Evolution und Schöpfung

Osterpredigt 2022

Evolution und Schöpfung (c) gemeinfrei
Evolution und Schöpfung
Datum:
Mi. 20. Apr. 2022
Von:
Thomas Ransbach

Thomas Ransbach beschäftigt sich in seiner Osterpredigt zur 51. Orgelvesper am Ostersonntag anhand des Evangeliums des Johannes Kapitel 20, Vers 1-18 mit den Fragen der Schöpfung wie es der große Naturwissenschaftler, Theologe und Jesuit Teilhard de Chardin (1881-1955) lehrte. Seine Grundaussage: Schöpfung ist nie statisch, sondern dynamisch-evolutiv immer in Bewegung.

So betont Ransbach - ganz im jesuitischen Geiste - die freie Entfaltung des Menschen und die Entwicklung der Seele und das Streben nach Vollendung. Ransbach warnt vor Blendern, falschen Priestern und Korruption. Die Ausrichtung nach Jesu Wirken und Lehren bedeute stattdessen die Orientierung zur Wahrheit. So verändere Ostern die Weltgeschichte.

Seit 2020 ist Thomas Ransbach Beauftragter für Wortgottesfeiern im Bistum Mainz.

Liebe Christengemeinde

die Aussichten der Jesus-Anhänger und -freunde waren denkbar finster. Nichts deutete hin auf eine positive Entwicklung im tragischen Schicksal des Predigers Jesus von Nazareth außer seinen rätselhaften Worten in einer seiner Reden an die Jünger, er werde nach drei Tagen auferstehen.

Jesus war verhaftet, vor Gericht gestellt worden vor dem römischen Statthalter auf Betreiben der jüdischen hohen Priester und zum Tod verurteilt worden. Mit seinem Kreuzestod waren ebenso alle Zukunftspläne derer zerstört, die seinen Lehren und seinem Wirken nun drei Jahre gefolgt waren. Sie hatten dafür viel riskiert und aufgegeben.

Die meisten Jünger hatten die Flucht ergriffen und waren nirgendwo mehr zu sehen. Sie hatten aufgegeben und sich in Sicherheit gebracht. Ihre Hoffnungen hatten sie begraben. Damit waren Maria und der Jünger Johannes konfrontiert – gewiss aber überwältigte es sie nun vollkommen, einen lebendigen Jesus zu sehen, Jesus, der deutlich erkennbar als ihr gekreuzigter Meister zu ihnen kam, mit ihnen sprach und sie aufrichtete.

Völlig überraschend und wie aus dem Nichts wurde dieser Ostermorgen zu einem Lichtblitz in die Menschheitsgeschichte, mit dem die Zukunft ihren Verlauf ändert. Dieser Morgen ist unter den Wendepunkten im Weltenlauf ein echter Paradigmenwechsel; heilende Kraft für die Dynamik der Weltgeschichte.

Heute in der Osternacht ereignete sich der große, erschütternde Schlußakt der Passion: Erdbeben, Blitz und ein Engel, der den gewaltigen Stein vom Grab wegwälzt. Jesus erwacht vom Tode und verläßt das Grab. Gesicht und Leib sind verändert; ein Leuchten geht von ihm aus; sein Gewand strahlt hellweiß. Christus ist von den Toten auferstanden und verklärt. Er hat die Macht des Todes gebrochen; Gottes Kraft wirkt in ihm und ist mit Ihm. Mit dieser Energie erfüllt ist er in das Leben und zu uns auf die Erde zurückgekehrt. Er hat alle Prophezeiungen wahr gemacht und mit explodierendem Leben und Licht erfüllt.

Immer in Bewegung

In diesen Tagen der gleichzeitigen schweren Krisen in der Welt  erleben wir auch wieder eine Zeitenwende. Die Welt, in der wir bisher lebten, verändert sich massiv, entgleitet uns mit großer Geschwindigkeit in teils archaische und bedrohliche Dimensionen. Zehntausende Menschen werden traumatisiert, verletzt oder getötet.  Die Zukunft wird anders werden, als wir das wollten; die Welt ordnet sich neu; ist im Wandel. Politiker und Forscher erwarten eher schwierige Jahre, die nur im Zusammenwirken Aller in Europa und weltweit  solidarisch gemeistert werden können. Das wird anstrengend und mit Einbußen unseres Wohlstands verbunden sein. Wir müssen nun wählen, was uns wirklich wichtig ist!  Wir werden Verzicht leisten müssen auf Konsum und  kapitalistische Egomanie. Die Welt wird global zusammenarbeiten müssen, wenn unsere Art - der Homo Sapiens - auf dieser Erde auf Dauer überleben will!

Aber ich bin sicher: Die Schöpfung ist nicht - und  war nie - statisch, sondern dynamisch-evolutiv - immer in Bewegung, immer neu - und das sind ebenso wir Menschen und unser Geist.

Werden, Wachsen, Reifen

Im 20. Jahrhundert entwickelt sich bei dem großen Naturwissenschaftler, Theologen und Visionär, dem Jesuiten Teilhard de Chardin  (1881-1955) eine neue  evolutive Mystik, in der Gott und die Schöpfung eins sind. Er lehrt einen werdenden Gott und werdenden Christus – eine werdende Schöpfung und einen werdenden Menschen.

Teilhard entwirft zwischen 1920 und 1955 ein vollständig dynamisches Bild des Kosmos, mit einer großangelegten Kosmologie auf der Basis der modernen Naturwissenschaften. In dieser Vision ist Christus Richtung und Endziel der gesamten Evolution. Der Kosmos im Großen wie Mensch und Erde im Kleinen sind fortwährend in Bewegung und Veränderung. Alles Leben und alle Dinge der belebten und unbelebten Materie sind den Zusammenhängen des Werdens, Wachsens und Reifens unterworfen und streben nach Vollendung. Ebenso verhält es sich mit der menschlichen Seele und Persönlichkeit. Sie sucht sich zu entwickeln und entfalten, zu werden, was Gott als Potential in ihr angelegt hat; sucht sich ihre Lehrmeister.

Die Evolution der spirituellen und geistigen Schichten im Menschen hat gleich große Bedeutung mit der des Kosmos. Anthropologischen Krisen erscheinen als Geburtswehen einer Schöpfung, die noch ihre Vollendung sucht und unterwegs zu höherem Bewußtsein ist.

Der Mystiker Teilhard beschreibt das Ostereignis leidenschaftlich so:

„In der Osternacht entzündete sich in der Rotglut in den Keimen der Biosphäre ein weißglühender Punkt. Verlieren wir diese vom Morgenrot in Purpur getauchte Linie nicht aus den Augen! Seit Jahrtausenden hebt sich eine Flamme unterhalb des Horizontes empor und wird nun an einem genau bestimmten Punkt gleißend auflodern - das Denken ist da!“      

Dem Jesuiten geht es dabei um den Weg der Entfaltung zum wahren Menschsein mit dem Ziel der inneren Vereinigung mit Jesus Christus, der nach dem Tod am Kreuz am Karfreitag in das Reich der Toten, also in die Unterwelt, abstieg, dort Prüfungen und Läuterungen erfuhr, zuletzt wiederauferstand, zu den Menschen und in die Welt zurückkehrte, um ihnen dort voranzugehen als vollbewußter Mensch und spiritueller Meister seiner Jünger.

Akt der Wiederauferstehung

Auch in den älteren Religionen der Judäa benachbarten Kulturvölker in Christi Zeit, mit denen die jüdische Kultur im Austausch stand, kannte man seit Langem die Mythen und Symbole von Tod, Wanderung durch eine Unterwelt, Begegnung mit dem Bösen, Versuchungen, Prüfungen, Läuterungen.

Ebenso aber kannten - und kennen - die griechische, babylonische, ägyptische und indische Religion des Hinduismus und Buddhismus den Akt der Wiedergeburt, Wiederauferstehung vom Tod in ein erleuchtetes neues Leben in einem neuen Leib und neuem Lebenszyklus.

Es sind schon damals feste mythologische Aspekte dieser Religionen und durchaus prägend für das seelische Erleben Angehöriger jener Kulturkreise. Der arramäische Jude Jesus dürfte diese archetypischen Bilder und Seelenlandschaften der Kulturen seiner südlichen und östlichen Nachbarvölker gekannt haben neben den mosaischen Gesetzen und Propheten seiner eigenen jüdischen Religion.

Im Gegensatz zu den Hohenpriestern des Tempels von Jerusalem verwendet er jedoch stets eine knappe, klare Sprache mit direkter Wirkung in das menschliche Herz. Diesem verwundbarsten Ort der menschlichen Existenz widmet er durch sein gesamtes Wirken hindurch seine ganze Aufmerksamkeit, Liebe und Hingabe.

Gott ist die Liebe und die Wahrheit das Licht der Welt. Dies sind Jesu Lehren auf den allerschönsten und prägnantesten Punkt gebracht - und da, wo das fehlt, gedeihen Dunkelheit, Krieg, Hass, Krankheit und zersetzende Gier aller Art. Es entsteht ein Blendwerk, eine Art trügerischer Scheinwelt, deren falsche Priester den menschlichen Geist kapern, korrumpieren und ersatzbefriedigen. Ihr Ziel ist die Verwirrung und Entseelung des Menschen.

Würden diese Kräfte auf der Erde die Oberhand gewinnen, so würde das Anthropozän, das Zeitalter des Menschen, bald zu Ende gehen – die Menschheit würde sich selbst auslöschen. 

Ostern verändert die Weltgeschichte!

Jesu Leben, Wirken und Lehren, Tod und Auferstehung hingegen lässt eine ganz andere Entwicklung aufscheinen - eine Wendung in das Licht und Leben in Fülle - in Wahrheit und Urvertrauen in Gott und Gottes reiche Schöpfung, die uns dann beschenkt mit einer menschlichen Weiterentwicklung bis zu den Sternen hin.

Das ist die Osterbotschaft an uns und Gottes lebendiges Angebot an die Welt.

Er möge uns mit der Kraft des heiligen Geistes befähigen, dies zu erkennen, die irdischen politischen, gesellschaftlichen und ökologischen Zusammenhänge richtig zu verstehen und im Lichte der Wahrheit zutreffend zuzuordnen.

Dann ist die Macht des Todes gebrochen, Jesu Christi Auferstehung sprengt die Fesseln, befreit das Leben und kann uns Menschen in eine voll bewußte und lichtvolle Zukunft führen.

Ostern verändert dann die Weltgeschichte! Gott helfe uns dabei - tun müssen wir es! Es ist der Weg zu einer Heilsgeschichte!

Ich wünsche Ihnen ein friedvolles und freudvolles Osterfest 2022