"Lob sei dir, Herr, für Schwester Klara"
In der Schule der hl. Klara
In ihrem Testament zitiert die heilige Klara den heiligen Franziskus mit den Worten: "Kommt und helft mir beim Bau des Klosters S. Damiano; denn in Zukunft werden dort Frauen wohnen, durch deren ruhmvolles und heiliges Ordensleben unser himmlischer Vater in seiner ganzen heiligen Kirche verherrlicht werden wird."
Kaum zwei Jahre nach dieser Vision des hl. Franziskus sollte sich erfüllen, was er beim Wiederaufbau des Kirchleins San Damiano prophetisch vorausgesagt hat:
In der Nacht des Palmsonntages 1212 verlässt Klara heimlich ihr Elternhaus, um sich Franziskus anzuschließen, der sie mit seiner Liebe zum armen gekreuzigten Christus angesteckt hatte. Wie er möchte auch sie ihr Leben radikal nach dem Evangelium ausrichten. Die kirchlichen Voraussetzungen gestatten es nicht, als Frau gemeinsam mit den Brüdern durch die Welt zu ziehen. Franziskus übernimmt die Initiative und baut mit seinen Brüdern um die Kapelle San Damiano herum ein kleines Kloster, in dem fortan Klara mit den sich ihr bald anschließenden Schwestern in der von der Kirche geforderten Klausur leben wird. Klara wagt den Sprung in eine neue Lebensform, über die es später heißen wird, dass sie wie eine helle Lampe die ganze Kirche erleuchtete. Klara und ihre Schwestern teilen das Ideal des hl. Franziskus und seiner Brüder in seinem Wesen, wenngleich der Alltag bei den Schwestern und bei den Brüdern je anderen Gesetzen gehorcht. Eine konsequent gelebte Armut, eine bewusste Schwesterlichkeit und die Abgeschiedenheit der Kontemplation prägen den Lebensstil der "Armen Frauen".
Wie Franziskus für die Brüder so wird Klara für die Schwestern zur lebendigen Wegweisung, zum Spiegel. Ihre mystische Erfahrung mit dem HERRN vermittelt sie fruchtbringend und begeisternd ihren Schwestern: "Forme dich durch die Beschauung gänzlich um in ein Abbild seiner Gottheit!". Das kontemplative Beten sieht sie keineswegs auf die formellen Gebetszeiten beschränkt. Der ganze Alltag vollzieht sich in der Gegenwart des HERRN. Sie mahnt die Schwestern, durch die Arbeit "den Geist des Gebetes nicht auszulöschen." Für Klara heißt Beschauung, den HERRN stets vor Augen zu haben und ihn niemals zu vergessen. Sie sucht die Nähe des HERRN aber nicht um ihrer selbst willen, sondern möchte die ganze Welt in den Lichtkreis der Gegenwart Gottes hineinziehen. In einem Brief an die heilige Agnes von Prag nennt sie diese: "Helferin Gottes und Stütze der fallenden Glieder seines unaussprechlichen Leibes". Der stellvertretende Dienst, von dem hier die Rede ist, bildet einen Wesenszug im Charisma des sogenannten "zweiten" franziskanischen Ordens. Klara möchte für die anderen da sein. Sie denkt dabei besonders an Franziskus und seine Brüder. Sie möchte mitsuchen, mitbeten, mitleiden, "denn wenn ein Glied leidet, leiden alle anderen mit, und wenn ein Glied sich freut, freuen sich alle anderen mit".
Die Lebensform, das Charisma der Heiligen Klara, hat sich im Laufe der Geschichte in verschiedenen Richtungen und Strömungen entfaltet.
In den ersten drei Jahren (1212 - 1215) lebten Klara und die Schwestern nach der "Formula Vitae" des hl. Franziskus. Dann, in 1215 (1216) machte Klara einen Vorstoß bei Papst Innozenz III. und erbat das ihr so wichtige "Privileg der Armut". Sie fand jedoch kaum Gehör und musste aus kirchenrechtlichen Gründen eine von Kardinal Hugolin, dem Protektor des Ordens, verfasste Regel annehmen. Die Hugolin-Regel von 1218 war benediktinisch geprägt und setzte für den Bestand eines Klosters ein materielles Besitztum voraus. Diese Forderung konnte dem innersten Anliegen Klaras nicht gerecht werden. So schrieb sie - als erste Frau in der Kirchengeschichte - ihre eigene Ordensregel, die ihr auf dem Sterbebett 1253 endlich vom Papst persönlich bestätigt wurde.
In der Anfangszeit galt diese strengere Klara-Regel außer für San Damiano nur für einige wenige Klöster. Die meisten richteten sich nach der milderen Hugolin-Regel bzw. später nach der Regel Urbans IV. von 1263, welche Einkünfte aus Dotationen und Grundbesitz erlaubten. So gab es bei den "Armen Frauen" von Anfang an die beiden Richtungen der "Damianiten" und der "Urbanerinnen". Im Laufe der Jahrhunderte entstanden darüber hinaus durch Reformen die Coletinnen, die Kapuzinerinnen und verschiedene andere Gemeinschaften. Heute haben sich die verschiedenen Richtungen durch gemeinsame Konstitutionen und Förderationen zu einer "klarianischen Einheit" zusammengefunden, wobei jedes Kloster nach wie vor seine Eigenständigkeit bewahrt. Einen Provinzverband oder ein gemeinsames Generalat wie bei den Brüdern gab es bei den Klarissen nie. Die kirchenrechtliche Funktion des "höheren Oberen" liegt bei der Äbtissin des einzelnen Klosters.
Wir stehen am Beginn eines neuen Jahrtausends. Wir fragen uns selbst: Sind die Ideale der Heiligen Klara in unserer Zeit weiterhin lebbar? Passen Armut, Klausur und Ehelosigkeit noch in unsere "moderne" Gesellschaft nach 2000? Die Frage ist nicht ganz so neu. Unsere Lebensform war gegenüber der Umgebung immer schon "ver-rückt", für nur an Reichtum und materiellem Gewinn Interessierte eine offensichtliche Torheit. Vielleicht wird dies zu Beginn des dritten christlichen Millenniums sogar besonders deutlich. Wir denken jedoch, dass es auch heute dermaßen törichte Menschen braucht, die mit ihrem Leben Zeugnis abgeben für die Gegenwart Gottes unter uns Menschen, die sich offen halten für seine beständige Ankunft, seine Menschwerdung, seine Inkarnation. Unsere Zurückgezogenheit in der Klausur, unser Arbeits- und Gebetsrhythmus und unser stetiges Zu-Hause-Sein dienen dem Gebet. Wir möchten uns der Beschauung widmen und brauchen entsprechende Rahmenbedingungen. Die beständige Übung des Schweigens ist unser Versuch, in innerer Freiheit auf die göttliche Liebe Antwort zu geben. So werden wir fähig, die Anliegen aller Menschen, besonders der Bedrängten, zu den unseren zu machen und sie vor Gott zu tragen. Selbstverständlich bildet unsere Lebensf6rm einen Kontrast zur uns umgebenden Gesellschaft. Wir erwecken aber nicht nur Unverständnis. Viele Menschen, die sich nicht in Oberflächlichkeit und Materialismus verlieren wollen, spüren sehr genau, wo das Herz Gottes schlägt.
In franziskanischer Armut möchten wir deutlich machen, dass die tiefste Sehnsucht des Menschen, geliebt zu werden, sich dort erfüllt, wo wir Menschen uns dem Einbruch der göttlichen Gnade öffnen. ER ist es, der heilt und Sinnerfüllung schenkt. Wenn es denn irgend möglich ist, laden wir die Menschen dazu ein, sich - in welcher Lebensform auch immer - auf die Gottesfreundschaft einzulassen. Die von Klara vorgelebte Geschwisterlichkeit, die Gottes- und Nächstenliebe untrennbar miteinander verbindet, ist für uns auch heute die zeitlos gültige Herausforderung. Dass unsere kontemplative Lebensform nach wie vor lebendig ist, zeigen die Zahlen: Zu Beginn des neuen Jahrtausends gibt es weltweit etwa achtzehntausend klarianische Ordensschwestern.
Sr.M. Theresia Hüther OSCCap