Viele Menschen, und unter ihnen auch ich, hatten in den vergangenen Zeiten der Krise durch das Corona-Virus den Eindruck, dass in dieser Zeit das Gute und Böse, Größe und Elend des Menschen umso deutlicher hervortreten. Vielleicht ist das im Rückblick auf dieses Jahr 2020 auch der Eindruck, den wir ganz persönlich von uns selber haben: auf der einen Seite haben wir vielleicht Fähigkeiten entwickelt, von denen wir nie wussten, dass wir sie hatten. Wir sind vielleicht stellenweise über uns hinausgewachsen. Auf der anderen Seite haben sich auch erschreckender als sonst in den Zeiten der Kontakteinschränkungen unsere Defizite gezeigt, unsere Begrenztheiten.
Mir hilft dann dieses Bild von Corrie ten Boom:
Unser Leben ist wie ein riesengroßer Teppich. An ihm wird ständig gewebt und gearbeitet. Farben und Fäden werden zu einem Muster zusammengefügt. Jedoch ist das Problem, dass wir diesen Teppich nur von der Rückseite sehen. Und da sieht er nicht gut aus. Die Farben passen oft nicht zusammen, das Muster scheint nicht zu stimmen, es gibt manche Knoten und überall hängen Fäden heraus. Ein Teppich von der Rückseite: Keiner würde sich ein solches Exemplar in die Wohnung legen. Bis an unsere Todesgrenze sehen wir unseren Lebensteppich nur von der Rückseite. Dann aber, im Licht der Ewigkeit, wird er umgekehrt sichtbar. Und plötzlich fällt es uns wie Schuppen von den Augen: Es ist ein farbenprächtiges, herrliches sinnvolles Muster. Die Rückseite mag uns noch so sehr verwirrt haben. Mit einem Mal haben wir ein sinnvolles Ganzes vor uns.
Mit anderen Worten: Gott schreibt auch auf den krummen Zeilen unseres Selbst gerade. Mit dieser Trost darf ich zurückschauen, und mit dieser Hoffnung hineingehen in ein neues Jahr.
(Pfr. Thomas Meurer)