Schmuckband Kreuzgang

Simone Lappert: Der Sprung

Auf-gelesen - Literarische Fundstücke (89)

Simone Lappert - Der Sprung (c) Diogenes Verlag
Simone Lappert - Der Sprung
Datum:
Mo. 25. Mai 2020
Von:
Marcel Schneider (Red.)

Lappert, Simone (Verfasser): Der Sprung : Roman / Simone Lappert. - 1. Auflage. - Zürich : Diogenes, [2019]. - 330 Seiten. - ISBN 978-3-257-07074-3

"Der Sprung" ist der zweite Roman der Schweizer Schriftstellerin Simone Lappert. Das geschilderte Geschehen spielt in der fiktiven Stadt Thalbach, in der Nähe von Freiburg. Thalbach ist eine gewöhnliche Kleinstadt deren Bürger so gewöhnlich sind, wie in anderen Kleinstädten auch.

Aus unterschiedlichen Perspektiven schildert die Autorin die kommenden Tage und lässt einige Thalbacher zu Wort kommen. Daraus ergibt sich bald ein Gesamtbild der Stimmung und des Lebens in Thalbach.

Da gibt es den Polizisten Felix, der der Geburt seines ersten Kindes furchtsam statt freudig entgegensieht, was mit einem Unglück in seiner Kindheit zu tun hat. Des Weiteren gibt es Werner und Theres, die einen Tante-Emma-Laden betreiben aber inzwischen ihre Kundschaft fast ganz verloren haben, so dass Werners Lebenswerk in sich zusammenfällt.
Zwei Obdachlose treten auf, der ältere Henry und der junge dürre Lukas. Henry bettelt nicht, er verkauft den Mitmenschen Fragen, die zum Nachdenken anregen, z.B. "Wann hast du zum letzten Mal geweint?". Beide sind unverschuldet durchs Raster gefallen.

Dann kommt noch die mürrische und immer nörgelnde Edna vor. Sie hat in jungen Jahren für die Gleichberechtigung der Frauen im Berufsleben gekämpft und wollte unbedingt Lokführerin werden. Als sie es in den Führerstand geschafft hatte, wurde sie durch bestimmte Umstände dennoch nicht glücklich. Zu erwähnen wäre auch noch Egon, der lange Zeit ein Geschäft für Herrenartikel besaß. Auch er musste schließen und jetzt ist der Laden eine „Handy-Klinik“. Sympathisch und liebenswert ist Roswitha, die Cafébesitzerin. Sie hat für jeden ein offenes Ohr und tröstende Worte. Das Café liegt am größten Platz in Thalbach.

Finn und Manuela sind ein junges Liebespaar. Finn ist Fahrradkurier und Manu ist, wie sie selbst sagt, eine Störgärtnerin. Sie trägt einen großen alten Majoeimer mit gärtnerischen Gerätschaften mit sich herum und übernimmt Gartenarbeiten. Es stören sie Blumen und Pflanzen in viel zu engen Töpfen und Kübeln oder Blumenbeete an viel befahrenen Kreuzungen, da hilft sie bei Nacht und Nebel den Blumen und ihren Wurzeln wieder glücklich zu werden und befreit die Pflanzen aus ihren Töpfen, damit die Wurzeln wieder mit anderen Wurzeln Kontakt aufnehmen können. Nun steht diese Frau schreiend und schimpfend oben auf dem Dach eines mehrgeschossigen Hauses. Will sie herunterspringen? Warum und wie sie dahin gekommen ist, wird in dieser Buchvorstellung nicht verraten.

Es füllen sich schnell die Stühle vor dem Café und es kommen immer mehr Thalbacher mit Klappstühlen, Decken und vor allen Dingen mit ihren Handys, um den Absprung nicht zu verpassen und um gaffend alles zu kommentieren und zu filmen. Die Polizei und die Feuerwehr sind inzwischen im Einsatz und haben Sprungkissen ausgelegt. Sie versuchen die Frau von ihrem Vorhaben abzubringen. Manche Zuschauer haben berechtigte Sorgen um die junge Frau, andere meinen, wer so wütend sei, Dachziegel vom Dach zu reißen und auf die Straße zu werfen, der bringe sich nicht um.

Viele Stunden wird Manu so auf dem Dach verbringen. Selbst ihre Schwester, die inzwischen ihre Bedenken überwunden hat, sich nicht einzumischen – ist sie doch eine Person des öffentlichen Lebens und würde ein Suizid der Schwester nicht so recht ins Bild passen – kann Manu nicht überreden, herunterzusteigen. Plötzlich ruft ein Halbstarker: "Spring doch endlich du Pussy!" Wird sie springen?

Mir hat das Buch sehr gefallen. Es ist ein spannender Roman. Die Autorin hat die Menschen, ebenso die Atmosphäre in der Kleinstadt so lebensecht beschrieben, so dass man glaubt, selbst Teilnehmer der Gemeinschaft zu sein. Besonders gefallen hat mir auch, wie deutlich und nachvollziehbar die Autorin beschreibt, wie Gegenwart-fixiert die Menschen sind und erst durch schmerzhafte Prozesse lernen, in wie weit die Vergangenheit die Gegenwart beeinflusst. Viele Figuren, mehr als in dieser Buchvorstellung zu Wort kommen, sind mit Begeisterung beschrieben und am Ende haben alle Personen auf irgendeine Weise mit Manuela zu tun. Für mich ein besonderes Buch!

Ihre Luzia Heer

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