Schmuckband Kreuzgang

Wolf Haas: Eigentum

Auf-gelesen - Literarische Fundstücke (121)

Wolf Haas: Eigentum (c) Hanser Verlag
Wolf Haas: Eigentum
Datum:
Fr. 26. Jan. 2024
Von:
Marcel Schneider (Red.)

Haas, Wolf (Verfasser): Eigentum : Roman / Wolf Haas. – 1. Auflage. –  
München : Hanser, 2023. – 156 Seiten ; 21 cm. – 978-3-446-27833-2 (Festeinband) : circa EUR 22.00 (DE).

Der Österreicher Wolf Haas, Jahrgang 1960, ist Ihnen vielleicht bekannt durch seine neun Kriminalromane mit dem Detektiv Simon Brenner. In seinem neuen Roman erzählt Wolf Haas über das Leben seiner Mutter und über ihre lange Schufterei für ein Stück Eigentum.

Marianne Wolf, Jahrgang 1923, war ein schwieriger Mensch. Sie hat jeden im Dorf mindestens einmal beleidigt. Geboren im Jahr der Hyperinflation wurde dies in ihrem Leben zum Trauma: „ Arbeiten, sparen, sparen, sparen und am Ende frisst die Inflation alles auf.“ Am meisten aufgeregt hat sie sich über ihren Großvater, also Wolfs Urgroßvater. Dieser Großvater der Mutter hat nämlich einen Fehler gemacht. Er hatte ein ganz kleines Bauerngut, ein Lechn, war ehrgeizig und wollte es zu etwas bringen. Also verkauft er sein Lechn um ein größeres zu kaufen. Nichts wie arbeiten, arbeiten, arbeiten und sparen, sparen, sparen. Ein paar Jahre später hört er von einem noch größeren Lechn, verkauft daher seins und will das größere erwerben, aber: „Dann ist die Inflation gekommen und das Geld war hin!“ Seit diesem Tag musste der Großvater sich als Knecht verdingen.

Marianne Haas hat ein großes Ziel: Sie will Eigentum erwerben. Aber hat sie mühsam 10.000 Schilling für ein Stück Land gespart, kostet es auf einmal 20.000 Schilling, hat sie die 20.000 Schilling, kostet es jetzt 40.000. Wolf Haas wächst mit dem Urgroll auf den monetären Wertverfall auf. „Ich hörte ihr immer brav zu, ich sah schon mit 3 Jahren alt aus. Die 3 Phasen des Bausparvertrages: Sparphase, Zuteilungsphase, Darlehensphase hielt ich für einen Kinderreim!“.

Jetzt sitzt Wolf Haas am Sterbebett seiner fast 95-jährigen Mutter im Altenheim. Sie bittet ihn, ihre Eltern „wo die jetzt sind, ich weiß nicht, wie es da heißt“, mit dem Handy anzurufen und auszurichten, dass es ihr gut gehe. „Ich war angefressen. Ihr ganzes Leben lang hat meine Mutter mir weisgemacht, dass es ihr schlecht ging. 3 Tage vor ihrem Tod kam sie mit der Neuigkeit, dass es ihr gut ging. Es musste ein Irrtum vorliegen.
Mit seinem typischen Wortwitz, mit lakonischem Humor versucht der Sohn aus losten Erinnerungsbildern und situationskomischen Wortwechseln mit der Mutter, ihr Leben nach zu stricken, wie sie früher die Muster der Kniestrümpfe nachstricken musste für die Söhne des Bauern, bei dem sie schon als Kind arbeiten musste.

Aus Gesprächsfetzen in den wachen Momenten der Mutter und seinen Erinnerungen entwickelt Wolf Haas das Bild vom 95 Jahre langen Leben der Mutter: Armut, Arbeit von klein auf, Hotelfachschule, Reichsarbeitsdient, Job bei der Briefzensur der amerikanischen Besatzung, Familie. Dazu der ewige vergebliche Traum vom Eigentum und ihr genereller Groll auf „die Leute. Sie konnte blind tippen, Zehnfingersystem, aber die konnte nicht mit den Leuten.

"Sie konnte einem Kind die Inflation erklären, aber sie konnte nicht mit den Leuten. Sie konnte englisch und französisch, aber die konnte nicht mit den Leuten". Wolf Haas schreibt voll Liebe, Achtung und tiefer Wertschätzung über die "spinnerte Alte", mit Blick auf viele bizarre Details und viele teils urkomische Anekdoten aus dem Leben der Mutter, garniert mit sarkastischen Kommentaren und frechen Sprachspielereien, die den typischen Sprachstil von Wolf Haas in all seinen Romanen ausmacht.

Mich hat dieses Buch berührt. Es ist sehr persönlich und ich mag den Schreibstil von Wolf Haas mit seinem teils sarkastischen und schrägen Humor und trotz aller Tragik im Leben der Mutter ist der Roman sehr witzig und liebevoll. Dass dieser Roman den Titel "Eigentum" trägt, ist eine Pointe des Humors von Wolf Haas. Das Grab der Mutter, diese 2 qm auf dem Dorffriedhof mit Blick auf die alte Mietwohnung ist dann der einzige Privatgrund der Mutter geblieben, diese 2 qm darf sie in alle Ewigkeit beziehen.


Martina Bouché, Bücherei am Dom Mainz

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