Schmuckband Kreuzgang

Predigt 28. Sonntag im Jahreskreis 2024

Datum:
So. 13. Okt. 2024
Von:
Pfarrer Stefan Schäfer

Liebe Schwestern und Brüder,

 

manchmal singe ich sie gerne und mit Inbrunst: die Lieder aus der „roten Mappe“, die hier in Arheilgen in hohen Ehren gehalten wird.

Manchmal und bei manchen fällt es mir schwer einzustimmen.

 

Die meisten der sogenannten „neuen“ geistlichen Lieder sind locker 30,40 Jahre alt und älter. Als ich sie als Jugendlicher, engagiert in meiner Gemeinde und eifriger Messdiener, kennengelernt habe, waren sie eine Offenbarung. „Andere Lieder“ wollten wir singen. Nicht mehr die getragenen Weisen aus dem Gesangbuch. Und mit diesen neuen Liedern überhaupt ausbrechen aus Traditionen, die wir als erstarrt, aus Konventionen, die wir als einengend empfunden haben

 

Natürlich hat mein Musikgeschmack sich mit den Jahren verändert und hoffentlich aus weiterentwickelt. Dass ich in manche der Lieder meiner Jugend nicht mehr so schwungvoll einstimmen kann, hat freilich noch einen anderen, vielleicht tieferen Grund:

 

Sie versetzen mich in meine Jugend. Und ein wenig schäme ich mich manchmal für den Jüngling, der ich damals war: so selbstgewiss und besserwisserisch, in ungebrochenem Sendungsbewusstsein überzeugt von meinen politischen und theologischen Einsichten, immer in Opposition gegen das Althergebrachte und in meiner Friedberger Heimatgemeinde den Altvorderen im Pfarrgemeinderat und dem armen Pfarrer ein Plagegeist.

In Anspielung auf die damals schon zurückliegende Studentenrevolte hat er - in einer seltenen Anwandlung von Witz und Schlagfertigkeit - mich einmal als eine „68ger Spätlese“ bezeichnet.

 

Nun: radikal und absolut zu sein ist wohl ein Privileg der Jugend.

Und das Etikett, das Pfarrer Heininger mir seinerzeit verpasst hat, das trage ich heimlich immer noch mit Stolz.

Dennoch schäme ich mich manchmal für manches dumme Zeug, das ich damals voller Überzeugung von mir gegeben haben mag.

 

Mehr aber als für den naiven Jüngling schäme ich mich manchmal vor dem jungen Mann, der ich einmal gewesen bin: seinem Enthusiasmus, seiner Fähigkeit, sich zu begeistern.

 

„Folgen, komm, wir wollen ihm folgen“, so heißt es im Refrain eines der Lieder aus der „roten Mappe“.

„Folgen. Leben mit Jesus hat Folgen. Die alten Pläne und Ideen zähl´n nicht mehr.“

 

Sehr wahrscheinlich habe ich dieses Lied auch angestimmt. Damals als es noch wirklich neu war. Als Kaplan im Jugendgottesdienst oder im Zeltlager.

Begeistert und um andere zu begeistern.

Ich singe es auch heut noch immer wieder gern.

Manchmal aber kann ich dann beim Singen eine Frage doch nicht ganz verdrängen:

 

Wohin hat mich der Aufbruch in ein neues, ein alternatives Leben, wie ihn dieses Lied von einst beschwört, tatsächlich eigentlich geführt?

 

Nicht so weit weg, muss ich mir ehrlich eingestehen, vom Mainstream und den „alten Plänen und Ideen“!

In den Beruf des Pfarrers. Nicht auf den schmalen Weg, den steinigen, weiten und unbequemen, sondern in eine beamtenähnliche Laufbahn mit gutem Gehalt, privater Krankenversicherung und Urlaubsanspruch und - woran ich als ich 30 war und Kaplan keinen Augenblick gedacht habe - dem erfreulichen Ausblick auf den Ruhestand bei auskömmlicher Pension.

 

„Folgen. Komm wir wollen ihm folgen“?

 

Die Spur der Jugendlichen, die das damals mit- und mir nachgesungen haben, hat sich verloren. Ich weiß nicht, ob sie noch manchmal in die Kirche gehen. Familie, Beruf und Karriere und die Hypothek für´s Eigenheim drängen den Glauben oft ja in den Hintergrund. Und manche der Jugendlichen von damals dürften inzwischen wohl aus der Kirche ausgetreten sein.

 

Warum ich Ihnen das erzähle?

 

Auch das Evangelium vom „reichen Jüngling“, das uns heute vorgelegt wird, damit wir uns für unser Leben einen Reim darauf machen, scheint davon zu sprechen:

Wie Jesu Ruf in seine Nachfolge scheitert.

Da nimmt einer Anlauf und scheut dann doch den Absprung. Scheut vor den Konsequenzen, vor den Folgen, die es hat, zu folgen.

 

Wir schau´n ihm nach. Wie er traurig weggeht und abbiegt von dem Weg, den Jeus weist, in ein normales Leben.

Und müssten über uns auch traurig sein. Ratlos wie das Kamel vor jenem Nadelöhr vor Jesu Anspruch, alles hinzugeben.

Einem Anspruch, dem wir nie genügen werden, dem wir nicht entsprechen können.

 

Aber da steht auch, dass Jesus ihn liebgewonnen hat. Den jungen Mann in seiner Sehnsucht nach dem wahren Leben.

Und ich denke: uns doch auch!

 

Er liebt die junge Frau, den jungen Mann, die wir mal waren und die manchmal etwas alltagsgrauen Gestalten, die wir geworden sind.

Wie jenen Mann im Evangelium sieht er uns an.

Und selbst wenn unsere Begeisterung oft nur ein Strohfeuer ist und unser Leben voll von Halbheiten und Kompromissen, sieht er, so hoffe ich, den ehrlichen Willen, der in uns noch immer lebt, ihn zum Maßstab zu nehmen und ihm zu folgen,

Er schaut uns an und sieht tiefer, sieht den Glauben, der da noch immer glimmt und glüht, an ihn und seinen Weg.

 

Und wenn sein Ruf zu folgen auch immer wieder zu scheitern scheint, wie bei der Begegnung mit dem Mann im Evangelium:

Vor Gott ist nichts unmöglich.

Man begegnet sich bekanntlich immer mehrmals im Leben.

 

Und jedes Mal, wenn wir selbstvergessen in Wort und Tat für einen anderen da gewesen sind, war das, wir haben es nur nicht bemerkt, vielleicht ja doch ein Schritt auf seinem Weg, dem Weg, den er uns weist, auf dem der das Leben findet, der sich hingibt und sich selbst vergisst.

Dann haben wir auf seinen Ruf geantwortet.

Und können es auch morgen wieder tun.

 

Dazu mag dann das Lied uns Beine machen: „Folgen. Komm, wir wollen ihm folgen!“

Oder, je nach Stimmung und Musikgeschmack, eine alte Melodie und der Text des großen Angelus Silesius unser Herz bewegen, die zeitlos Jesu Ruf in unsere Gegenwart erklingen lassen:

„Mir nach, spricht Christus, unser Held, mir nach, ihr Christen alle . . .“

 

Amen