Fest Darstellung des Herrn
Hanna und Simeon
Als Hanna das Haus verließ, war es noch stockdunkel. Die Händler machten ihre Stände zurecht. Es duftete nach frischen Kräutern und Gebratenem, das ein paar Stunden später das Frühstück für die Leute wurde, die durch die engen Gassen zu ihren täglichen Beschäftigungen eilten. Es war wie immer. Wie immer kam sie ein paar Minuten später im Tempel an. Einige Männer beteten still, andere lasen in den Schriftrollen, viele standen einfach herum und sprachen miteinander. Simeon war auch da. Sie kannte ihn ewig.
Hanna war früh Witwe geworden. Sie lernte lesen und begann die heiligen Schriften zu studieren. Mit Simeon hatte sie einen Freund gefunden, der ihre Sprache sprach und ihre Gedanken teilte. Ihre Gespräche ließen sie oft die Zeit vergessen. Manchmal wurde es darüber Abend ohne dass sie das merkten. Dann gingen sie nach Hause und am nächsten Tag trafen sie im Tempel wieder zusammen. Mit Simeon wurde das entbehrungsreiche Witwenleben leichter. So vergingen die Jahre, eins nach dem anderen. Die Zeit grub sich in ihre Gesichter. Dabei ließ beide das Thema aller Propheten nicht los – die Verheißung des Messias. Seit der Zeit des Mose brachte es in allen Propheten immer die gleiche Saite zum Schwingen. Und Simeon war, seit Hanna ihn kannte, davon überzeugt, dass er diesen Messias kennenlernen sollte. All die Jahre blieb Simeon bei dieser verrückten Überzeugung.
Und dann kam dieser Tag, der sich von den vorhergehenden nicht unterschied und an dem sich Simeon plötzlich völlig veränderte. Seine schlaffen Züge strafften sich, seine Augen wurden groß und rund, seine Kinnlade mit dem weißen Bart rutschte auf seine Brust. Als Hanna sich umwandte, sah sie eine junge Mutter, die wohl ihren Erstgeborenen in dem Tempel brachte in Begleitung des Vaters, der sie stützte. Das war völlig gewöhnlich. Simeon hörte nicht auf, die drei anzustarren. Sie näherten sich, um die Priester aufzusuchen. Simeon setzte sich in Bewegung und trat auf die junge Familie zu. Er bat das Kind halten zu dürfen. Sie kamen aus Nazareth, erfuhren sie. Simeon wurde das Kind gereicht, das ihn mit runden Augen neugierig anblickte. Er nahm es in seine Hände wie einen sehr zerbrechlichen Schatz. Leise begann er zu sprechen „Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden.
Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel.“ Simeon gab das Kind wieder in die Hände seiner Mutter, die mit großen Augen zusah und es an sich drückte.