Gastvortrag im Rahmen des 70. Kirchweih- Jubiläums durch
Prof. em. Dr. theol. Johannes Meier (Universität Mainz)

Wie das Christentum nach Hessen und auf die Philippinen kam. Zwei Einblicke in die Kirchengeschichte

Prof. em. Dr. theol. Johannes Meier (c) Prof. em. Dr. theol. Johannes Meier
Prof. em. Dr. theol. Johannes Meier
Datum:
Mi. 11. Sept. 2024
Von:
Timm Langsdorf

Rasch hat sich das Christentum in der antiken Welt ausgebreitet. Die frühchristlichen Gemeinden begriffen sich als Teil einer weltumspannenden Gemeinschaft: "Ihr werdet meine Zeugen sein bis an die Grenzen der Erde" (Apostelgeschichte 1,8). Trotz einer Serie von gewaltsamen Verfolgungen trug die werbende Kraft ihres Lebens, vor allem ihre Praxis der "Werke der Barmherzigkeit" zum kontinuierlichen Wachstum der Kirche bei. 

Anfang des 4. Jahrhunderts betrug der Anteil der Christen an der Bevölkerung des Römischen Reiches zwischen 5 und 10 %; nach dem Toleranzedikt Kaiser Konstantins im Jahre 313 stieg er bis Ende desselben auf um die 50 %. Schwerpunkte lagen im südlichen Mittelmeerraum (Kleinasien, Syrien, Ägypten, Nordafrika). Gerade diese Kernländer wurden durch das Aufkommen des Islam im 7. Jahrhundert von der (Oströmischen) Reichskirche mit dem Patriarchen in Konstantinopel isoliert. So entstanden die Orientalischen Kirchen, z. B. die Kopten.

Die um dieselbe Zeit ins Weströmische Reich eingedrungenen Germanenstämme waren teilweise bereits vom Christentum erfasst. Im Frühmittelalter (600-1000) nahmen dann fast alle Völker Nordwesteuropas sowie die Slawen in Ost- und Südosteuropa das Christentum an. Es entstand das "christliche Abendland", zu dessen Rückgrat seit der Kaiserkrönung Karls des Großen die Allianz der fränkischen bzw. deutschen Herrscher mit den Päpsten wurde. 

Im 13. und 14. Jahrhundert expandierte das Mongolenreich. Es stand für sporadische Missionsprojekte der damals neuen Bettelorden (Franziskaner, Dominikaner) in China und Tibet offen. Doch blieben diese ohne nachhaltige Wirkung. Hingegen bedrängten die von den Mongolen aus Zentralasien vertriebenen Türken die griechisch-orthodoxe Kirche in Kleinasien und auf dem Balkan. Mit der Einnahme Konstantinopels im Jahre 1453, das seitdem Istanbul heißt, wurde die "Türkengefahr" auch zu einem ständigen Faktor in der Geschichte des Abendlandes. 

Bald darauf eröffnete die Entdeckung der Seewege nach Amerika (1492) und Asien (1498) der christlichen Mission neue, transkontinentale Möglichkeiten. Es entstand ein außereuropäisches Christentum. Allein Brasilien, Mexiko und die Philippinen, drei Länder, die während der Lebenszeit Martin Luthers (1483-1546) mit dem katholischen Glauben in Berührung kamen, machten die Kirche bunter und vielfältiger. Heute lebt in ihnen mehr als ein Viertel der weltweit 1,4 Milliarden Katholiken (17 % der Weltbevölkerung).

In Japan, China und Indien entwickelte der Jesuitenorden die Akkommodationsmethode. Sie wollte den christlichen Glauben durch Dialog in diesen nicht-westlichen Gesellschaften integrieren. Gegen diese modern wirkende Inkulturationsbereitschaft opponierten die Bettelorden; im "Ritenstreit" setzte sich 1742 der westliche Ethnozentrismus durch. Die Aufhebung des Jesuitenordens in der Zeit der "Aufklärung" (1773) und die Schwächung der übrigen Orden durch die Revolution in Frankreich und deren säkularisierende Wirkungen in Europa stürzten die katholischen Missionen um 1800 in eine tiefe Krise.

Das 19. Jahrhundert brachte dem Christentum aber neuen Aufschwung durch die protestantischen Missionsgesellschaften, später auch das Auftreten vieler neuer katholischer Orden wie der Weißen Väter, der Weißen Schwestern, der Steyler Missionare und sehr vieler Frauenkongregationen an entlegensten Schauplätzen wie im Fernen Osten, in Ozeanien und in Afrika südlich der Sahara. Dort wächst das Christentum heute am stärksten.

Lebten im Jahr 1900 noch 82 % der Christen in Europa und Nordamerika, so verteilen sie sich heute so: Europa 21 %, Nordamerika 8 %, zusammen also weniger als ein Drittel, während Lateinamerika (40 %), Afrika (19 %) und Asien mit Ozeanien (12 %) über 70 % der katholischen Weltkirche ausmachen. Mit etwa 20 Millionen Katholiken beträgt der Anteil Deutschlands am Weltkatholizismus ca. 1,4 %.

Im Jahre 2021 standen 12.280 Welt- und Ordenspriester im Dienst der deutschen Diözesen. Davon hatten 2279 (= 19 %) eine andere als die deutsche Staatsangehörigkeit. Schwerpunkte der Herkunft dieser "internationalen Fachkräfte" sind die Länder Indien, Nigeria und Polen. Im selben Jahr befanden sich unter den 10,9 Millionen Einwohnern der Bundesrepublik ohne deutsche Staatsangehörigkeit mehr als 2,1 Millionen Katholiken. In der katholischen Kirche in Deutschland gibt es also einen signifikanten Anteil von Migranten. 

Auch die häufig zu hörende Aussage, der Anteil der Christen an der Bevölkerung Deutschlands sei 2021 unter 50 % gesunken, ist so nicht richtig. Richtig ist, dass die Mitglieder der Römisch-katholischen und der Evangelischen Kirchen in Deutschland inzwischen weniger als 50 % der Bevölkerung ausmachen. Doch dürfen die in Deutschland lebenden anderen Christen nicht übersehen werden. Es sind mittlerweile über 3 Millionen orthodoxe und orientalische Gläubige sowie mehrere Hunderttausend Angehörige von Pfingstkirchen afrikanischen oder lateinamerikanischen Ursprungs.   

Aus dieser langen Geschichte der Ausbreitung des Christentums wird der Vortrag von Professor Johannes Meier am 11. September in Nidda zwei Phasen näher betrachten, die für die 100jährige Liebfrauengemeinde besondere Bedeutung haben: das Wirken des aus England stammenden Wanderpredigers Winfried mit dem römischen Beinamen Bonifatius (673-754) in Hessen und die Anfänge katholischen Lebens auf den Philippinen von den ersten Taufen auf der Insel Cebú (1521) bis zur Errichtung der Kirchenprovinz Manila im Jahre 1596.