Kuckart, Judith (Verfasser): Café der Unsichtbaren : Roman / Judith Kuckart. - Erste Auflage. - Köln : DuMont, 2022. - 205 Seiten. – ISBN 978-3-8321-8156-7. – Festeinband : EUR 23.00 (DE)
Im zweiten Stock eines Berliner Hinterhauses befinden sich die Räume von "Sorgentelefon e.V.". Hier geben ehrenamtliche Mitarbeiter Anrufern Ratgeberinformatiomen ohne kirchlichen Hintergrund. Sie fühlen sich als Seelenberater. Wer hier tätig sein will, bekommt von einer Ausbildungskraft die Grundlagen erklärt. Es gibt einige Fertigkeiten, mit denen man z.B. ohne Probleme ein unangenehmes Gespräch beenden kann.
Ein wichtiges Element in der Ausbildung und Kommunikation ist der "Stuhlkreis". Mehr braucht es offenbar nicht, um mit Gesprächsbedürftigen, Selbstmordgefährdeten, Depressiven und Größenwahnsinnigen ("In sechs Jahren bin ich Papst!") angemessen umzugehen.
Der "Stuhlkreis" zählt sieben Mitglieder: Die älteste Teilnehmerin ist 80 Jahre alt. Sie war früher Radioredakteurin und kann nicht aufhören, von der Vergangenheit und von ihrer früheren Zeit in der Telefonberatung zu erzählen. Unter der Belegschaft ist auch Rieke, eine Theologie-Studentin. Sie will für die künftige Gemeindearbeit "schon mal üben". Für Matthias, der auf dem Bau arbeitet, ist das Dasein ohnehin eine rätselhafte Aufgabe. Er lernt im Stuhlkreis die schöne Emilia kennen und lieben. Die traurige Buchhalterin Marianne, der pensionierte Herr Lorenz und Wanda aus der DDR, die für ein DDR-Museum sammelt, gehören ebenfalls zum Stuhlkreis.
Sie alle, so unterschiedlich ihre bisherigen Leben verlaufen sind, haben sich zur Aufgabe gemacht, Anrufern, die Sorgen und Probleme haben, in der Nacht Angst und Ausweglosigkeit zu nehmen. Sie fühlen sich durch eigene Probleme qualifiziert, um mitreden zu können. Durch das Zuhören am Sorgentelefon werden den Anrufern in der Nacht Bürden und Lasten genommen.
Allerdings rufen leider (immer) mehr Größenwahnsinnige und Verrückte in den Nächten an und sie wissen selbst oft nicht, was diese eigentlich wollen und erwarten. Vielfältig sind die Anliegen der Anrufenden, angefangen beim "Segen für alle" bis zur sexuellen Belästigung. Die Sorgenberater hören aufmerksam zu, denn sie wollen für die Menschen da sein und sie stellen dabei fest, dass durch das Zuhören die eigenen Lebenssituationen und Lebenserfahrungen einen neuen Sinn erhalten.
Judith Kuckart hat einen schönen Roman über das Zuhören und das Erzählen in unterschiedlichen Formen geschrieben. Wer was erzählen will, muss auch zuhören können. Auch wenn die eigenen Worte gefunden werden müssen. Sie erzählt voller Wärme von schwachen Momenten und schwachen Menschen. Das Café der Unsichtbaren ist eine wunderbare Lektüre, nicht nur für schlaflose Nächte, sondern auch für helle Sommertage.
Luzia Heer, Mainz