allenfalls ein wenig Zeit erkauft haben. Wir brauchen diese Zeit für unser Zusammenwachsen. Wir brauchen sie, um auch den Nachbarn als einen Ort zu entdecken, der mir Heimat geben kann. Und wir brauchen Zeit, um im ökumenischen Miteinander Lösungen zu finden, die ein ortsnahes Gemeindeleben auch weiterhin ermöglichen. Einige Gemeinden sind da ja bereits in einem guten Gespräch. Die Verabschiedung von vertrauten Kirchorten tut weh. Gleichzeitig spüren wir aber auch, dass es uns immer schwerer fällt, nicht nur unsere Gebäude zu erhalten, sondern sie auch mit Leben zu füllen. Wir werden immer häufiger die Erfahrung machen, dass die gegenseitige Unterstützung als Bedingung für den Erhalt von weniger Kirchorten eine unglaubliche Entlastung bedeuten kann – und uns gleichzeitig befreit für unseren eigentlichen Auftrag als Christen: nämlich die Seelsorge. Aber ich gebe zu: Auch das braucht Zeit.
Damit das Zusammenwachsen in einer guten Weise gelingen kann, braucht es Strukturen der Vernetzung. Der Bischof hat im Rahmen seiner Visitation Ende letzten Jahres der Pastoralraumkonferenz vorgeschlagen, pastorale Schwerpunkte zu setzten und eben nicht mehr an jedem Kirchort dasselbe anzubieten. Erste Ansätze gibt es. (Z.B. Ideen zu einem Jugendkirchenprojekt in Ober-Wöllstadt) Aber noch signalisieren die Gemeinden wenig Bereitschaft, zugunsten eines zentralen Veranstaltungsortes auf das jeweils Eigene vor Ort zu verzichten. Wir müssen erst lernen, dass unsere alten Gemeindegrenzen keine Grenzen mehr sind – und dass die Nachbargemeinde vielleicht Stärken hat, die dem eigenen Gemeindeleben eine neue Lebendigkeit verleihen kann. Brauchen wir z.B. wirklich in jedem Jahr und an jedem Kirchort ein Gemeindefest? Und selbst wenn: Müssen alle Gemeindefeste tatsächlich an Fronleichnam stattfinden?
Ein erster Schritt der Vernetzung ist sicherlich die gegenseitige Information. Das Projektteam „Öffentlichkeitsarbeit“ hat hierzu erste Vorarbeiten geleistet und vor allem die Homepage des Pastoralraums zu einem gut nutzbaren Mittel der Information ausgebaut. Eine neu eingeführte Verwaltungssoftware (ChurchDesk) erleichtert zunehmend auch Ehrenamtlichen einen guten Informationsaustausch. Im Bereich der Jugendarbeit haben wir gemeindeübergreifend vereinbart, dass jede Jugendfreizeit offen in allen Gemeinden des Pastoralraums beworben wird. Das Zeltlager der Pfarrei Wickstadt hatte auf diese Weise im letzten Sommer so viele Teilnehmer wie noch nie. Und ich finde es großartig, dass Pfarrer Richardt seine Romfahrten anlässlich des Heiligen Jahres auch für andere Teilnehmer des Pastoralraumes öffnet. Umgekehrt haben wir bereits im letzten Jahr einzelne Veranstaltungen gestärkt, indem wir ganz bewusst zentral hierzu eingeladen – und entsprechend auf Konkurrenzveranstaltungen verzichtet haben. Ein Beispiel war die Pastoralraumwallfahrt nach Maria Sternbach, aber auch der Abschlussgottesdienst der Visitation mit Bischof Kohlgraf in Friedberg.
Die Projektgruppe „Katechese“ plant, die Sakramentenvorbereitung in den einzelnen Gemeinden pastoralraumweit auszuschreiben, sodass Familien zwischen verschiedenen Modellen wählen können. Aufwändigere Module werden gemeindeübergreifend organisiert und angeboten –und ermöglichen so eine größere Vielfalt. Alle Organisatoren treffen sich zukünftig einmal im Jahr zu einer gemeinsamen Jahresplanung. Parallel dazu hat Pfarrer Göttle einen Glaubenskurs ausgeschrieben, der hoffentlich viele Erwachsene anspricht, miteinander über den Glauben – aber auch über die Zweifel - ins Gespräch zu kommen.
Auch die Projektgruppe „Gottesdienste“ bemüht sich um eine Vernetzung der bisherigen Gottesdienstordnungen. Dabei geht es nicht nur um Uhrzeiten und die Ermöglichung einer gegenseitigen Vertretung der liturgisch Verantwortlichen, sondern auch um eine Stärkung der liturgischen Vielfalt. Ein Ausbildungskurs für Wort-Gottes-Leiter und Kantoren findet zurzeit in unserem Pastoralraum statt und nicht wenige auch aus unseren Gemeinden qualifizieren sich hier für ihren liturgischen Dienst. Sie alle werden ein Dekret nicht nur für ihre Heimatgemeinde, sondern für den ganzen Pastoralraum erhalten – nicht, weil ihrem Engagement die gemeindliche Heimat genommen werden soll, sondern um deutlich zu machen, dass wir als engagierte Christen unseren Auftrag nicht an der Gemeindegrenze abgeben. Wenn wir im Prozess des Zusammenwachsens auch die anderen Gemeinden als Orte der Heimat erlernen sollen, dann geschieht das eben auch über Personen. Da die Gottesdienste für die allermeisten von uns die intensivsten Veranstaltungen kirchlicher Beheimatung sind, ist es der Projektgruppe ein besonderes Anliegen, gerade hier zwischen Vernetzung in den Pastoralraum und örtlicher, bzw. personeller Identität einen guten Ausgleich zu finden. Das gilt nicht nur für die Gemeindemitglieder, sondern auch für die liturgisch Verantwortlichen, die idealerweise nicht jedes Wochenende mit einer völlig neuen Gemeinde konfrontiert sein sollten.
Unser Bischof hat einen wichtigen Schwerpunkt des Strukturprozesses auf die Sozialpastoral gelegt – also auf die Frage, wie wir füreinander und vor allem für die Schwächsten da sind. Wir spüren, dass gerade in Situationen wie diesen, in denen wir in geradezu überfordernder Weise mit uns selbst beschäftigt sind, unser Daseinsauftrag für andere verloren zu gehen droht. Dabei geht es hier um das eigentlich Wesentliche: Um die Strahlkraft unserer Kirche in die Gesellschaft hinein. Und es geht um uns selbst und die Frage, wie wir als Kirche in der Wetterau noch mehr zu einer Gemeinschaft werden können, in der Menschen sich gerne engagieren. Wenn Sie diese Punkte auch interessieren, sprechen Sie uns gerne an.
Ein so komplexes Gebilde wie eine Pfarrei in den Grenzen unseres Pastoralraumes muss gut verwaltet werden. Wie das geschehen kann, ist Aufgabe der Projektgruppe „Verwaltung“, mit der ich diese Schreiben beschließen möchte. Das Bistum Mainz sieht ein zentrales Pfarrbüro vor, dass wahrscheinlich in St. Bonifatius in Karben entstehen wird. Die Wahl des Standortes erfolgte zum einen vor dem Hintergrund, dass hier ausreichend Raum für Arbeitsplätze, Archiv und Besprechungsmöglichkeiten vorhanden ist. Zum anderen soll, wenn Friedberg ganz im Norden als größte Gemeinde die Pfarrkirche erhält, mit Karben als zweitgrößter Gemeinde auch der Süden gestärkt werden. Die wirtschaftliche Umsetzbarkeit dieser Idee wird zurzeit von einem Architekten geprüft.
Ziel eines zentralen Pfarrbüros ist es, den gewachsenen Organisations- und Verwaltungsaufwand in kollegialen Teams besser bewältigen zu können. Der Projektgruppe war es im Austausch mit den pastoralen Hauptamtlichen ganz wichtig, dass auch für diese Arbeitsplätze „Tür an Tür“ vorgesehen sind. Die pastorale Arbeit kann durch den kollegialen Austausch auf kleinem Dienstweg nur gewinnen. Genauso wichtig ist aber auch die Vermeidung einer Vereinsamung der pastoralen Mitarbeiter in vereinzelten Kleinstbüros. Dabei wurde in der Projektgruppe lange über den drohenden Verlust einer Präsenz in der Fläche diskutiert. Es wird auch zukünftig Aufgabe aller Hauptamtlichen sein, den Kontakt zu den Gemeindemitgliedern immer wieder zu suchen. Für die Pfarrsekretärinnen bedeutet das, zwar reduzierte aber regelmäßige Sprechzeiten auch vor Ort anzubieten. Für die pastoralen Mitarbeiter werden die unterschiedlichen Veranstaltungen selbst immer wichtigere Begegnungsorte, für die wir entsprechend auch Zeit mitbringen müssen.
Ich danke Ihnen allen für Ihre Geduld bisher – nicht nur beim Lesen dieses Briefes, sondern vor allem auch beim Mitgehen dieses Strukturprozesses. Bitte bringen Sie sich auch weiterhin ein. Wir brauchen Ihre Rückmeldungen, Ihre Ideen, aber auch Ihre tätige Mitarbeit. Bei allen Anregungen – bei aller Kritik – oder auch im Falle Ihres Wunsches, sich in einer der Projektgruppen einzubringen, melden Sie sich gerne bei mir, bei unseren Koordinatoren Markus Horn und Diakon Jürgen Hofmann oder bei unserer Verwaltungsleiterin Alexandra Schroeter. Wir alle freuen uns sehr, diesen Weg mit Ihnen weiterzugehen. Bleiben wir einander verbunden.
Herzlich Ihr Pfarrer
Kai Hüsemann