„Was ist Wahrheit?“ Diese Frage stellt Pilatus dem verurteilten Jesus in der Johannes-Passion (Joh 18,38). Sie bleibt unbeantwortet. Und ich bleibe bei jedem Hören und Lesen irritiert, fragend, nachdenkend zurück.
Gerade in der letzten Zeit ist mir diese Frage schon oft in den Kopf gekommen.
Und ich stelle mehr und mehr fest: Die eine Wahrheit kann ich nicht erkennen!
Wer mit mir in letzter Zeit zusammengearbeitet hat, der weiß um den Satz: „Ich bin hin- und hergerissen.“ Und dabei weiß ich selbst: Entscheidungen müssen getroffen werden. Wenn ich mich nicht entscheide, entscheiden Andere über mich oder die Unentschiedenheit macht mein Leben sehr viel komplizierter.
Aber dass ich die einzige, richtige, wahre Entscheidung finden werde, ist ziemlich unwahrscheinlich. Es gibt im Leben selten schwarz und weiß - dafür viele Grauschattierungen.
Und wie komme ich dann zu einer Entscheidung, wenn die eine, große Wahrheit nicht zu finden ist? Ich frage mich: Mit welcher Entscheidung, mit welcher Wahrheit kann ich am besten leben? Welche gibt mir (und den Menschen, die mir anvertraut sind) mehr Lebensqualität, Sicherheit, Freiheit, mehr Zuversicht?
Ob die Entscheidung gut gewesen ist, sehe ich erst im Nachhinein. Und wenn sie mich nicht an ein gutes Ziel geführt hat, muss ich mit den Konsequenzen leben. Selbst wenn ich es gern anders machen würde: Ich weiß nicht, ob es anders wirklich besser gewesen wäre.
Was ist Wahrheit? Jesus hat Pilatus diese Frage nicht beantwortet. Und er hat sie mir noch nicht beantwortet. Aber er sagt von sich: „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“ Jesus kennt die Wahrheit, er kommt aus der Wahrheit. Wenn ich ihm folge, mich an ihm orientiere, kann ich nicht ganz falsch liegen.
Und noch eine Erkenntnis habe ich aus der Bibel gewonnen: Jesus legt die Menschen nicht auf eine einmal getroffene Entscheidung fest. Er gibt neue Chancen. Er lässt die Wahrheit suchen, ein Leben lang. Er lädt ein, sich immer neu zu orientieren, an ihm und mit ihm.
(Pastoralreferentin Janina Adler)