Wer kennt dies nicht? Ein Termin jagt den anderen, zu einer Aufgabe kommt schnell die nächste. Und irgendwann wird es einem einfach zu viel. Eine Erscheinung der Neuzeit? Scheinbar nicht. Der Mönch und Kirchenlehrer Bernhard von Clairvaux (1090-1153) hat bereits im 12. Jahrhundert Texte verfasst, welche genau diesen Zustand beschreiben und die zu einem guten und vorsichtigen Umgang mit sich selbst aufrufen. Besonders bei Tätigkeiten im Ehrenamt, welche keinen festgesteckten Zeitrahmen haben, kann es, zusammen mit allen anderen Verpflichtungen, schnell dazu kommen, dass man überlastet ist. Orientieren Sie sich gerne an den Empfehlungen des Bernhard von Clairvaux. Sie sind erstaunlich aktuell.
Bernhard von Clairvaux schreibt an seinen früheren Mönch Papst Eugen III.:
„Wo soll ich anfangen?
Am besten bei deinen zahlreichen Beschäftigungen, denn ihretwegen habe ich am
meisten Mitleid mit dir. Ich fürchte, dass du eingekeilt in deine zahlreichen
Beschäftigungen, keinen Ausweg mehr siehst und deshalb deine Stirn verhärtest;
dass du dich nach und nach des Gespürs für einen durchaus richtigen und
heilsamen Schmerz entledigst.
Es ist viel klüger, du entziehst dich von Zeit zu Zeit deinen Beschäftigungen, als daß
sie dich ziehen und dich nach und nach an einen Punkt führen, an dem du nicht
landen willst. Wenn du dein ganzes Leben und Erleben völlig ins Tätigsein verlegst
und keinen Raum mehr für Besinnung vorsiehst, soll ich dich da loben?
Darin lob ich dich nicht.
Ich glaube, niemand wird dich loben, der das Wort Salomons kennt: „Wer seine
Tätigkeit einschränkt, erlangt Weisheit.“ (Sir 38,25) Und bestimmt ist es der Tätigkeit
selbst nicht förderlich, wenn ihr nicht die Besinnung vorausgeht.
Wenn du ganz und gar für alle da sein willst, nach dem Beispiel dessen, der allen
alles geworden ist (1 Kor 9,22), lobe ich deine Menschlichkeit – aber nur, wenn sie
voll und echt ist. Wie kannst du aber voll und echt Mensch sein, wenn du dich selbst
verloren hast? Auch du bist ein Mensch.
Damit deine Menschlichkeit allumfassend und vollkommen sein kann, musst du also
nicht nur für alle anderen, sondern auch für dich selbst ein aufmerksames Herz
haben. Denn was würde es dir nützen, wenn du – nach dem Wort des Herrn (Mt
16,26) – alle gewinnen, aber als einzigen dich selbst verlieren würdest?
Wenn also alle Menschen ein Recht auf dich haben, dann sei auch du selbst ein
Mensch, der ein Recht auf sich selbst hat. Warum sollest einzig du selbst nichts von
dir haben? Wie lange bist du noch ein Geist, der auszieht und nie wieder heimkehrt
(Ps 78,39)? Wie lange noch schenkst du allen anderen deine Aufmerksamkeit, nur
nicht dir selber!
Ja, wer mit sich selbst schlecht umgeht, wem kann der gut sein?
Denk also daran: Gönne dich dir selbst. Ich sag nicht: Tu das immer, ich sage nicht:
Tu das oft, aber ich sage: Tu es immer wieder einmal. Sei wie für alle anderen auch
für dich selbst da, oder jedenfalls sei es nach allen anderen.
Wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale und nicht als Kanal,
der fast gleichzeitig empfängt und weitergibt,
während jene wartet, bis sie gefüllt ist.
Auf diese Weise gibt sie das, was bei ihr überfließt, ohne eigenen Schaden weiter.
Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugießen und habe nicht den Wunsch freigiebiger zu sein als Gott.
Die Schale ahmt die Quelle nach. Erst wenn sie mit Wasser gesättigt ist, strömt sie zum Fluss, wird sie zur See. Du tue das Gleiche! Zuerst anfüllen, und dann ausgießen.
Die gütige und kluge Liebe ist gewohnt überzuströmen, nicht auszuströmen.
Ich möchte nicht reich werden, wenn du dabei leer wirst.
Wenn du nämlich mit dir selber schlecht umgehst, wem bist du dann gut?
Wenn du kannst, hilf mir aus deiner Fülle,
wenn nicht, schone dich.