Sie sind hierhergekommen, weil Sie einen Moment innehalten wollen, Stille suchen, weil Sie beten oder einen Gottesdienst mitfeiern wollen oder weil Sie sich für diese Kirche interessieren, sie einfach nur anschauen wollen. Vielleicht ist Ihnen dieser Ort ans Herz gewachsen, weil Sie seit vielen Jahren in Griesheim wohnen und Sie wichtige Stationen Ihres Lebens dieser Kirche verbinden. Was Sie auch immer hierher geführt haben mag, wie auch immer Sie sich fühlen, Sie sind herzlich willkommen und eingeladen, den Raum auf sich wirken zu lassen. Dieser kleine Führer möchte Ihnen helfen, dass der Raum zum Sprechen kommt, etwas zum Ausdruck bringt von dem Lebensgefühl, das Menschen bewegt, die sich hier zum Gottesdienst versammeln. Vielleicht auch etwas von dem, was Sie bewegt.
Wir sind hier in einer Kirche mitten in der Stadt, dort, wo das Leben pulsiert, der Verkauf fließt, Menschen arbeiten und ihre Besorgungen machen. Von außen fällt sie kaum in den Blick. Weder hohe Türme noch weite Plätze machen auf sie aufmerksam. Und auch im Innern ist sie eher schlicht, mit nur wenigen Motiven ausgestattet. Sie erinnert weder an große Prachtbauten früherer Jahrhunderte, etwa des Barock, noch an Repräsentationsbauten der Moderne. Es ist dies ein Bau, der sehr begrenzt ist und doch etwas spiegelt vom Wesentlichen des Lebens. Die Reduktion auf wenige Formen und Figuren ist es, die diesem Ort Atmosphäre verleiht und die den Menschen hier über sich hinaus ahnen, hoffen, glauben lässt. Durch die Jahrtausende hindurch finden wir in diesem Raum vielleicht Zugang zu den Urerfahrungen jener Menschen, von denen wir unseren Glauben überliefert bekommen haben. Durch die Zeiten hindurch können wir einander die Hand reichen, wenn wir uns einlassen auf unser eigenes Leben, das in diesem Raum auch gefeiert wird – im Blick auf die Nähe Gottes, auf Jesus, dessen Leben in vier, fünf Weisen angedeutet wird.
Ganz stilisiert nähern wir uns der Kirche. Stilisiert heißt in diesem Zusammenhang: Man muss viel Abstraktionskraft verwenden. Die Weite des Himmels ist eingefangen in das wenige Blau an der Decke des Windfangs hinter der Eingangstür, die Sterne reduziert auf ein paar Halogenlampen. Symbolisierten in der Gotik noch die Kirchen als Ganzes den Himmel, der sich auf die Erde niederstreckt und sich gleichzeitig über sie erhebt, so wird dieser hier nur noch angedeutet. Und doch treten wir in ihn ein, machen die Erfahrung, dass es so etwas wie geschenktes Glück und Heil gibt, für das wir keine Vorleistungen erbringen müssen. Es ist die andere Seite des Lebens, die mit zur Wirklichkeit gehört, auch in einer Zeit, in der sonst alles von der Leistung des Einzelnen abzuhängen scheint. Wir müssen nicht mehr nach außen schauen und können uns auf die Frage einlassen: Wie schaut der eigene Himmel, die eigenen Sehnsucht, die eigene Weite aus? Was ist das tragende Fundament, wen wir nach oben blicken in unserem Leben?
Wir gehen hinein in diesen Raum und stoßen mitten in der Kirche auf den runden Gabentisch. Wie ambivalent ist er? Einerseits wirklich ein Ort der Fülle, ein Ort der Mitteilung, ein Bereich, wo etwas gegeben wird, was auch weitergegeben werden kann an die Armen, und zugleich kann es der Warentisch werden, wo man sich seiner Schuld entledigen möchte durch: Ich liefere etwas, ich investiere etwas, aber im Grunde mich der Andere in seiner Not nichts an. Hier in diesem Gotteshaus soll der Gabentisch zu dem werden, was er ursprünglich einmal war. Jemand gibt umsonst und Jemand nimmt umsonst. Inmitten einer wüsten, modernen Welt, in der alles weithin funktioniert nach den Mustern „Wenn – dann“, „Um – zu“ „Wehe, wenn nicht“. Es ist der Ort der Offenbarung, wie Liebe geschieht, und der Ort der Versuchung, des Versuchers. Von hier aus bringt die Gemeinde in der Eucharistiefeier in den Zeichen von Brot und Wein zusammen mit den caritativen Gaben all das zum Altar, was sie geleistet hat, aber auch das, was misslungen ist. Glück und Erlösungsbedürftigkeit, Geschenke und Geschenktes, Geleistetes und Nicht-Geleistetes trägt sie zu Altar. Sie bringt es in der Gewissheit, dass Christus selbst in ihrer Mitte ist und das Gebrachte ihr verwandelt zurückschenkt. Liebe wird hier konkret und erfahrbar. Das Wunder der Verwandlung, das Heilige, geschieht nicht in weiter Ferne, sondern mitten in der Gemeinde, wenn sie sich an ihre Verantwortung für die Welt erinnern lässt und der Versuchung der Scheinheiligkeit widersteht.
Wenn wir weiter nach vorne schauen, der Himmel ist nicht ziellos. Das Leben will mit all seiner Enge, wo man nicht mehr weiter weiß, erhält eine neue Perspektive, wenn man den Blick in die Weite und Ferne erhebt.
Durch das Kreuz, den Schmerz, das Leiden, durch die Barrieren hindurch, an denen man immer wieder gescheitert ist, gibt es das goldgelb-orange Licht, Angeld in der Zeit des weißen Osterlichtes.
Goldgelb in der Ikonographie – quer durch die Jahrhunderte und die Jahrtausende – ist die Farbe der Herrlichkeit Gottes, des jenseitigen, des transzendenten Bereiches. Gebrochen und dynamisch in Form von Spiralen leuchtet dieses Licht der Auferstehung hinein in den Alltag, der gekennzeichnet ist durch Not und Enge, durch Kargheit und Wunden. Ein Neuanfang wird möglich, auch wenn die alten Verwundungen nicht einfach verschwunden sind. Der Tod am Kreuz ist nicht das Ende. Das Elend, die Gewalt, die Ungerechtigkeit, die am Kreuz über dem Altar zum Ausdruck kommt, bekommen im Licht der Auferstehung eine neue Sinndimension. Der Tod wird zum Hineinsterben in neues Leben, er spiegelt sich noch im Fenster der Auferstehung, wird aber dort gebrochen. Die Wundmale des Kreuzes – dargestellt in den fünf weißen Edelsteinen – sind nicht verschwunden, als Narben sind sie n noch da. Doch sie schmerzen nicht mehr, wenn wir uns vom himmlischen Licht der Auferstehung anstrahlen lassen, neues Leben wagen.