Ein moderner Heiler

Wortgottesfeier vom 5. September

Jesus heilt den Taubstummen (c) gemeinfrei
Jesus heilt den Taubstummen
Datum:
Mo. 6. Sep. 2021
Von:
Thomas Ransbach

Gottesdienstleiter Thomas Ransbach predigt in seiner Ansprache zur Wortgottesfeier am 5. September vom Akt der Heilung und Jesus' besondere Gabe, sich ganz und mit vollen Bewusstsein dem Menschen zuzuwenden. Dieser Prozess der persönlichen Kontaktaufnahme und hochsensiblen Wahrnehmung seines Gegenübers aktiviert - wie Ransbach mit Verweis auf die moderne medizinische Forschung erklärt - besondere Heilungskräfte. Jesus war in diesem Sinne ein moderner Heiler.

Die nächste Wortgottesfeier findet am 3. Oktober 2021 um 18:30 Uhr statt. Den Gottesdienst leitet Hildegard Pilawa.

"Effata! - Öffne Dich!"

Liebe Christengemeinde,

am See Genezareth im Gebiet der zehn Städte, genannt Dekapolis, brachten die Juden einen Mann zu Jesus, der taub und stumm war und stammelte. Sie baten ihn, dem Taubstummen die Hand aufzulegen und ihn zu heilen, da sie wußten, daß er Heilungen bewirken konnte. Jesus wird daraufhin mit vollem Körpereinsatz tätig und wendet sich vollkommen diesem Manne zu, aufmerksam, offen und achtsam ähnlich einem Arzt gegenüber seinem Patienten. Er betet: Effata! – hebr.: „Öffne dich“ und daraufhin heilen Taubheit und Stummheit. Der Mann findet seine Sprache – zum großen Erstaunen der umstehenden Personen.

Hören, was nicht gesagt wird

Jesus ist daher gewiß einer der Menschen mit hochsensiblem Gespür für das Zentrum einer Menschenseele, für deren echte, unverfälschte Gefühle; dafür, das zu hören, was nicht gesagt wird, aber gesagt werden sollte und gesagt werden will – mit heutigen Worten also das, was zwischen den Zeilen steht und unterschwellig mitschwingt.

In manchen Sprachen der Welt gibt es mehr, in anderen hingegen weniger Anteile sogenannter Kontextbotschaften (sog. High-und Low-Kontext-Sprachen), die sich über Metaphern, Bilder, Gestik und Mimik sowie den Klang der Sprache vermitteln. Das biblische Hebräisch ist eher verbal präzise und vielfältig im Wortreichtum, Begriffs- und Kontextbereich.

Die tiefe Berührung setzt heilende Kräfte frei

Jesus verwendet stets eine knappe, direkte, klare Sprache, die dieses hebräische Aramäisch erlaubt und spricht darüber direkt das menschliche Herz an. Dessen tiefe Berührung aktiviert das gesamte Bewußtsein, lenkt es in einen tieferen Bereich der Wahrnehmung und setzt darauf beim Kranken heilende Kräfte im Organismus frei.

Solche körpereigenen Reaktionsmöglichkeiten bestätigt uns die modernste Medizinforschung in der hochkomplexen Psychoneuroimmunologie zwischen Psychologie und Medizin.

Als voll bewußter, erwachter Mensch und spiritueller Lehrer ist er zu dieser hochintensiven Kontaktaufnahme fähig; er sieht und fühlt in die Seele hinein;  findet die Angst und Not; die Fesseln, aber auch die von Gott angelegten Potentiale eines jeden Menschen, die nach Heilung, Befreiung und Vollkommenheit drängen.

"Wo die Seele ist, da ist Gott"

Der große thüringische Augustinermönch und Mystiker Meister Eckhard nennt dies im 14. Jahrhundert die Gottesgeburt in der Menschenseele. „Wo die Seele ist, da ist Gott – und wo Gott ist, da ist die Seele“; oder: So wahr das ist, daß Gott Mensch geworden ist, so wahr wird der Mensch Gott“. Er möchte uns selbstbewußt lehren, diesen unglaublichen Lebensstrom zu spüren, den wir Gott nennen, eine geistige Kraft „von allen Namen frei; von allen Formen bloß und aller Bilder ledig“ (Eckhard).

Ein solch tiefes Empfinden für das Wesen einer Menschenseele und den göttlichen Funken in ihr hatte ganz gewiß auch Jesus – und er konnte ihn sehen, berühren und entfachen.  

Ein Akt vollen Bewusstseins

Seit Jahrtausenden gibt es in allen Kulturen Menschen, die versuchen, die Rolle von Mittlern einzunehmen und eine unbeschreibbare, von ihnen wahrnehmbare Kraft zu bündeln und auf einen Menschen zu übertragen, der sie um Hilfe bittet. Dieser Heilungsakt geschieht durch das Auflegen der Hände, einer uralten Geste des Helfens und der Zuwendung.

Diese Handlung ist äußerlich eine einfache Geste, aber sie vermittelt Ruhe und Sicherheit und das Gefühl, auf tiefe Weise in Verbindung mit unsichtbar strömender Lebensenergie zu treten. Das Auflegen der Hände ist aber eine Kunst, die nicht auf eine symbolische Bewegung begrenzt bleibt. Wer so heilend handelt, muß gleichzeitig sein volles Bewusstsein einsetzen, um der Geste einen Inhalt zu geben und die heilende Energie auf den Kranken zu übertragen.

Heilungskräfte aktivieren

Die medizinische Forschung lehrt uns heute genau das: Heilungskräfte im Menschen werden aktiviert über das Vertrauen eines Klienten in die Person des Arztes oder Therapeuten, sehr viel mehr, als über Therapiemodus - oder Schule.

Das tiefe Gefühl der Hingabe und des Gesehen-und im Innersten der Person erkannt zu werden, setzt über komplexe Netzwerke zwischen Körper, Geist, Seele und Persönlichkeit körpereigene Botenstoffe frei, die das innere Signal zu einer Heilung geben können oder Heilungsprozeße nachweislich beschleunigen.

Jesus nimmt in der Tradition der Heiler unsere modernen Forschungsergebnisse bereits in seiner Zeit vorweg durch volle Bewußtheit und intensive, sehr persönliche Kontaktaufnahme; durch klare, direkte Wahrnehmung seines Gegenübers im Innersten der Seele, des wahren menschlichen Tempels seiner spirituellen Lehre.

Er heilt den Taubstummen, indem er ihn mit dem Lebensstrom Gottes in Verbindung bringt und dadurch von den Fesseln seiner Krankheit befreit.         

Aussprechen, was gesagt werden muss

Dies ist es, was er auch uns, seinen Schülern, zu geben vermag. Möge er auch uns Augen, Ohren und den Mund öffnen, zu sehen, was gesehen werden muß, zu hören, was gehört werden muss – und deutlich auszusprechen, was gesagt werden muss um der Wahrheit willen.

Gott, lass uns nicht länger wegsehen bei Lügen, Unrecht, Gier und Hass in der Welt.

Wir bitten Dich um die Entfaltung von Bewusstheit, Klarheit und Vernunft. Wir erbitten Deinen Segen für uns und unsere geschundene Mutter Erde.

Schenke uns Mitgefühl, weise Maßhaltung, eine offene, freie Kommunikation über alle Ländergrenzen hinweg und Heilung  unserer verletzten Herzen, damit unser Licht  in die Schöpfung strahlt und sie vollendet.

Wir müssen es tun!

Amen.

Thomas Ransbach predigt vom Ambo in St. Thomas Morus (c) Klaus-Dieter Jung

Thomas Ransbach

Gottesdienstleiter

Thomas Ransbach ist Beauftragter für Wortgottesfeiern im Pfarreienverbund Gießen und seit 2017 im Vorstand des Fördervereins St. Thomas Morus e.V.