»Die Schutzengel von Mainz«
Prof. Dr. theol. August Schuchert schrieb 1945 in der Mainzer Bistumszeitung »Glaube und Leben«:
Als um 16.30 Uhr der schwere Angriff auf Mainz begann, trug die Oberin, wie es ihr für solche Fälle besonders erlaubt worden war, das Allerheiligste in den Keller und Luftschutzraum des Klosters, wo ein Altar mit einem Tabernakel errichtet war. Da gleich zu Beginn des Angriffs das Kloster getroffen wurde und infolge des gewaltigen Luftdruckes nicht nur alle Türen aufflogen, sondern Mörtel und Verputzstücke von der bebenden Decke bedrohlich herunterfielen, nahm die Oberin des Klosters das Allerheiligste aus dem Tabernakel. Mit dem Ziborium in der einen und der Custodia mit der Monstranzhostie in der anderen Hand begab sie sich mit ihren Schwestern in den vorderen, noch unbeschädigten Keller. Dort angekommen, stand sie mit den beiden heiligen Gefäßen in den Händen aufrecht bis zum Ende des Angriffs unter ihren 43 Schwestern, die sie kniend und laut betend umringten, während der Boden des Kellers sich mächtig wellenförmig bewegte, die Mauern bebten und dumpfe Detonationen sich in das Rauschen der Bomben und Summen der Motoren mischten. In diesem wankenden Kellerraum, der vom Lärm des Krieges erfüllt wurde, um ihre das Allerheiligste haltende Oberin geschart, im Schein einiger Kerzen, hielt der Konvent seine letzte Anbetung auf Erden.
Die wenigen unter den Schwestern, die den Versuch wagten, durch den Garten hindurchzukommen, kehrten bis auf drei wieder zurück, da es unmöglich war, das brennende Kloster zu retten und aus dem Meer von Rauch, Qualm und Feuer kein Entkommen möglich schien. So eilten sie in den Keller, der noch am meisten Sicherheit bot und wo die Oberin das Allerheiligste auf einen weißgedeckten Tisch gestellt hatte. Was dann geschah, weiß Gott allein. Inmitten der irdischen Finsternis erstrahlte das Licht seiner ewigen Liebe. Die der Herr sich auserwählt und die seinem Rufe gefolgt waren, um das Lob ihres himmlischen Bräutigams täglich zu singen in heiliger Gemeinschaft, sie lud er nun ein, auch zusammen mit ihm am Tische zu sitzen beim himmlischen Mahl …
Feuer und Rauch erfüllten unterdessen immer mehr das Kloster und die Gymnasiumstraße, so dass sich niemand mehr nähern konnte. Abends um 21.00 Uhr stürzten die glühenden Mauern in sich zusammen. Erst am nächsten Morgen gegen 9.00 Uhr war es möglich, den Klostergarten zu betreten. Pater Manuwald vom Priesterseminar, der Spiritual der Schwestern, und eine der drei Überlebenden des Konventes konnten nun über glühende Asche und qualmende Balken mühsam in den Keller der Schwestern vordringen. Da bot sich ihnen ein ergreifendes Bild! Sie fanden die Oberin und ihre vierzig Schwestern tot, die meisten noch in kniender Stellung mit im Gebet ausgespannten Armen aneinandergelehnt und zusammengesunken. Eine Kerze brannte noch auf dem Leuchter. War das nicht das reine Licht ihrer Taufkerzen, das hier noch leuchtete, wie ihnen einst gesagt worden war: Nimm hin die brennende Kerze und bewahre ohne Makel deine Taufe, beobachte die Gebote Gottes, damit, wenn der Herr zur Hochzeit kommt, du ihm mit allen Heiligen entgegengehen kannst in seiner himmlischen Wohnung und lebest in alle Ewigkeit!
War Gott hier, waren seine Engel und Heiligen hier, um euch, heilige Jungfrauen, heimzuholen, so dass ihr eure Zurückhaltung und Entsagung vergessend plötzlich eure Arme so sehnsuchtsvoll ausgespannt habt? –
Das Ziborium war wohlerhalten, ebenso die Custodia. Die beiden heiligen Gefäße standen entleert da. Nach der Aussage des zuletzt zelebrierenden Priesters waren noch etwa 250 konsekrierte Hostien vorhanden. Die Oberin hatte also vor dem Tode ihren Mitschwestern die heilige Kommunion gereicht, bis das Ziborium leer war. Die letzte heilige Kommunion und zugleich Wegzehrung im Kloster der Ewigen Anbetung! Das Opfer war vollendet. Ob sie ihn begrüßt haben, den Tod, als er eintrat, wie einst St. Franziskus, ihr geistiger Vater, »Gepriesen seist du, mein Herr, durch unsern Bruder, den leiblichen Tod«, oder ob sie noch einmal ein »Magnificat« sangen oder ein »Salve Regina« oder ein »Te Deum Laudamus« in jenen erhabenen Melodien, die sie so liebten und in denen sie die reinen Freuden ihres verborgenen Lebens zum Ausdruck brachten? –
Der hochwürdigste Bischof Dr. Albert Stohr, der bald erschienen war, bemühte sich um Rettungsmannschaften, die die Schwestern behutsam auf Bahren in den Garten trugen. Die Männer waren bis zu Tränen ergriffen. Außer den Schwestern befanden sich auch der Küster mit seiner Frau, die beiden treuen Pförtnerinnen, eine Frau mit ihrem Kind und ein siebzehnjähriges Mädchen unter den Toten.
Mit Genehmigung der Behörden durften die Opfer des Klosters im Klostergarten begraben werden. Da infolge der vielen Alarme die 25 Italiener mit dem Grab nicht mehr zur rechten Zeit fertig zu werden schienen, haben Kapuzinerpatres und Weltpriester noch mit zur Hacke gegriffen und gearbeitet, um den toten Schwestern und Angehörigen die letzte Ruhestätte zu bereiten.
Acht Tage nach dem Angriff, am 6. März, fand die Beisetzung im Klostergarten statt. Die Franziskanerinnen aus der Heiliggrabgasse bemühten sich rührend um die 41 toten Ordensfrauen, die ohne Särge gebettet wurden. In der Mitte des Grabes lag die Oberin, rechts und links von ihr die Mitschwestern nach dem Ordensalter. Der hochwürdigste Herr Bischof, viele Priester, Ordensleute und Freunde waren gekommen, um den Konvent der Ewigen Anbetung noch einmal zu grüßen, obwohl die Beisetzung wegen Alarmgefahr schon morgens um 7.00 Uhr stattfinden musste.
Nun ruhen sie im Garten ihres Klosters, das sie so heldenhaft im August 1942 durch ihren kühnen Einsatz vor dem Untergang gerettet hatten. (Anm.: Dies geschah bei einem früheren Bombenangriff, der auch das Kloster getroffen hatte.)
Im feierlichen Requiem in der Kapuzinerkirche nannte der hochwürdigste Herr Bischof in seiner Ansprache die toten Klosterfrauen der Ewigen Anbetung »die Schutzengel für die Stadt und das Bistum Mainz«.
Eine Gedenktafel im Vorraum der Kapelle erinnert an den Opfertod der 41 Schwestern, da das Schwesterngrab im Klausurbereich liegt. Sie dürfen bereits schauen, was wir noch erhoffen, gemäß dem Schriftwort auf ihrem Gedenkstein:
Sie schauen Gottes Angesicht,
für sie gibt es keine Nacht mehr,
denn der Herr ihr Gott ist ihr Licht.
vgl. Offb. 22,4–5