DER NEUE KLOSTERGARTEN
Klostergärten haben Gestaltungsprinzipien, die bis in das frühe Mittelalter zurück reichen. Wesentliche Elemente sind die Übertragung der Kreuzform, die besondere Markierung der Mitte und die Anlage von Wegen als Ströme des Gartens Eden. Oft standen die in sich geschlossenen Klostergärten nach den Ordensregeln „ora et labora“ in direkter Verbindung mit einem überdachten Kreuzgang. Solch gekoppelte Anlagen hatten in Mainz eine lange Tradition, sind jedoch im Laufe der Zeit aus unterschiedlichsten Gründen verschwunden.
65 Jahre nach der völligen Zerstörung des Klosters der Klarissen-Kapuzinerinnen im Bombenhagel des Kriegsjahres 1945 konnte nun rechtzeitig zum 150-jährigen Gründungsjubiläum des Ordens in Mainz wieder ein Klostergarten nach diesen Leitgedanken realisieret werden. Ein bisher brachliegender Grundstücksteil bildet den Schlussstein des in mehreren Bauabschnitten neu errichteten Klosters. Die Entwurfsplanung des Gartens ist dabei so konzipiert, dass sie in verschiedenen Ausbaustufen umgesetzt werden kann.
Begrenzt wird die annährend quadratische Freifläche im Westen von der Sichtschutzwand des bereits bestehenden, überdachten Kreuzganges, im Norden von dem öffentlichen Parkhaus „Am Kronberger Hof“, im Osten von der teilweise historischen Mauer zur Gymnasiumstrasse und im Süden von dem erhaltenen, leicht erhöhten Kellergeschoß der vorherigen, zerstörten Kirche, zu dem eine eingehauste Treppe führt. Von einem der beiden Zugänge des Kreuzganges führt schon seit Jahren in geschwungener Linie ein mit Kopfsteinen gepflasterter Gedächtnisweg zu dem erhaltenen Gewölbekeller der Vorgängerkirche, in dem am 27. Februar 1945, kurz vor Kriegsende, 41 Ordensschwestern qualvoll ums Leben gekommen sind. Unter Berücksichtigung dieses für das Kloster bedeutungsvollen Weges und des wild gewachsenen, teilweise erhaltenswerten Baumbestandes, entstand hier der neue Klostergarten als Freibereich für die in strenger Klausur lebenden Nonnen.
Die harte, allzu hohe Front des städtischen Parkhauses wird durch eine parallel davor gesetzte Baumreihe abgemildert. Den Mittelpunkt des Gartens bildet ein Brunnen, von dem ein Wegekreuz ausgeht, dessen Enden durch Sitzbänke eine besondere Betonung erfahren. Die Wegekreuzung wird von einem Umgang eingerahmt bzw. durchdrungen. Dieses äußere Wegenetz steht wiederum mit den Ausgangs- und Zielpunkten des Gartens in einer direkten Beziehung. Dies sind die beiden Verbindungstüren zu dem überdachten Kreuzgang der Klausur, eine Marienstatue auf einem historischen Mauersockel der vormaligen Straßenbebauung und der Zugang zu dem Gewölbekeller der Kirchenruine. Das als geometrische Figur unvollendete Wegequadrat wird von dem bogenförmig geführten Gedächtnisweg abrupt unterbrochen. Ganz bewusst setzt diese Schnittlinie die beiden Gartenteile in ein Spannungsfeld, das erinnernd in die Vergangenheit (Krieg und Zerstörung) schaut und hoffnungsvoll in die Zukunft (Glaube und Ordnung) blickt.
Dr.-Ing. Rainer Metzendorf
Architekt und Stadtplaner dwb