Florian Keßler ist Gottesdienstleiter und Beauftragter für Wortgottesfeiern im Bistum Mainz. In seiner Predigt zum 5. Sonntag der Osterzeit beschäftigt er sich mit dem Gleichnis vom Weinstock. Es geht um Gemeinschaft, Wettbewerb und Leistungsdruck, Vereinsamung und die Erkenntnis, sich als Mensch angenommen zu fühlen.
Die Wortgottesfeiern finden immer am ersten Sonntag im Monat in der Kulturkirche St. Thomas Morus statt.
Evangelium aus Johannes 15, 1-8
Liebe Brüder und Schwestern,
die Worte des Johannesevangeliums, die für diesen Sonntag vorgesehen sind, gehören zu den Ich-bin-Worten Jesu. Einige davon haben wir bereits gehört, am letzten Sonntag wurde beispielsweise das Evangelium vom guten Hirten verlesen, aber auch andere Ich-bin-Worte sind uns bekannt.
Diese Worte haben eines gemeinsam: Als Selbstaussagen von Jesus sind sie alle ein Aufruf zur Verbundenheit mit ihm und damit Teil der göttlichen Heilszusage, so auch die Worte vom wahren Weinstock. Und gerade bei diesen Worten lohnt es sich, einmal genauer hinzuschauen. Während andere Ich-bin-Worte oft Bilder verwenden, die eine Einzelwirklichkeit beschreiben, zeigen uns diese Worte eine deutlich kollektivere Perspektive. Jesus Christus als der wahre Weinstock, Gott als der Winzer und wir als die Reben.
Die Reben können nur Frucht bringen, wenn sie am Weinstock bleiben. Jedoch, Brüder und Schwestern, lassen sich diese Worte auch genau andersherum interpretieren. Wir hören, dass der Winzer die Reben, die Frucht bringen reinigt, damit sie mehr Frucht bringen. Diejenigen aber, die keine Frucht bringen, schneidet er ab. Entweder die Jünger bleiben in Christus und er in ihnen, oder sie trennen sich von ihm, so dass der Weinstock keine Frucht bringt. Es besteht also auf beiden Seiten ein Ansporn beieinander zu bleiben. Damit soll uns das heutige Evangelium Ermutigung und Appell zugleich sein, am Ball zu bleiben.
Auch in unseren Tagen ist der Gedanke des Dranbleibens präsenter, denn je, allerdings mit einem wesentlichen Unterschied. Dieser besteht darin, dass das Dranbleiben heute mit einem erheblichen Druck vermittelt wird, nämlich dem Druck nach Leistung und Qualifikationen, und dieser Druck wächst immer weiter. Wer dem nicht standhalten kann, wird auch in gewisser Weise abgeschnitten, fällt durch sämtliche Raster der Gesellschaft hindurch und wird sozusagen in einer Schublade eingeordnet und letztlich verworfen. Wer diesem Schicksal entgehen möchte, der hat keine andere Wahl, als unter diesem Druck standhaft zu bleiben.
Diese zwei Seiten allerdings bergen eine wesentliche Gefahr, nämlich die der Vereinsamung und der Isolation. Entweder schottet man sich ab, um angeforderte Leistungen zu erbringen oder man wird abgeschottet, weil man nicht mehr in das System hineinpasst. Viel ist da von dem Aufruf, am Ball zu bleiben, wie es uns der Evangelist überliefert, nicht mehr übrig. Aber woran liegt das? Ich denke, es herrscht heute eine große Schwierigkeit, an die Worte und Taten Jesu zu glauben und diese Schwierigkeit resultiert nicht etwa aus den uns überlieferten Ereignissen selbst, sondern aus deren scheinbarer Wirkungslosigkeit, und diese Wirkungslosigkeit ist dann der Auslöser dafür, nicht mehr am Ball zu bleiben und einen anderen Weg einzuschlagen.
Doch an diesem Punkt denke ich, möchte der Evangelist deutlich machen, dass auch in der Angelegenheit des Glaubens eine Notwendigkeit des Dranbleibens besteht, denn die Wahrheit des Glaubens wird in gelebten Worten und Taten greifbar, ganz ohne Druck. An Jesus Christus glauben und in ihm bleiben heißt in seiner Liebe bleiben „Ihr seid schon rein kraft des Wortes, das ich zu euch gesagt habe.“ steht dazu im Evangelium geschrieben. Mit diesen Worten wird der Druck herausgenommen, durch besonderes Leisten und Handeln vor gestellten Anforderungen zu bestehen, da wird die Gemeinschaft mit Jesus und untereinander ganz klar in die Mitte gerückt.
Und dieses Zentrieren der Gemeinschaft kann auch der Gefahr der Vereinsamung durch Leistungsdruck entgegenwirken. Wir Menschen sind von Natur aus soziale Wesen. Wir sind es gewohnt, gemeinschaftlich miteinander verbunden zu sein und so Größeres zu vollbringen, als im Alleingang. Auch in der Person Jesus Christus, der für uns Mensch geworden, gestorben und auferstanden ist, wird das sichtbar. Und auch er will diese Gemeinschaft mit uns, zur Verherrlichung Gottes des Vaters. Er ist als der wahre Weinstock der Mittler zwischen den Reben und dem Winzer, zwischen Gott und den Menschen. Durch das Wort, das er zu uns gesprochen hat, sind wir bereits gereinigt, um Frucht zu bringen und in ihm und seiner Liebe zu bleiben, und wer in ihm bleibt und in wem er bleibt, dessen Leben bringt reiche Frucht.
Amen.