Schmuckband Kreuzgang

Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit

Auf-gelesen - Literarische Fundstücke (68)

Benedict Wells - Vom Ende der Einsamkeit (c) Diogenes Verl. (Ersteller: Diogenes Verl.)
Benedict Wells - Vom Ende der Einsamkeit
Datum:
Mo. 8. Aug. 2016
Von:
Marcel Schneider (Red.)
Wells, Benedict: Vom Ende der Einsamkeit : Roman / Benedict Wells. - Zürich : Diogenes, 2016. - 354 S. ISBN 978-3-257-06958-7, 22,00 €

Benedict Wells schrieb mit 23 Jahren im Jahre 2008 seinen ersten Roman "Becks letzter Sommer", der in den Feuilletons große Beachtung fand.
"Vom Ende der Einsamkeit" ist sein vierter Roman, der bereits kurz nach Erscheinen im Februar 2016 in den Bestsellerlisten stand und noch immer dort zu finden ist. Zudem wurde er mit dem Literaturpreis der Europäischen Union ausgezeichnet.

Jules Moreau, der Protagonist, erwacht nach zwei Tagen aus dem Koma. Ein Motorradunfall, der ihn fast das Leben kostete, brachte ihn in die Klinik.

"Ich kenne den Tod schon lange, doch jetzt kennt der Tod auch mich." Mit diesem Satz fängt der Roman an, der uns bald von heute in das Jahr 1980 zurückführt. Wie kam es zu dem Unfall? Was passierte in meinem Leben? Jules geht die Stationen seines Lebens systematisch durch, um mehr von sich zu begreifen und wie es zu seinem jetzigen Zustand kam.

Jules ist der Jüngste von drei Kindern. Zusammen mit seiner Schwester Liz und seinem Bruder Marty wächst er in den 1970er und 1980er Jahre in München auf. Sein Vater stammt aus Südfrankreich und die gesamte Familie fährt jeden Sommer zu den Großeltern. Mit sieben Jahren wurden Jules und seine Geschwister in ihren Ferien jäh aus der Idylle ihres bisherigen Lebens gerissen, da sie Zeugen eines Unfalls wurden, bei dem ein kleiner Hund im Fluss ertrank.
"Der junge Hund zerrte am Ast und kam in seinem Übermut dem rauschenden Wasser immer näher... Ein Stück des Ufers war einfach weggebrochen und der Hund ins Wasser gefallen... Während die Kinder von gegenüber schrien und weinten, wandte ich mich ab und sah in die Gesichter meiner Geschwister. Ihre Blicke habe ich nie mehr vergessen." (S.26/27)

Nur ein paar Jahre später kommen die Eltern von den drei Geschwistern bei einem Autounfall ums Leben. Jules ist zehn, Marty 13 und Liz 14 Jahre alt. Sie werden auf ein einfaches Internat geschickt und dort altersgemäß voneinander getrennt.
"Als ich in meinem neuen Bett liege, denke ich an meine Eltern und an meine Geschwister, die in der Nähe sind und trotzdem ganz weit weg, und ich weine nicht, nicht eine Sekunde." (S.52)

Was bewirkt so ein Schicksalsschlag im Leben eines jungen Menschen? Benedict Wells schildert im weiteren Verlauf seines Romans die Entwicklung der Geschwister. Liz fühlt sich gefangen in der Rolle der Ältesten und versucht dem zu entfliehen; sie probiert Drogen, hat wechselnde Männerbekanntschaften, geht für einige Zeit nach Indien. Marty kapselt sich ab und wird zum Einzelgänger. Er gründet eine Computerfirma und gelangt zu Wohlstand. Der in der Kindheit wagemutige Jules wird immer mehr in sich gekehrt und lebt in seinen eigenen Erinnerungen, in der seine geliebten Eltern und besonders seine "verehrte" Mutter noch leben.

Die Geschwister sind sich zugetan und doch gibt es Phasen, in denen sie sich voneinander entfernen und jeder "allein" ist.

Bereits im Internat begegnet Jules Alva. Sie sind Seelenverwandte und stehen sich in den Internatsjahren sehr nah. Danach verlieren sie sich aus den Augen und jeder geht seinen eigenen schicksalshaften Weg. Es werden Jahrzehnte vergehen, bis Jules und Alva nach vielen seelischen "Klippen" zueinander finden.

Benedict Wells gelingt es eindringlich, die Mischung aus Glück in den Kindertagen, tiefe Traurigkeit beim Verlust der Eltern, einsame Jugend, das Wiederfinden der Geschwister sachlich und doch emotional zu beschreiben. Sein Schreibstil hat einen wehmütigen Unterton, der jedoch durch die schlichte und schöne Sprache getragen wird und der Leser am Ende das Gefühl der Hoffnung behält.

So sagt Jules zu Alva:
"Ich: „Dieses ständige Alleinsein bringt mich um." Alva: "Ja, aber das Gegengift zu Einsamkeit ist nicht das wahllose Zusammensein mit irgendwelchen Leuten. Das Gegengift zu Einsamkeit ist Geborgenheit". (S. 171)



Ihre Ursula Bittel