Schmuckband Kreuzgang

Eva Menasse: Dunkelblum

Auf-gelesen - Literarische Fundstücke (104)

Eva Menasse: Dunkelblum (c) Kiepenheuer & Witsch
Eva Menasse: Dunkelblum
Datum:
Mo. 27. Sept. 2021
Von:
Marcel Schneider (Red.)

Menasse, Eva (Verfasser): Dunkelblum : Roman / Eva Menasse . -  
1. Auflage. - Köln : Kiepenheuer & Witsch, 2021. - 528 Seiten. - ISBN 978-3-462-04790-5. - Festeinband : EUR 25.00.

„Dunkelblum“ schon der Name des titelgebenden Ortes lässt wohl kaum fröhliche Dorffeste oder entspannte Urlaube vor dem inneren Auge entstehen – und auch im Roman selbst verirrt sich kaum ein Mensch von außerhalb in den Grenzort im Burgenland.

1989, dem Jahr in dem die Handlung angesiedelt ist, gab es noch den ‚eisernen Vorhang‘ der die Welt in zwei Hälften teilte, doch er ist schon brüchig geworden. Unmittelbar an der ungarischen Grenze lebt die Dunkelblumer Bevölkerung, gut abgeschirmt von den „Drüberen“, damit schafft die Autorin atmosphärisch eine Art Biotop, in dem sie modellhaft das Leben der Dorfgemeinschaft betrachten kann.

Geprägt ist der Ort von Akteurinnen und Akteuren mit scheinbar unverrückbaren Rollen: die Gastwirtin, der Doktor, die Bioweinbauernfamilie, der Gemischtwarenhänder, etc. Alle haben sich eingerichtet, die Gemeinschaft funktioniert so wie es immer war.

Doch das fragile System wird nicht nur durch die politische Wende bedroht, es tauchen im Dorf neuerdings Menschen auf, die es mit ‚neuen‘ Ideen und Fragen ins Wanken bringen.

Ein älterer Herr aus Amerika mietet sich im Hotel ein, junge Leute aus der Hauptstadt legen den zugewucherten jüdischen Friedhof frei, ein einst weggezogener Sohn kommt zurück ins Elternhaus, die Tochter des Weingutes, Lehrerin in einer entfernten Stadt, kämpft in den Ferien für ein Grenzmuseum: „Wir zusammen mit den Drüberen, alles zweisprachig, da gibt’s Verbindungen, die müsste man nur wieder ausgraben, …“ (S. 38)

„Ausgraben“ – das ist genau das, was die Alteingesessenen fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Denn das Dorf birgt ein Geheimnis. In den letzten Kriegstagen hat es ein Massaker an Zwangsarbeitern gegeben, keiner weiß mehr genau, wo diese verscharrt wurden und so soll es nach Möglichkeit auch bleiben.

Die Handlung ist kaleidoskopartig angelegt, es geht also weniger um einen durchgehenden Handlungsstrang, vielmehr liegt der Fokus auf den einzelnen Charakteren und ihren Beweggründen. Jedes Kapitel nimmt eine andere Figur in den Blick und so entsteht wie aus einzelnen Puzzlelteilen das Gesamtbild.

Trotz des düsteren Hintergrundes ist der Blick der Autorin liebe- und humorvoll, durchzogen von ihrem österreichischen Charme (ein Glossar am Ende des Buches hilft bundesdeutschen Leserinnen und Lesern beim Übersetzen). Sie beschreibt, aber sie wertet nicht.

Obwohl es ein reales Dorf als Vorlage für die Handlung gibt, geht es im Roman nicht um kriminalistisches Aufspüren eines vergangenen Geschehens. „Dunkelblum“ erzählt davon, wie das verborgene Dunkle fortwirkt, in einem Interview sagt Menasse: „Die große Wahrheit ist, dass so etwas Folgen hat“ (zum Interview bei domradio.de).

Dieses Anliegen holt die Geschichte aus der historischen Nische in die Gegenwart: Wie funktioniert eine Gesellschaft? Welche Rolle spielt persönliche Schuld, welches Verhalten ist dem Gruppendruck und dem ‚lieben Frieden‘ geschuldet? Wer kann von sich schon sagen, auf welche Seite er / sie sich im Zweifelsfall schlägt? Diese Fragen bleiben aktuell und so lautet auch der letzte Satz: „Das ist nicht das Ende der Geschichte.“

Und nicht zuletzt: Wer kennt nicht die Tragik von Gemeinschaften und Familien, die um ein großes Tabu kreisen, an das keiner zu rühren wagt und das doch alle Beteiligten so sehr am Leben hindert. Menasse sagt uns wieder einmal, wie wichtig es ist, die belastenden Geheimnisse ans Licht zu holen, damit wir wirklich abschließen können.

 

Katharina Dörnemann

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