Zum Inhalt springen

Kreuzweg

Kreuzwegstation 14
Datum:
27. Feb. 2023
Von:
Ralf Sagner

Eine kleine Gruppe von Betern steht vor der 14. Station des Kreuzweges in der stillen großen Kirche St. Bonifaz: „Der heilige Leichnam Jesu wird in das Grab gelegt“, „Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich.“ „Denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst“ murmeln sie, einige knien nieder. Sie blicken auf das Bild in der Fensternische, das nichts erzählt, wie es bei den Kreuzwegen üblich ist. Es ist eine abstrakte Darstellung, die dem Betrachter außer einem länglichen Block in der unteren Bildhälfte nur einen dunklen, fast schwarzen Hintergrund anbietet.

Erst das Gebet der kleinen Gruppe lässt eine Geschichte entstehen und die Darstellung konkret werden. Beter, Bild, Passions-Geschehnis und die Intention der Künstlerin schmelzen in diesem Augenblick zusammen zu dem bedrückenden Ereignis am Grab Jesu, in das der geschundene Tote gelegt wird. Das Grab ist verschlossen. Kein Lichtstrahl dringt hinein. Die Perspektive der Darstellung ist unklar. Ist es die dumpfe Stille der Gruft, die gerade verschlossen wurde, in der nun der Tote ruht? Oder ist es der Blick auf das verschlossene Grab, in dem mit dem toten Jesus die Hoffnungen der Jünger*innen und das Licht, das er in die Herzen seiner Zuhörer sandte mitbegraben wurde. Es ist das Bild des Karsamstages, dem einzigen Tag im Jahreskreis der Kirche, an dem die Hoffnungslosigkeit, die Leere und das Finstere Platz haben. Der Evangelist Matthäus erzählt von den erschöpften Frauen, die das hautnah erleben mussten: „Dann legte er (Josef von Arimathäa) ihn in ein neues Grab, das er für sich selbst in einen Felsen hatte hauen lassen. Er wälzte einen großen Stein vor den Eingang des Grabes und ging weg. Auch Maria aus Magdala und die andere Maria waren dort; sie saßen dem Grab gegenüber.“

In den gegenwärtigen Katastrophen des Krieges in der Ukraine oder dem furchtbaren Erdbeben in der Türkei ist das ein Bild, das sich tausendfach vervielfältigt hat.

P. Ralf Sagner OP.