Erntezeit

Novemberlicht (c) Bild von Karsten Paulick auf pixabay.de
Novemberlicht
Datum:
Do. 5. Nov. 2020
Von:
Pfarrer Matthias Schmid

Wie gut, ein Teil-Lockdown ist ausgerufen, die Tage bleibe ich also zuhause. Danke dafür, du elendes Virus. Wie schon mal im Frühjahr. Naja. Ich liebe den Herbst. Die Früchte sind reif. Jetzt wird, nach der Ernte, die Mühe und die Arbeit des Jahres genossen. Der Wein ist schon eingeschenkt, aus dem Backrohr duftet es verführerisch. 

"Hört nicht auf die Schwätzer!"

Was ist eigentlich „Corona“  - Segen oder Fluch? Ich freue mich auf die heimeligen Tage, ach, und die Bücher, die gelesen werden wollen. Zeit für die Zärtlichkeiten der Sinne und meines Geistes! Novembertage, nebelig, kalt und feucht, spazierigklamm die Hände und dann doch zu warm für den Wintermantel. Dieser Tage gedenke ich auch meiner Verstorbenen. Kühl und kalt liegen sie schon so lange Jahre in den Gräbern. Oh, dass sie wirklich in „Frieden“ ruhen! Wenn ich die Welt geschaffen hätte, wäre der Friede Unterrichtsfach in allen Schulen und Universitäten. Und im Fernsehprogramm und Online ein eigener Kanal. Nur an den Gräbern Frieden, das ist zu schade. Ach ja, Allerheiligen ist ein hoher Feiertag bei den Katholiken. Die Heiligen der Kirche halten wir ja immer für Leute, die immer beten, nie aufs Klo mußten und mit nach oben verdrehten Augen den lieben Gott gefallen wollten. Aber in Wahrheit ist es so: Die Heiligen, das sind die, die besonders rebellisch und nervig waren. Ihre Botschaft war ein Programm: laßt Euch nicht unterkriegen, hört nicht auf die Schwätzer, hör in dich rein, geh aus dir raus, mach es anders, finde deinen Frieden!

Dem Rad in die Speichen fallen

Wie Bonhoeffer zum Beispiel. Eine schöne Ausstellung ist über ihn zu sehen in der Kirche von St. Thomas Morus in Gießen Ost. Bonhoeffer. Selbst die Nazis konnten ihm nicht beikommen. Was macht man mit Typen, die von Gott nicht nur reden, sondern ihn allen zeigen? Am besten umbringen! Und so geschah es, mit einem lausigen Draht, der ihm den Hals zudrückte, dass er ersticken mußte, mit andern Mitstreitern für Frieden und Recht. In Flossenbürg. Kurz vorm Ende des Zweiten Weltkrieges. So unnötig und so sinnlos. Er selbst blieb bis zum Schluß höflich und wurde nie ausfällig gegenüber den Gefängniswärtern. Er war nicht froh für seinen Glauben zu sterben. Wie könnte ein Märtyrer das. Er schrie nicht, es lebe die Freiheit, der Friede, die Gerechtigkeit, es lebe Deutschland, all das hat er nicht geschrien. Der Raum war kaltweiß gekalkt, seine Sterbebegleiter, SS Offiziere, waren so menschenverachtend, wie er selbst menschenliebend war. Einige von ihnen lachten als er starb.

Endstation: Erlösung!

Heute ist also diese Zeit vorbei. Für uns hier in Europa. Gerade jetzt aber ist all das Realität irgendwo auf unserer schönen Erde. Corona? Wenn nur die Schinder und Folterer an ihr eingehen würden. Im November, dem Totengedächtnismonat. Wo die Früchte des Jahres genossen werden. Aus dem Backrohr duftet es so gut! Und der Wein schimmert im Glas. Das werde ich den lieben Gott mal fragen, wenn ich oben bin. Gestorben und kühl und kalt im Grab, aber irgendwie auferstanden und im Paradies: was hast du für einen Spaß am Tod Bonhoeffers gehabt? War es das wert? War das dein Herbst, deine Ernte, an der du dich freust?

Und dann hoffe ich, dass ich eine Antwort bekomme, die mich nicht in Verlegenheit bringt, sondern meine blinden Augen und wehen Füsse etwas finden an dem ich mich immer weiter ins Paradies hangeln kann, stolpernd, seufzend und erlöst.

Pfarrer Matthias Schmid (c) Pfarrer Matthias Schmid

Pfarrer Matthias Schmid

Klinikseelsorger

Pfarrer Matthias Schmid ist Klinikseelsorger am Universitätsklinikum am Standort Gießen und war in den Jahren von 2011 bis 2018 Pfarrer der St. Thomas Morus Gemeinde Gießen.