"Alles fließt!"

Österlicher Impuls von Klinikseelsorger Pfr. Matthias Schmid

"Alles fließt." - Die Lahn bei Gießen
Datum:
Di. 6. Apr. 2021
Von:
Pfr. Matthias Schmid

Du steigst nicht zweimal in denselben Fluß, alles fließt, sagt Heraklit (Heraklit von Ephesus, * um 520 v. Chr.;  + um 460 v. Chr.). Er meint, dass das Wasser des Flusses ständig im Flussbett fließt und man daher nur einmal in das Wasser gerade dieses Flusses steigen kann. Einen Moment später ist das Wasser durch neues ersetzt, sozusagen ein neuer Fluß ist da. Ostern ist in diesem Jahr ein neues Ostern, so wie jedes Jahr. Nichts wiederholt sich. Auch nicht wegen einer Pandemie.

Was wird wohl aus uns werden?

Heraklit macht sich Gedanken um das Werden von uns Menschen, der Welt und den Göttern.

Das ist damals nicht anders als heute. Was wird wohl werden, denken sich viele von uns? Wird wieder alles so wie es war, nach der Pandemie, wenn sie vorbei ist? Der große Fluß Coronakrise macht uns unsicher. Vielen Zeitgenossen kommt es so vor, als ändere sich unser Leben eigentlich nie. Aber jetzt ist alles anders. Und auf den Plätzen der großen Städte stehen die Finsterlinge brüllend da und wundern sich über so viel verquer Gekommenes.

"Wir leben in einer kranken Welt"

Ich denke, nicht eine Krise, sondern wir ändern uns gemäß der Erkenntnis des Heraklit. Wir sind ein Fluß und bleiben nirgendwo länger als ein Augenblick. Das Virus ist unwichtig. Wir sind diejenigen, die in dieser Welt leben und einander helfen oder das Leben zur Hölle machen. Papst Franziskus hat am ersten Osterfest in der Pandemie angemerkt, dass wir in einer kranken Welt leben und dachten wir könnten selbst dabei gesund bleiben. Nun, ich erlaube mir zu sagen: nicht die Welt ist krank, wir sind krank, geistig, seelisch und spirituell und machen die Welt krank. Dann kommt ein Virus und zeigt, wie krank wir leben.

"Glauben wir an nichts, glauben wir an alles"

Im 17. und 18. Jahrhundert mußten die großen Ostindienfahrer mit ihren Riesenschiffen aus Asien bei ihrer Rückkehr 4 Wochen, weit vor den Häfen Antwerpen oder Rotterdam und Hamburg, in Quarantäne bleiben, bevor die Ladung gelöscht werden konnte. Mit Viren und Bakterien kennen wir uns schon lange aus. Aber wir kennen uns nicht mit uns aus. Ein Kluger sagte einmal, wenn die Menschen nicht mehr an Gott glauben, dann glauben sie nicht an nichts, sondern an alles. 

Ich möchte nicht behaupten der christliche Glaube ist die alleheilendes Medizin. Aber eines ist auch klar, Amazon und Facebook, Smartphone und Egoismus sind es keinesfalls.

Es fließt jeden Tag neues Wasser

Ich fühle mich nicht einsam, aber etwas ernüchtert - ich schreibe gegen Unverstand und Kleinglaube und Pflichtvergessenheit an. Ich werbe für ein gutes und frohes Osterfest, denn es ist ein gutes Osterfest - Osterzeit (!) 2021. So kommt Ostern nie wieder, und ich hoffe, dass mich mich eine(r) ernstnehmen wird. Mein Glaube an Gott, an einen, der den Tod besiegt und die Menschen liebt, ist noch lange nicht erschüttert. Gerne will ich, dass es - trotz allem Leidvollem in der Kirche - so bleibt, und hoffe es für viele andere auch! Ich stehe an der Lahn und sehe, es fließt jeden Tag neues Wasser.

Pfarrer Matthias Schmid (c) Pfarrer Matthias Schmid

Pfarrer Matthias Schmid

Klinikseelsorger

Pfarrer Matthias Schmid ist Klinikseelsorger am Universitätsklinikum am Standort Gießen und war in den Jahren von 2011 bis 2018 Pfarrer der St. Thomas Morus Gemeinde Gießen.