Sommer:Juli/August 2024
Wir singen manchmal Lieder in unseren Gottesdiensten, die das Jahr in den Blick nehmen. Vor allem geschieht das am Anfang und am Ende des Jahres. Im Gotteslob finden wir auch ein Lied, das die Mitte des Jahres in den Blick nimmt: „Das Jahr steht auf der Höhe“ (GL 465).
Der Text lässt einprägsame Bilder entstehen: „Das Jahr steht auf der Höhe, die große Waage ruht.“ Gemeint ist zunächst das astronomische Sternbild des Sommers, die Waage, am südlichen Himmel (Bild). Das Sternbild besteht nur aus ganz wenigen und recht unscheinbaren Sternen. Es sieht ein bisschen wie ein Kreuz aus. Das Jahr ist nun in der Waage. Hinter und vor uns liegt gleich viel Zeit auf den Waagschalen: je sechs Monate. Das Bild von der ruhenden Waage beschreibt einen Schwebezustand, der nur einen Augenblick dauert. Die Waage erinnert daran, auf das Heute zu achten und die Zeit zu nutzen.
Die große Waage ruht einen kurzen Moment. Wir stehen zwischen dem Blick zurück und dem Blick nach vorne: „Zwischen Blühen und Reifen; zwischen Ende und Beginn“ dichtet der Autor. Es ist in der Rückschau die Erinnerung an die Begegnungen mit Gott und der Blick nach vorn auf diesen Gott, der mein Ziel ist. „Lass uns dein Wort ergreifen und wachsen auf dich hin“ ist ein Gebet, das uns der Autor des Liedes am Ende der ersten Strophe in den Mund legt. Er erinnert an die Worte Johannes des Täufers, dessen Geburtsfest wir vor kurzem feierten: „Er (Christus) muss wachsen, ich aber muss geringer werden.“ (Joh 3, 30)
Wir singen weiter: „Kaum ist der Tag am längsten, wächst wiederum die Nacht. Begegne unsren Ängsten mit deiner Liebe Macht.“ Das abnehmende Tageslicht beschreibt jede Zukunft, weil alles uns Umgebende, ja wir selbst vergänglich sind. Mit der liebevollen Begleitung Gottes werden diese Nächte, die Ängste und Bedrängnisse erträglich. „Du wächst und bleibst für immer […] Dein Tun hat Morgenschimmer.“ Das beschreibt ein Ziel, auf das jeder von uns zugeht.
P. Ralf Sagner OP