St. Thomas Morus, so heißt die kleinste katholische Stadtgemeinde in Gießen. Ihr Kirchenraum ist aber, zumindest optisch, der geräumigste der insgesamt drei katholischen Stadtkirchen. In der Coronazeit hat sich, in dem von außen unscheinbaren Kirchengebäude aus Backsteinziegel, trotz der Einschränkungen eine Kulturszene durchgehalten. Die Orgel, ein Flügel im südlichen Seitenschiff und allerlei sonstiges musikalisches Gerät haben ihren Schall als Musik auf den grauen Fußboden und von Wänden und Holzdecke weg zu den Hörenden geleitet. Worte des Segens und Gebete wurden dazu gesprochen.
Das Kultur schaffende Menschenensemble mischte sich mit Geistlichem und viele applaudierten - Zeit für Geist, Körper und Seele in der Coronazeit. Der Förderverein der Kulturkirche St. Thomas Morus macht sich dafür stark.
Aber was ist eine Kulturkirche? Kirche genügt sich selbst, da braucht es keine weiteren Attribute um sie zu verstehen. Sagen die einen. Andere wieder zeigen auf die neue Funktion von „Kirchen“ in unserer Epoche, Kirche ist nicht nur für die Glaubenden und Gottesdienste da. Auch andere Zeitgenossen und Zeitgenossinnen haben Anrecht auf das Erlebnis eines Kirchenraumes. Vielleicht finden sie ja dadurch auch wieder hin zu Spiritualität…
Aber die Dinge liegen tiefer, denke ich. Das Christentum hat sich nie als reines Gedankengebilde verstanden. Päpste und Klerus haben eine massenpsychologische, mithin seelsorgliche, Erkenntnis umgesetzt. Die Menschen brauchen etwas zum sehen, fühlen und erfahren um glauben zu können. Und so entstand das, was wir sakrale Kunst und Architektur und Musik, also Kultur im weitesten und doch spezifischsten aller Sinne, nennen. In diesem sichtbar gewordenen unsichtbaren Glaubensdingen finden wir uns als Kulturschaffende wieder. Denn wir verstehen uns als sichtbare Wesen angesichts eines unsichtbaren Gottes, der es liebt sich zu verbergen und uns es überläßt ihn über die sichtbaren Dinge zu finden.
Und so ist diese christliche Kultur eine Eigenschaft des Christentums selbst, aber auch wieder nicht. Wie verstehen Sie, liebe Leser, den Zusammenhang: hat das Christentum die menschliche, hier, die europäische Kultur geprägt oder ist unser Christentum Form der europäischen Kultur?
Tja, wie immer - denke ich - es ist eine Frage der Perspektive. So stimmt beides und ist derart aufeinander bezogen, dass sich Kausalitäten nicht so recht ausmachen lassen.
Kultur und Kirche gehören also zusammen und wer die Werke menschlicher Schaffenskraft, geronnen in steinernen Kathedralen, verzaubernden Bilder und Statuen, sphärisch-göttlicher Musik gewahr wird, der trifft auf das Geheimnis.
Die Dinge liegen tief wurde gesagt. Und so wage ich einen Versuch diese Tiefe auszuloten. Gedanklich. Wenn es letztlich alles Sein nicht in völlig disparat voneinander getrennten Erscheinungen gibt, Materie, Energie und Geist, dann ist es erlaubt zu sagen: Gottes Geist macht, dass er schafft und alles was ist in sich hat: Geist, Materie und Energie. Und alles, was dieses Sein hat, läuft auf einen Zustand von immer größerer Komplexität zu, weil nichts einfach nur „da“ ist, sondern wird, ist und vergeht. Aber nicht ins Nichts hin, sondern in ein Geheimnis hinein, das wir etwas schwerfällig Gott nennen. Ein Geheimnis, das wir nie vollständig umfassen können und dass uns aber innerlichster ist als wir uns selbst je innerlicher sein können.
Derart gedacht haben wir ein schönes Ergebnis zu bestaunen. Unsere kulturellen Fähigkeiten sind eine dynamische und örtlich als Kirchbau zu findende Weise uns diesem Geheimnis, das ja in uns ist und wirkt, sich auch von außen über die Dinge zu nähern.
Das ewige Spiel: wir spüren, dass uns alles heilig werden kann, weil alles heilig ist. So gehen alle jene zur Kulturkirche als einem Hinweis wie Göttliches, Welt und Seele im Heiligen Geheimnis sich dauernd webend verbinden. Und so klingen die Weisen der Musik in der St.-Thomas-Morus-Kirche absichtslos und zweckfrei und künden so von dem was in uns ist und aus uns heraus will um noch Größeres und Schöneres und Heiliges werden zu lassen.