Hildegard Pilawa ist seit dem 1. November 2020 Beauftragte für Wortgottesfeiern im Pfarreienverbund Gießen. In ihrer Predigt zum fünften Sonntag im Jahreskreis widmet sie sich dem ersten öffentlichen Auftretens Jesu wie es im Evangelium des Markus (1, 29-39) beschrieben ist. Sie widmet sich der Frage nach dem Heil. Was bedeutet "Heil"? Wer sind die Heilsuchenden? Welche Kraft liegt im Heil?
Liebe Schwestern und Brüder,
das Markus-Evangelium erzählt hier den Beginn des öffentlichen Auftretens Jesu in Galiläa, der Schüler um sich schart, Menschen begeistert und als Wundertäter und Heiler gefeiert wird. Die Häuser der Männer und Frauen, die die Botschaft Jesu annahmen, wurden zu Versammlungsorten für die sich bildenden Gemeinden.
Die Botschaft Jesu scheint eine breite Faszination ausgeübt zu haben. Sie fiel auf fruchtbaren Boden, im geistlichen Kontext im Wunsch nach Frieden und der Sehnsucht nach einem Erlöser und im Glauben nach einem Gott. Und es gab verbreitet Krankheiten. Am See gab es ansteckende Krankheiten wie Lepra und Malaria. Und wegen der Ansteckungsgefahr waren sie Aussätzige; Ausgestoßene, um die sich niemand kümmerte.
Der Ausschnitt heute erzählt von einem Tag in Kafarnaum, wo Jesus mit Jakobus und Johannes in das Haus der Brüder Simon und Andreas ging, wo die Schwiegermutter des Simon mit Fieber im Bett lag. Es wird berichtet, dass er sie an die Hand fasste und aufrichtete. Er gab ihr die Kraft dazu. Weiter heißt es, dass die ganze Stadt vor der Haustür stand und er viele heilte.
Das klingt so beiläufig. Wie muss man sich das vorstellen? Die Kranken waren Ausgestoßene. Die Heilung bestand auch darin, dass er sie beachtet hat, sie nicht wie Ausgestoßene behandelt hat und sich geweigert hat, die soziale Ausgrenzung der Krankheit zu akzeptieren. Die an den Rand Gedrängten bekamen ihre Würde zurück.
Parallelen zu unserer jetzigen Zeit drängen sich wieder auf.
Im Moment spüren sicher auch viele von uns, dass wir Heilsuchende sind und manchmal das Gefühl haben, dass die eigene Kraft nachlässt und wieder aufgerichtet werden möchten durch einen starken Arm. Es gibt überall einen hohen Druck und Erwartungshaltungen im Umgang mit der Pandemie, dem jetzt begonnenen Impfprozess und dem Umgang mit den wirtschaftlichen Folgen. Die politisch Verantwortlichen spüren diesen Druck jetzt sicher in extremer Form, weil sie immer Entscheidungen unter verschiedenen Abwägungen zu treffen haben.
Nehmen wir bei all dem noch die Situation der Geflüchteten und die hoffnungslosen Zustände in den Lagern in Bosnien und auf Lesbos wahr, von denen Internationale Hilfsorganisationen und auch Entwicklungshilfeminister Müller vor kurzem berichtet haben. Auch diese Menschen sind offensichtlich Heilsuchende. Wer gibt ihnen das Gefühl, angesehen und beachtet zu werden. Es könnte Hilfe geben. Wollen wir das als Europäische Union? Oder sollen diese Lager Orte der Abschreckung und Ausgrenzung bleiben?
Zurück zum Markus-Evangelium: In der letzen Szene wird berichtet, dass Jesus in der Früh an einem einsamen Ort betet. Er braucht zwischendurch den Rückzug, Einsamkeit und Gebet. Er lebt aus der Verbundenheit mit Gott. Und er zieht weiter durch die Dörfer und predigt in den Synagogen, um seine Botschaft heraus zu den Leuten zu bringen.
Wie schaffen wir es heute, die Menschen in Berührung mit Jesus zu bringen, eine Verbundenheit zu entwickeln und die Botschaft auch als Einzelne als Kraftquelle zu erkennen und zu leben?
Wenn ich das Wort Gottes höre, fallen mir in den Textausschnitten oft Schlüsselwörter auf , wie im heutigen Textausschnitt das Wort "Heilen". Ich kann es gedanklich mit Leben füllen und darüber nachdenken, wie ich es mit in meinen Alltag nehmen kann. Wenn ich das Wort Gottes regelmäßig höre, wird aus diesen Schlüsselwörtern und Versen ein Mosaik, ein Fundament, auf dem ich stehen kann und mich auch zum Handeln bringen kann und uns zusammen Gemeinschaft gestalten lässt, jeder nach seinem Vermögen.
Das Jahr 2020 hat uns mit irritierender Wucht die Grenzen unserer Möglichkeiten, über die wir zu verfügen meinen, aufgezeigt und auch unsere Verwundbarkeit als Gemeinschaft.
Das Fundament, auf dem wir stehen, kann uns helfen und die Kraft geben, nach dieser Zeit als Einzelne und als Gemeinschaft weiter zu gestalten, zu handeln und manches auch neu zu entwickeln.
Was sich auf jeden Fall deutlich zeigt, ist, dass wir als Gemeinschaft aufeinander angewiesen sind.