Meine lieben Kinder,
als ich erfuhr, dass die Berufsverbände der Pfarrsekretärinnen und –sekretäre in Deutschland mich zu ihrer Patronin gewählt hatten, war ich zunächst verwundert. Pfarrsekretärinnen und –sekretäre schreiben ja immer für andere, z.B. für die Diener Christi. Ich dagegen konnte die längste Zeit meines Lebens überhaupt nicht schreiben und habe alles, was ich meinen Eltern, Handwerkern, aber auch Fürsten, Bischöfen und Päpsten mitzuteilen hatte, meinen Sekretären diktiert, manchmal mehrere Briefe gleichzeitig. Ja, es war nicht einfach, für mich zu arbeiten ...
Dann aber wusste ich, dass Ihr, meine Kinder, tiefer geschaut habt. Ich nenne Euch meine Kinder, weil Ihr im Geiste zu meiner „Familie“ gehört. Meine „Familie“, das waren nicht meine Eltern, denen ich weggelaufen bin, weil sie mich mit 12 Jahren verheiraten wollten, das waren auch nicht meine 23 oder 24 Geschwister, sondern meine Freundinnen und Freunde aus den verschiedensten Schichten, mit denen ich umherzog, um Gutes zu tun und Gottes Willen zu erfüllen, so wie es uns Jesus vorgemacht hat (z.B. Mk 3, 31-35).
Ihr zieht zwar nicht umher, aber so, wie wir damals, seid Ihr heute da für die Menschen, ihre Freuden und ihren Kummer zu teilen. Wie wir – und letztlich wie Christus – sollt Ihr helfen, trösten und versöhnen. Ihr sollt aber auch, wenn ihr etwas als richtig erkannt habt, den Mut haben, geradlinig dafür einzutreten. Euer Ziel sei dabei nicht zu niedrig gesteckt. „Gebt Euch nicht mit Kleinem zufrieden. Gott erwartet Großes.“ Dass ich von Papst Paul VI. 1970 zur Kirchenlehrerin erhoben würde, damit hatte ich allerdings nicht gerechnet und das strebte ich auch nicht an, wenngleich ich im Namen Christi so manchem Würdenträger deutliche Worte sagen musste. Manchmal habe ich übereifrig gehandelt, z. B. als ich glühend für einen weiteren Kreuzzug warb. Aus Eurer Sicht ist das schwer zu verstehen, und nun – vor der Herrlichkeit Gottes – verstehe ich es selbst nicht mehr. Auch aus meinem Übereifer könnt Ihr lernen.
Geht Euren Weg im Vertrauen auf Gott, und Ihr sollt wissen und werdet spüren: „Der ganze Weg zum Himmel – ist Himmel.“ Dabei zögert nicht, wenn Ihr etwas als richtig erkannt habt. „Die Stunde ist kostbar. Wartet nicht auf eine spätere, gelegenere Zeit.“ Das Wichtigste aber ist der Antrieb: die Liebe. Denn „die Liebe trägt die Seele, wie die Füße den Leib tragen.“ Ich habe durch Christus erfahren, „dass durch nichts das Herz des Menschen mehr überzeugt wird als durch die Liebe.“
Jetzt muss ich schließen. Meine Aufgabe als Patronin Europas, zu der mich Papst Johannes Paul II. am 1. Oktober 1999 bestimmt hat, beschäftigt mich sehr. Aber ich werde immer einen liebevollen Blick auf Euch haben.
Eure Katharina von Siena