Wer ohne Sünde ist...

Predigt zur Wortgottesfeier am 6. Juni 2021

"Der Mensch wie wir ihn heute verstehen"
Datum:
Mo. 7. Juni 2021
Von:
Patrick Wach

Gemeindereferent Patrick Wach beschäftigt sich in seiner aufrüttelnden Predigt zur Wortgottesfeier am 10. Sonntag im Jahreskreis mit der Lesung aus dem Buch Genesis vom sog. "Sündenfall", hinterfragt alte Vorstellungen und zeichnet dabei ein positives, aufklärerisches Bild des Menschen, der seine Entwicklungschancen ergreift, und von einem Gott, der uns die Freiheit schenkt.

"Der Sündenfall"

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

die heutige Lesung führt uns an den Anfang der Heiligen Schrift. Der Mensch lebte zu Beginn nach seiner Erschaffung im Garten von Eden – glücklich und unbeschwert wurde ihm alles gegeben, was er zum Leben gebraucht hat. Nur eines wurde verboten – zu essen von dem Baum der Erkenntnis Als Gott erkannte, dass der Mensch ein Gegenüber brauchte, erschuf er aus dem Menschen heraus die Frau, sein Gegenüber, ihm zur Seite gestellt. Und gerade dieses Gegenüber lässt sich von der Schlange dazu verführen, von der einzigen Frucht zu essen, von der Gott ihnen verboten hat zu nehmen. Sie ist es auch, die den Menschen dazu bringt, sich auch gegen Gottes Gebot zu richten und von dieser verbotenen Frucht zu essen. Durch dieses Zuwiderhandeln gegen Gottes Gebot wird der Mensch aus dem Garten verbannt und in die Welt hinausgejagt. Dieser Sündenfall, wie er auch genannt wird, bringt verheerende Folgen für den Menschen und seine Frau – sie erkennen, dass sie nackt sind, fühlen wohl zum ersten Mal Scham und das Schlimmste, durch diese Tat ist wohl die Sünde in die Welt gekommen. Und mit ihr der Tod.  

Ein erster Schritt Richtung Emanzipation

Dies ist wohl eine der bekanntesten Auslegung dieses Textes und vielleicht kennen sie diese Textstelle auch so. Der „Sündenfall“ wie er in der Bibel auch überschrieben ist. Doch kann man diesen Text auch anders lesen? Denn allein die Überschrift ist im Nachhinein hinzugefügt worden, ein Titel um zu versuchen, den Inhalt zu deuten.

Im Kapitel vorher wird davon berichtet, dass Gott erkannte, dass der Mensch jemanden an seiner Seite braucht, der ihm eine Hilfe ist. Die Tiere auf dem Land und im Wasser konnten das nicht erfüllen. Mit der Erschaffung der Frau jedoch hat der Mensch jemanden, der ihm eine Hilfe sein kann. Hier ist nicht die Rede von einer dienenden oder untergeordneten Frau, sondern vielmehr von einer, auf die der Mensch angewiesen ist. Sie ist es dann auch, die in der heutigen Lesung den ersten Schritt geht – nicht um sich gegen Gott zu verschwören, sondern vielmehr um einen Schritt in Richtung der eigenen Erkenntnis zu gehen. Zu erkennen, was Gut und was Böse ist.

Die Rabbinerin Eveline Goodman-Thau beschreibt es so, dass die Frau die Herausforderung annimmt und das Risiko des Todes, weil sie auf die Erkenntnis von Gut und Böse nicht verzichten kann und will. Denn dafür ist sie ja gemacht worden – um dem Menschen zu helfen sich frei entfalten zu können. Man könnte auch sagen, dass es ein erster Schritt in Richtung Emanzipation gewesen ist.

Der Garten Eden ist nicht endlos

Wenn man sich die Namen der beiden betrachtet, kann sich dies verdeutlichen:

Adam - hebräisch ist der Mensch und Eva - vom hebräischen Chawwah, was so viel bedeutet wie, die „Leben-schenkende“ oder „Mutter der Lebendigen“.

Doch warum musste sich die Frau für diese Entwicklung gegen Gottes Gebot richten und die Sünde in die Welt bringen? Hat Gott den Baum der Erkenntnis in die Mitte des Gartens gesetzt um den Menschen zu testen, dass er den Geboten folge, oder hat Gott nicht vielmehr mit diesem Baum dem Menschen eine Wahl gegeben?

Wenn wir das Leben von Adam näher betrachten, dann ist es eins zu Zeiten im Garten gewesen, ohne jede Verantwortung, ohne jede Verpflichtung. Einfach in den Tag hineinzuleben und keine Sorgen zu haben vor dem Morgen. Jedoch auch ein Leben mit Grenzen. Der Garten Eden ist nicht endlos, ob er nun umzäunt gedacht gewesen ist oder am Ende der grünen Wiesen auf einmal die Wüste begonnen hätte.

Gott gibt uns allen die Möglichkeit, uns frei zu entfalten

Und ist es nicht der Mensch, wie wir ihn heute verstehen oder sehen, der mehr möchte, der sich entwickeln möchte, der auch einmal Fehler machen möchte um aus ihnen lernen zu können.

Und wenn wir Eva nicht als diejenige ansehen, die schuld daran ist, dass wir in unserem Leben leiden, sondern als den Ausgangspunkt sehen, durch den wir uns frei entfalten können, miteinander die Welt entdecken und über Grenzen hinaus leben können. Dann ist der Baum im Garten kein Test, sondern vielmehr die Möglichkeit, die Gott uns allen gibt, uns frei zu entfalten.

Oder in einem anderen Bild gesprochen, müssen auch Eltern, die das Leben ihres Kindes begleitet haben, es beschützt und behütet haben, eines Tages ihrem Kind die Freiheit geben, selbst in die Welt zu gehen. Und manchmal ist dies auch eine Wahl zu gehen oder zu bleiben.

Gott schenkt uns die Freiheit

Und es ist besonders ein Moment in der Lesung, der mich über diesen Gedanken hinausbegleitet. Als Gott erfährt, dass Eva und Adam gegen sein Gebot verstoßen haben, hätte er sich direkt strafend an sie wenden können.

Aber selbst der „Verfehlung“ des Menschen und seiner Frau geht ein Schritt voran – die erste Strafe geht nicht gegen sie, sondern vielmehr gegen die Schlange, die es ausgelöst hat.

Die ersten Adressaten sind nicht die Menschen, sondern das, was den Menschen vermeintlich etwas Böses und Schlechtes möchte.

Und dieses Bild zieht sich durch die ganze Heilsgeschichte, die das Volk Israel mit seinem Gott erlebt hat und immer noch erlebt, genau wie alle Menschen es können. Selbst wenn wir uns von Gott abwenden, uns sogar gegen ihn richten, dann geht allem voran, dass Gott uns schützen will. Gott ist es, der uns entgegenkommt mit offener und zugleich schützender Hand.

Wie ein liebender Vater, wie eine liebende Mutter die eigenen Kinder in die Welt gehen lässt, so schenkt uns Gott auch die Freiheit. Und selbst in Verfehlung lässt Gott uns Menschen nicht allein. Vielmehr gibt die Heilige Schrift immer wieder Zeugnis davon, dass Gott seinen Bund mit uns Menschen halten möchte und uns zugleich in dieser Freiheit gehen lässt.

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Patrick Wach

Gemeindereferent

Patrick Wach ist Gemeindereferent im Bistum Mainz. Er absolvierte seine Ausbildung 2021.