Schmuckband Kreuzgang

Maxim Biller: Sechs Koffer

Auf-gelesen - Literarische Fundstücke (81)

Sechs Koffer (c) Kiepenheuer & Witsch (Ersteller: Kiepenheuer & Witsch)
Sechs Koffer
Datum:
Di. 9. Okt. 2018
Von:
Marcel Schneider (Red.)
Biller, Maxim: Sechs Koffer : Roman / Maxim Biller. - 1. Auflage. - Köln : Kiepenheuer & Witsch, 2018. - 197 Seiten. - ISBN 978-3-462-05086-8

„Sechs Koffer", sechs Kapitel, sechs Reisen - kurz und knapp könnte so der Inhalt des neuen Romans von Maxim Biller zusammengefasst werden.

Es sind Reisen in die Vergangenheit seiner eigenen Familie, die der Autor Biller in seiner jüdischen russisch-tschechisch-schweizerisch-deutschen Familiengeschichte aus unterschiedlichen Sichtweisen unternimmt. In diese und mehr Orte hat sie sich nämlich zerstreut und obwohl es jedem einzelnen durchaus gelingt, ein bürgerlich erfolgreiches Leben aufzubauen, wirken sie doch beim näheren Hinschauen isoliert und heimatlos.

Biller selbst ist 1960 in Prag geboren, wohin die Familie aus Russland emigriert war und wie sein Ich-Erzähler ist auch er mit der Familie 1970 in den Westen geflohen und in der Bundesrepublik aufgewachsen.

Die Grundfrage der eher unspektakulären Geschichte, die gerade einmal 200 Seiten umfasst, ist die nach dem Verrat am Großvater, der wegen Schmuggels in Moskau verhaftet und kurze Zeit danach hingerichtet wurde.

Dass er an den sowjetischen Geheimdienst verraten worden sein musste, steht in der Familie fest und jeder der vier Söhne und zwei Schwiegertöchter hätte es gewesen sein können. Außerdem geht es um viel Geld, das damals hin- und hergeschmuggelt wurde und so ist der Umgang der hinterbliebenen Brüder und ihrer Ehefrauen von gegenseitigem Misstrauen und Schweigen geprägt.

In den sechs Kapiteln, die jeweils ein anderes Familienmitglied in den Fokus nehmen, bildet die ungeklärte Schuldfrage gleichsam die Blaupause auf deren Hintergrund der Ich-Erzähler in unterschiedlichen Lebensphasen seine Verwandten in den Blick nimmt.

So entwickelt sich puzzleartig eine Familiengeschichte, die von Fluchten, Heimatlosigkeit und Misstrauen geprägt ist. Trotzdem ist die Geschichte liebe- und teilweise humorvoll erzählt.

Denn Biller geht es weniger um die Suche nach einer persönlichen Schuld - wie der Großvater letztlich in die Fänge des Geheimdienstes geriet, bleibt offen - sondern darum, wie sehr ein Geheimnis eine Familie über Generationen prägt. Jeder kennt nur seine je eigene Wirklichkeit, nämlich den Ausschnitt des Bildes, der ihm oder ihr zur Verfügung steht, aber da es untereinander keine Kommunikation mehr gibt, gibt es auch kein gemeinsames Ganzes.

Der Ich-Erzähler trägt immerhin einzelne Facetten zusammen und kann so manchen Irrtum aufklären, aber, das wird schnell klar, es gibt keine objektive Wahrheit oder Schuld. Denn vom turbulenten 20. Jahrhundert mit seinen wechselnden Ideologien, Grenzen, Mauern, Staatenbünden und deren Zerfall kann auch eine Familie und das Schicksal jedes Einzelnen nicht unberührt bleiben.

Der Roman erzählt davon, dass die Frage, wer man letztlich selber ist und was die eigenen Identität ausmacht, nicht zu beantworten ist, wenn man sich seinen Wurzeln nicht stellt.

Der Autor Biller ist im bundesdeutschen Literaturbetrieb nicht unumstritten. Er provoziert gern und thematisiert immer wieder sein durch Migration und Religion bedingtes Außenseitertum.
„Sechs Koffer" aber ist eher ein stilles Buch. Es ist gut zu lesen - allenfalls die vielen unvertrauten, dem östlichen Sprachraum entstammenden Namen, verwirren etwas.
Und immerhin hat Biller es mit „Sechs Koffer" zum ersten Mal auf die Shortlist zum Deutschen Buchpreis geschafft, was vor der eigentlichen Preisverleihung schon eine große Auszeichnung ist.


Ihre Katharina Dörnemann