Schmuckband Kreuzgang

Predigt Pfingstmontag 2025

Datum:
Mo. 9. Juni 2025
Von:
Stefan Schäfer

Liebe Schwestern und Brüder,

 

„Was keiner wagt, das sollt ihr wagen.

Was keiner sagt, das sagt heraus.

Was keiner denkt, das wagt zu denken.

Was keiner anfängt, das führt aus.“

 

Verse, die mich seit Jahren begleiten.

Ursprünglich stammen sie von dem katholischen Priester und Dichter Lothar Zenetti. Kennengelernt aber habe ich sie in einem anderen Zusammenhang:

Der Liedermacher Konstantin Wecker hat sie vertont.

In friedensbewegten Jugendjahren war ich sein größter Fan. Er hat diese Verse immer am Ende seiner Konzerte gesungen. Das war dann ein wenig, wie wenn am Ende eines Gottesdienstes die Gemeinde entlassen wird: „ite missa est“, „geht, ihr seid gesendet“:

Ein Impuls für sein Publikum, ein Auftrag, sich von der Inspiration, der Begeisterung, die einen im Konzert ergriffen und bewegt hat, weiter tragen zu lassen. In den Alltag, um dort freier, mutiger, widerständig zu leben.

 

„Wenn keiner ja sagt, sollt ihr´s sagen.

Wenn keiner nein sagt, sagt doch nein.

Wenn alle zweifeln, wagt zu glauben.

Wenn alle mittun, steht allein.“

 

„Wer mit 16 nicht links ist, der hat kein Herz. Wer es mit 60 immer noch ist, hat keinen Verstand.“

Mit Einschränkungen hat dieses Diktum wohl auch an mir sich erfüllt. Die Begeisterung für Konstantin Wecker zumindest ist mit den Jahren deutlich abgekühlt.

Diese Verse aber sind mir geblieben.

Später dann habe ich den eigentlichen Autor wahrgenommen und dabei eine Entdeckung gemacht:

Im Originaltext von Lothar Zenetti sind die gereimten Strophen in einen Rahmen gestellt. Am Anfang und am Schluss des Gedichtes stehen Zeilen, die Konstantin Wecker nicht vertont hat. Sie durchbrechen das Reimschema und stellen sich quer. Sie verleihen eigentlich dem Text erst seine Eindeutigkeit.

Sie lauten:

 

„Das Kreuz des Jesus Christus

durchkreuzt, was ist und macht alles neu.“

 

Dass Gott sich am Kreuz offenbart, dass er rückhaltlos sich mit den Opfern, den Marginalisierten, in die Todeszonen Verdrängten identifiziert,

so sehr, dass er einer von ihnen geworden ist,

benennt die spezifisch christliche Motivation, aufzustehen:

„Ja“ zu sagen und Partei zu ergreifen in klarer Option für alle, die heute zu Opfern gemacht werden

und „Nein“ im Widerstand überall dort, wo heute Menschen in ihrer Würde bedroht und an den Rand gedrängt werden.

Benennt schließlich den Grund für das Wagnis zu glauben, trotz allem:

Gott macht alles neu.

Sein lebenschaffender Geist überwindet Gewalt und Bosheit, das Unrecht, den Tod und seine Vasallen mitten im Leben. Der mächtigste und gefährlichste unter ihnen ist die Angst.

Das ist der Kern des österlichen Glaubens:

In einer Welt, in der immer wieder die Falschen siegen und der Gerechte auf´s Kreuz gelegt wird, bekennen wir unsere Hoffnung, dass, gleich wie mächtig die Gemeinheit auch scheint, die Güte doch mächtiger ist, ein Licht, das in unserer Dunkelheit leuchtet und uns in unseren Zweifeln den Weg weist:

 

„Wo alle loben, habt Bedenken.

Wo alle spotten, spottet nicht.

Wo alle geizen, wagt zu schenken.

Wo alles Dunkel ist, macht Licht.“

 

Das ist freilich nun doch ein politisches Lied, das der Geist des Gekreuzigten, der in Gottes Macht auferstanden ist, uns da eingibt. Er treibt uns, es anzustimmen. Gelegen oder ungelegen.

Auch wenn es Stimmen gibt, die der Kirche raten, sich um ihr Kerngeschäft zu kümmern: das Heil der Seelen und die Verheißungen einer kommenden Welt

und eine Weinkönigin, die es aus dem schönen Rheinland Pfalz nach Berlin und in das zweithöchste Amt unseres Staates geschafft hat, meint, für die Einmischung von Theologen in politische Angelegenheiten würde sie keine Kirchensteuer zahlen -

der Star des evangelischen Kirchentages ist nicht Julia Klöckner, das ist Mariann Budde gewesen,

jene anglikanische Bischöfin, die Donald Trump im Gottesdienst am Tag nach seiner Amtseinführung

mit zarter Stimme aber doch klar und entschieden ins Angesicht widerstanden hat:

Als sie ihn um Erbarmen bat für die Vielen, die seine Agenda in tiefe Verzweiflung stürzt.

Vergeblich, wie nicht anders zu erwarten war und sich in den Nachrichtenbildern von Razzien gegen Migranten inzwischen gezeigt hat.

Aber nicht umsonst.

Der Preis dafür, zu schweigen und sich Mutlosigkeit und Resignation hinzugeben, wäre ja, den andern das Feld zu überlassen.

 

Auch hierzulande finden rechtspopulistische, nein: rechtsradikale Positionen in erschreckendem Maße Zulauf.

Sie zielen auf Ausgrenzung derer, die nach der Ideologie eines „völkischen Nationalismus“ nicht „dazugehören“ und wenden sich in aggressiver Feindseligkeit gegen alle, die nach den Maßstäben eines vermeintlich „gesunden“, tatsächlich aber einfach nur bornierten Menschenverstandes als abweichend und anders erscheinen. Absichtsvoll werden die Grenzen des Sagbaren verschoben.

Das alles frisst sich immer mehr in die Mitte unserer Gesellschaft hinein und bedroht die Grundlagen eines Miteinander in Toleranz und Achtung der gleichen Rechte aller und der allen gemeinsamen Menschenwürde:

Grundlagen, die nicht zuletzt der Glaube an einen Gott, der in seiner Menschwerdung sich mit allen Menschen verbunden hat und am Kreuz sich rückhaltlos mit den Schwachen solidarisiert, dem „christlichen Abendland“ eingeprägt hat.

Wir sind deshalb nicht nur als Bürgerinnen und Bürger, sondern als Christen und in der Herzmitte unseres Glaubens herausgefordert, Furcht und Trägheit zu überwinden und öffentlich und konkret Zeugnis zu geben.:

In der Familie, der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz und am Stammtisch, überall, wo zu widersprechen ist und die grassierenden Parolen widerlegt werden müssen:

„Wenn keiner nein sagt, sagt doch nein.

Wenn alle mittun, steht allein.“

 

Das Bekenntnis zu Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen trennt uns nicht, es verbündet uns mit allen Menschen guten Willens.

Auch mit den Besuchern eines Konstantin Wecker Konzerts, die dort eine Stärkung ihres Glaubens, aus welchen weltanschaulichen Quellen auch immer er sich speisen mag, erhoffen und erfahren, Ermutigung und Kraft für ein Leben, das sich nicht verbiegen lässt und das einsteht - gelegen oder ungelegen - für das was wahr ist und gerecht.

Wie wir, wenn wir am Ende eines Gottesdienstes gesendet werden: „ite missa est“ zum Zeugnis in unserer Lebenswelt:

„Wo alles Dunkel ist, macht Licht!“