…als wäret ihr mitgefangen (Hebr 13,13) – kleine Wunder gibt es immer wieder. Da sitze ich an einem Mittwochabend nach einem langen Tag noch in meinem Büro in der JVA und arbeite noch einige Dinge am Computer ab. Plötzlich klingelt das Telefon und ein Stationsbeamter ruft mich an: Herr R., sei ihm auf dem Flur begegnet und er sehe gar nicht gut aus. Ob ich nicht noch bei ihm vorbeigehen könnte? Ich gehe also zur Zelle und rede mit ihm. Herr R. ist noch sehr jung, er sitzt zum ersten Mal in der JVA und ist sehr verunsichert: Alles ist neu, nicht so, wie er es in seinem Leben gewohnt war und ständig wird ihm gesagt, was er zu tun und noch viel mehr, was er zu lassen hat. Die ersten Tage liefen nicht gut. So wie so ziemlich alles in seinem Leben nicht so gut verlief: Er hat keinen Schulabschluss, ist im Prinzip obdachlos und immer in den falschen Kreisen unterwegs gewesen. Herr R. ist ein sympathischer Mensch, keiner, der nur auf seinen Vorteil bedacht ist, keiner, der bewusst und in voller Absicht etwas Böses getan hat. Natürlich hat er gegen Gesetze verstoßen, sonst wäre er jetzt nicht in der JVA. Er ist ehrlich und möchte im Grunde genommen mit jedermann gut auskommen.
Nun stehe ich also abends kurz vor Einschluss in seiner Zelle und frage ihn, wie es ihm geht. Natürlich erzählt er mir, dass alles schiefläuft, alles schlecht ist und es keinen Lichtblick gibt – ehrlich gesagt, wählt er etwas drastischere Worte. Und dann, kurz vor Einschluss, frage ich ihn, ob es denn nicht wenigstens einen Lichtblick an diesem Tag gibt, irgendetwas Gutes, an dem er sich nun festhalten kann. Und dann kommt eine Antwort, die mich trifft: „Das einzige Gute ist, dass Sie jetzt noch hier heute Abend bei mir auftauchen, denn damit habe ich nicht gerechnet. Dass Sie jetzt hierherkommen und mich fragen, wie es mir geht.“ Seitdem begleite ich den jungen Mann in vielen Gesprächen und so langsam keimt Hoffnung in ihm. Warum ich Ihnen das schreibe? Es braucht nicht viel, um zum Schutzengel für andere zu werden. Es braucht nicht viel, um anderen durch die Nacht zu helfen. Ein Lächeln, eine ehrliche Nachfrage, ein kleines Kompliment oder auch nur ein Zeichen, dass man jemand wirklich wahrgenommen hat. Im Gefängnis wirkt das immer wieder Wunder, warum sollte es vor den Mauern anders sein ?