Unter den Lesungen für dieses Wochenende finden wir den ersten Johannesbrief (1 Joh 4,11-16). Sein Verfasser schreibt:
„Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt,
bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.“
Das Bekenntnis zu Gott und zu Jesus erschließt sich bei uns vor allem in der Praxis des Glaubens, in der Anerkennung des Nächsten und der Liebe zu ihm, die sich in verschiedenster Weise in unseren Worten und Taten widerspiegelt.
Im Sonntagsevangelium (Joh 17,6a. 11b-19) geht es um das Bleiben in der Welt der Wahrheit unter dem Schutz Gottes.
Unser Bleiben in der Liebe und in der Wahrheit, die Standhaftigkeit der Beziehung zu Gott wird fast jeden Tag auf den Prüfstand gestellt. Wir begegnen verschiedenen Menschen und Situationen, eine Fülle von Nachrichten prasselt jeden Tag auf uns ein. Unsere Arbeit, die Zeit mit Kollegen und Kolleginnen oder Familienmitgliedern und auch unsere Gesundheit,- dies alles beeinflusst unser Leben und unsere Antwort auf die Frage „Wie geht's dir?“.
Im Alltag immer in der Liebe zu bleiben scheint unmöglich zu sein.
Liebe ist für mich kein Gefühl der Verliebtheit, Liebe ist eher eine Entscheidung bewusst zu handeln. Liebe bedeutet für mich Respekt, Geduld, Verständnis, Hilfsbereitschaft, Akzeptanz, Wertschätzung, Sein-Lassen, Annehmen, Verzeihen, Loslassen und vieles mehr.
Wer von Ihnen kann von sich behaupten, dies alles fällt ihm leicht zu und nichts Anderes erlebt er in seinem Alltag?
Ist es überhaupt möglich diese uns gestellte Aufgabe „in Liebe zu bleiben“ zu erfüllen?
Wir können uns vornehmen, zur Liebe und zu allem, was sie beinhaltet, wenigstens immer wieder zurückzukehren, trotz aller möglicher Gefühle und Zweifel und Ereignisse und Menschen, die uns vielleicht das Gegenteil diktieren. Es kann helfen in schwierigen Situationen den nächsten richtigen Schritt zu tun, wenn wir uns in Ruhe und Stille die Frage stellen: „Was würde jetzt die Liebe tun?“.
An dieser Stelle würde ich mich sehr freuen, wenn unsere Kirche es
jedem einzelnen mit Vertrauen überlassen würde, wen und wie er liebt. Genau das Gleiche gilt auch für den Glauben. Ich denke, Jesus war kein Türsteher, seine Lehre hat er sowohl mit Männern, als auch mit Frauen geteilt, sowohl mit Zweifelnden, als auch mit Andersdenkenden. So einen Glauben wünsche ich mir auch in meiner Kirche. Die Tatsache, dass heute bei den Wortgottesdiensten auch eine Frau ohne theologisches Studium über ihren Glauben sprechen darf, zeigt die Veränderung, wir sind auf dem Weg. Ich wünsche uns allen, meiner Kirche und allen Entscheidungsträgern in Liebe und auch weiterhin auf dem Weg zu bleiben.
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Am vergangenen Donnerstag haben manche mit Christi Himmelfahrt auch den Vatertag gefeiert. Am Sonntag feiern viele den Muttertag. Zu diesem Anlass laden wir Sie ein, in unseren Wortgottesdiensten gemeinsam auch auf das Miteinander in unseren Familien zurückzuschauen, denn vor allem in unseren Familien praktizieren wir dieses In-Liebe-Bleiben und das Zur-Liebe-Zurückkehren.
Liebe Gemeinde, erfreuen Sie sich an liebevollen Beziehungen in Ihren Familien, oder haben Sie sich auseinandergelebt?
Haben sie von ihren Eltern Liebe erfahren?
Was haben Sie Gutes von Ihren Eltern oder Pflegeeltern übernommen?
Welche Fehler haben Sie versucht nicht zu wiederholen?
Für was sind Sie Ihren Eltern dankbar?
Haben sie es ausgesprochen?
Wir sollten keine Feiertage brauchen, um Dankbarkeit zu zeigen, es ist allerdings schön, wenn wenigstens einige Tag im Jahr dazu genutzt werden. Und für alle, die es in ihren Familien nicht leicht haben, die sagen, es sei zu spät etwas zu ändern oder wieder gut zu machen... Es gibt ein Buch, dessen Titel lautet: „Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben“. Und ich möchte Sie daran erinnern, es ist nie zu spät, eine bessere Gegenwart zu erschaffen.
Liebe Gemeinde, wir laden Sie ein im Gebet ihre Familien, ihre Eltern, ihre Kinder so wie sie gerade sind, Gott anzuvertrauen. Sie haben die Möglichkeit für Sie und für Ihre Verstorbenen eine Kerze am Altar anzuzünden und mit einem versöhnlichen Gefühl den Wortgottesdiensten zu begegnen.
Wir laden Sie ein alle Mitmenschen mit Dankbarkeit zu begegnen, die ihre Zeit, ihre Talente und ihre Liebe auf eine andere Weise als durch Elternschaft dieser Welt schenken und so die Gesellschaft bereichern.
Wir laden Sie ein, auch an Frauen und Männer zu denken, die gerne Eltern geworden wären, bei denen jedoch der Wunsch nicht in Erfüllung gegangen ist. Den eigenen Weg mit Liebe trotzdem weiter zu gehen, auch wenn nicht alle Herzenswünsche in Erfüllung gehen, heißt Glauben leben.
Gemeinsam beten wir auch für alle Eltern, die ihre Kinder mit körperlichen oder kognitiven Beeinträchtigung großziehen. Mögen die Mitmenschen diese Familien liebevoll und dauerhaft unterstützen, denn Gott hat keine anderen Hände als unsere.
Wir denken auch an diejenigen, die ihre Babys verloren haben oder die ihre schon erwachsene Kinder loslassen mussten. Wir wünschen allen viel Kraft und das Geschenk des Loslassens der Frage „Warum?“. Möge ihr Verlust in Stärke verwandelt werden, die den Mitmenschen helfen ihre Schicksalsschläge zu überstehen.
Wir nehmen in unsere Gedanken auch alle Mitmenschen auf, die das Eltern-Sein-Geschenk, das Großziehen des Kindes an andere abgegeben haben. Gott trägt uns mit allen unseren Entscheidungen und schaut tief in unser Herz und wenn dort wenigstens ein kleines Korn Liebe bleibt, glaube ich, dann ist auch Gott da und heilt alle Wunden und hält alle in seinen barmherzigen Armen.
Wir laden Sie ein auch für alle Frauen und Männer zu beten, die die schwere Entscheidung getroffen haben, sich von ihrem ungeborenen Kind zu verabschieden. Ich glaube daran, dass auch an der Seite solcher Entscheidungen, deren Grund den Außenstehenden verborgen bleibt, an der Seite des Zweifels oder der Schuldgefühlen Gott da ist. Denn Gott und seine nicht verurteilende Liebe ist immer bei den verletzten Herzen. Möge seine heilende Kraft und das Verständnis der Mitmenschen alle begleiten und ihnen die Zuversicht geben, dass Gottesliebe ein Geschenk ist und nicht mit unseren Taten verdient sein kann.
Wir laden Sie ein, in Ihre Gebete alle Kinder, Frauen und Männer aufzunehmen, die unter Gewalt und Missbrauch gelitten haben und leiden. Alle Mädchen und Frauen, die gegen ihren Willen Mütter geworden sind, die ihre Kinder trotzdem zur Welt gebracht haben und sie zu lieben gelernt haben. Weder Demütigung noch Schmerz möge diese Menschen in Verzweiflung stürzen. Wir wünschen ihnen, dass sie viel Unterstützung in ihrem Alltag bekommen und nicht aufhören an das Gute im Menschen zu glauben.
Wir beten auch für alle Eltern, die zusehen müssen, wie ihre Kinder andere Wege gehen als von den Eltern gewünscht. Die Erkenntnis, dass die Kinder uns nicht gehören und dass ihr Wille oft nicht mit unserem Willen übereinstimmt, kann sehr schmerzvoll sein. Es ist herzzerreißend, wenn Eltern von ihren Kindern verletzt werden, ebenso wenn Eltern ihre Kinder verletzen. Wer mit Umdenken, Verzeihen, Geduld, Hoffnung und Liebe seinen Kindern oder den Eltern eine Herzenstür offen hält, bleibt in Gottes Liebe und Gott bleibt in ihm.
Gemeinsam beten wir für alle Familien, in denen Kontakte abgebrochen sind. Möge Frieden und Ruhe in diese Familien einkehren, Zeit und Abstand die Wunden heilen und ein Wiedersehen, ein offenes Wort, ein respektvolles Nebeneinander oder ein neues Miteinander ermöglichen.
Es ist fast nie zu spät alles anzusprechen, was sich im dem Herzen angesammelt hat, die Vergangenheit zu akzeptieren, daraus zu lernen, sich selbst und auch dem Anderen zu verzeihen, an eine Tür zu klopfen oder eine Tür aufzumachen, wenn es geklopft hat.
Liebe Gemeinde, in Liebe zu bleiben ist eine bewusste Entscheidung und diese Entscheidung können wir jeden Tag neu treffen.
„Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt,
bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.“ (1 Joh 4,11-16)
Jurgita Aniunaite-Ott