Nun folgte das zu Beginn besonders angekündigte Werk von Olivier Messiaen. Die Messe de la Pentecôte wurde 1950 fertiggestellt und ist einzigartig in Messiaens Œuvre, da sie ursprünglich für den gottesdienstlichen Gebrauch konzipiert war. Messiaen war Organist an der Kirche La Trinité in Paris, und diese Messe spiegelt seine tiefe Verbindung zur Liturgie wider. Die Komposition wurde vor allem von der Pfingstliturgie inspiriert. Und seine Musik erwies sich für den Zuhörer als eine wunderbare Einstimmung in das Pfingstgeheimnis. Das Pfingstfest könnte man ja unter den drei großen Festen im Kirchenjahr als das herausforderndste Fest des Jahres bezeichnen. Auch in den Texten der Bibel werden Bilder verwendet, um diesem Geheimnis näher zu kommen und eine fassbare Gestalt zu geben: Da ist von Feuerzungen die Rede, die herniederkommen und von Sturmesbrausen. In unserer St. Bonifatiuskirche gibt es übrigens ein großes Pfingstfenster direkt über der kleinen Chororgel. Auch hier ist das Herabregnen von „Feuerzungen“ beeindruckend dargestellt.
Auch Messiaen beschreibt seine Musik immer wieder als Verbindung von Farben und Tönen. Messiaens Messe de la Pentecôte ist durch seine charakteristische Verwendung von Rhythmus, Harmonie und Farbe geprägt. Der Komponist nutzt unregelmäßige Rhythmen und Modi, die aus seiner intensiven Beschäftigung mit indischen Rhythmen und gregorianischen Gesängen resultieren. Die Orgel wird in diesem Werk als ein vielschichtiges Instrument eingesetzt, das Klangfarben und spirituelle Bedeutungen eindrucksvoll vermittelt. Vogelrufe, ein weiteres Markenzeichen Messiaens, finden ebenfalls ihren Platz und symbolisieren die lebendige Natur und göttliche Schöpfung.
So kann man Moritz Laurer äußert dankbar sein, dass er sich an dieses bedeutende Werk herangewagt und es den Zuhörern angeboten hat. Wer sich darauf einlassen konnte, erlebte ein Meisterwerk, das die Grenzen der Orgelmusik erweitert und eine tiefe spirituelle Erfahrung ermöglicht. Es war eine Einladung, über das Göttliche zu meditieren und die transformative Kraft von Musik zu erleben.
Den Abschluss bildete ein Stück von Franz Liszt: „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“, ein Meisterwerk für die Orgel aus dem Jahr 1863. Das Werk ist in seiner Struktur und seinem Ausdruck geprägt von chromatischen Linien, düsteren Harmonien und einer tiefen Emotionalität. Liszt verwendet das Motiv „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ als Grundlage, um eine komplexe und intensive musikalische Erzählung zu entwickeln. Dieses Motiv durchdringt das gesamte Werk und wird in verschiedenen Variationen präsentiert. Man kann es als eine echte Einladung verstehen, seinen Gefühlen, seien diese auch hier zunächst eher belastet geprägt, zu folgen und diese zu erleben. So konnte man am Schluss dann auch mit der Bach-Kantate, die Liszt am Ende seines Stückes zitiert, befreit feststellen (und vielleicht auch mitbeten) „Was Gott tut, das ist wohl getan“. Moritz Laurer verstand es auch hier, die technischen Raffinessen, die emotionale Tiefe und die spirituelle Dimension den Zuhörern zu vermitteln. So ist das Werk ein Zeugnis für Liszts einzigartige Fähigkeit, Musik als Medium für die universellen Fragen des menschlichen Daseins zu nutzen.
Die konzentrierte und offensichtlich ergriffene Zuhörerschaft bedankte sich beim Künstler mit langanhaltendem Applaus.