Ein wahres Glaubenszeugnis

Predigt zum dritten Fastensonntag 2021

Das Ensemble
Das Ensemble "A Quarter To Sing" gestaltete die Wortgottesfeier anmutig, transzendent und spirituell
Datum:
So. 7. März 2021
Von:
Thomas Ransbach

In der Predigt zur Wortgottesfeier am dritten Fastensonntag geht Thomas Ransbach der Frage um der Seele Grund nach und liefert dabei ein erstaunliches Glaubenszeugnis. Ausgehend von dem Evangelium nach Johannes 2, 13-25, der sog. "Tempelreinigung", stützt sich Gottesdienstleiter Thomas Ransbach auf die folgenden Worte Jesu "Reißt diesen Tempel nieder und in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten" und wirft Fragen auf zum grundlegenden religiösen Verständnis. Dabei schafft er Verbindungen zu bekannten christlichen Mystikern wie Meister Eckhart, Angelus Silesius und Teilhard de Chardin.

Hochaktuell für die religiösen, kirchlichen und gesellschaftlichen Fragen des 21. Jahrhunderts

Der Tempel ist Anlaß für einen heftigen Zornesausbruch Jesu. Der Grund: Händler, Geldwechsler und Priester bereichern sich im Tempel auf Kosten einfacher Leute. Wer aber die Armen aus den Augen verliert, kann sich nicht mehr auf den Tempel als den Ort Gottes berufen. Der Prophet Jeremias bezeichnet in 7,11 in seiner Zeit diesen seiner Würde beraubten und mißbrauchten Tempel als eine „Räuberhöhle“!

Den sonst so sanften und geduldigen Jesus, der auch bei perfidesten Provokationen der Pharisäer ruhig und klug bleibt, überkommt hier ein heiliger Zorn, als er sieht,
daß die Menschen aus dem Haus Gottes ein Kaufhaus für ihren Profit gemacht haben.
Er wird dies viele Male beobachtet haben im Jerusalemer Tempel, seit er im Alter von 12 Jahren zum Erstenmal dort lehrte: Verkaufsstände für Lebensmittel, Holzkohlenfeuer, Wasserhändler, Opfertiere, Geldwechsler an ihren Tischen; Hitze; Lärm; Feilschen; Tierstimmen; Gedränge wie auf jedem orientalischen Markt; dazwischen Priester, erkennbar an ihrem typischen Brustschild und Turban, ihren Standeszeichen.

Es war doch durchaus praktisch: Fromme Juden opferten dort zur Ehre Gottes, wie es das Gesetz des Moses verlangte und für diejenigen, die von weit her nach Jerusalem kamen, um das Passahfest zu feiern, war es einfacher, nicht ihre Opfertiere den weiten Weg mitzuführen, sondern sie direkt vor Ort am Tempel zu erwerben.

Tauben wurden da viel verkauft, denn die waren das Opfer der schlichten Menschen, die sich keine größeren Opfertiere leisten konnten. Das waren die Allermeisten.

Dann gab es Geldwechsler im Tempel und auch das war praktisch, denn die Tempelsteuer durfte nur in jüdischem Geld bezahlt werden und so konnten die gläubigen Juden ihr Geld direkt im Tempel wechseln und bezahlen.

Um Jesu massiv zornige Reaktion zu verstehen, müssen wir uns näher mit dem 2.
Tempel beschäftigen: Dieser Tempel ist keine heidnische Kultstätte wie bei den Römern, sondern der Ort, an dem der Eine Gott wohnt, der seit Abraham von den Juden verehrt wird.

„Ich will unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein“ (Hesekiel 37,27)

Die religiösen Juden fühlen und verehren vor Allem hier seine lebendige Präsenz, obwohl er ja eigentlich allmächtig, überall und eins mit der Schöpfung ist.

Lärm und Marktreiben bringen nun die Welt mit ihrer ganzen Egomanie und Banalität
in diesen Tempel hinein, den Ort, an dem eigentlich Gott allein die Ehre gebührt. Statt um Gebet und Andacht, geht es um Geld, Gewinn und Vorteilsnahme auf Kosten einfacher Leute, die den Geboten ihrer Religion folgen wollen.

Diesen Mißbrauch des Hauses Gottes kann Jesus nicht ignorieren. Er sieht scharf, wie die Menschen Gottes Gegenwart nicht wahrnehmen und sich völlig von ihm und ihrer eigenen Seele ablenken lassen – weit weg von jedwedem Gottesdienst.

Auf einem solchen Tempel ruht nicht der Segen Gottes! Jesus spielt auf die Zerstörung des Tempels an (70 nach Chr. durch die Römer) und bezeichnet sich selbst als neuen Tempel. Das aber bedeuted, nicht Mauern und Steine machen Gott gegenwärtig, sondern allein die Beziehung zu Jesus, der lehren will, daß jeder, der ihm nachfolgt und ihn in sich aufnimmt, selbst zu einem Tempel Gottes werden kann. Paulus schreibt dazu im Brief an die Gemeinde in Korinth: „Wißt ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid?“

Das - ist der spirituelle Kern der Szene und diese Betrachtungsweise ist hochaktuell in den religiösen, kirchlichen und gesellschaftlichen Fragen des 21. Jahrhunderts.

Der Seele Grund

Christliche Mystiker des Mittelalters und der Neuzeit können uns hierzu Orientierung geben. Meister Eckhart (1260 – 1328), Prior des Dominikaner-Klosters in Erfurt und Provinzial seines Ordens, Theologie-und Philosophieprofessor in Erfurt, Paris, Köln, Straßburg im frühen 14. Jahrhundert, ein Spitzen-Intellektueller seiner Zeit, predigt:

„Du sollst Gott erkennen ohne Vorstellung, ohne Mittel und ohne Gleichnis.
Soll ich aber Gott ohne Mittel erkennen,
so muss ich schlechthin er werden und er ich. Weiter sage ich: Gott muss schlechthin
ich werden und ich schlechthin Gott; so sehr eins, dass dieses ER und dieses ICH
ein IST werden und sind
und in der ISTheit ewig ein Werk wirken. (Predigt 83) Denn wer kommen will in Gottes Grund,
in dessen Innerstes,
der muss zuvor in seinen eigenen Grund,
in sein Innerstes kommen,
denn niemand kann Gott erkennen,
der nicht zuvor sich selbst erkennen müsse. (Predigt 15)
Hier ist Gottes Grund mein Grund
und mein Grund Gottes Grund.
Hier lebe ich aus meinem Eigenen,
wie Gott aus seinem Eigenen lebt. (Predigt 5b)"

Meister Eckhard spricht davon, daß Gott seinen Sohn in uns zeugt; daß er in unserer Seele wohnen und wachsen möchte, grünend und blühend mit all seiner Gottheit; uns lehren möchte, diesen unglaublichen Lebensstrom zu spüren, den wir Gott nennen, eine geistige Kraft „von allen Namen frei; von allen Formen bloß und aller Bilder ledig“ (Eckhard). Das ist eine hochdynamische und sehr selbstbewußte Einladung, uns auf die abenteuerliche Suche nach unserem Innersten zu begeben, im Schweigen ruhig und still zu werden, im Gleichklang des Atems Schritt für Schritt alles loszulassen, was uns von uns wegzieht in die stets geschäftige äußere Welt, um so leer und frei zu werden und nur bei mir zu sein, immer mehr bei mir zu sein, vorbehaltlos Ich zu sein in der Tiefe meiner Seele.

"Hier ist Gottes Grund mein Grund und mein Grund Gottes Grund."

Hier ist der Grund meines Daseins, nicht gemacht und geschaffen, sondern göttlicher Grund, erfüllte Leere, belebte Ruhe. Meister Eckhard lehrte somit schon früh, daß Gott keine strafende Instanz über den Wolken ist, sondern ein Potential in jedem Einzelnen! Er war blitzgescheit und wortgewandt, ein beliebter Lehrer bei seinen Studenten und beim Volk, denn er predigte, obwohl des Lateinischen, Griechischen und Hebräischen sicher mächtig, sehr gerne auch in deutscher Sprache – und zwar so, daß Alle ihn verstanden und mit Freude zuhörten.

Eckhard legte in seinen – erhaltenen - deutschen Predigten weder Wert auf amtliche Indoktrination noch auf pflichtgemäße Erbauung, obwohl er die kirchlichen Institutionen bestens kannte und hohe Positionen in ihnen bekleidete, sondern leidenschaftlich auf die „Gottesgeburt“ in der Seele jedes Menschen – also das Vertrauen in das Potential der Menschen und in die Entfaltungsmöglichkeiten jeder einzelnen Menschenseele; ihre geistige Selbstständigkeit und Unabhängigkeit durch die Hingabe direkt an Gott; die Verwandlung der Seele und ihre Hineinbildung in das göttliche Milieu. Er traute den Menschen viel zu!

"Mensch werde wesentlich!"

Im 17. Jahrhundert schreibt der berühmte Arzt, Theologe, Lyriker und Mystiker Angelus Silesius (1624-1677) in seinen berühmten tiefreligiös-philosophischen Epigrammen:

„Halt an, wo läufst du hin – der Himmel ist in dir!
Suchst du Gott anderswo; du fehlts ihn für und für
Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren – und nicht in Dir!
du bleibst doch ewiglich verloren.“
An anderer Stelle:
„Mensch werde wesentlich; denn wenn die Welt vergeht,
so fällt der Zufall weg; das Wesen, das besteht.“

Wesentlichwerden des Menschen ist, dass Gottes Licht in uns aufleuchtet und unser
Wesen findet sich selbst und seinen Reichtum, indem dieser göttliche Funke sich bei uns entfalten kann. Ist das aber unser Wesen, müssen wir innerlich werden, in der Hoffnung, dass sich das Göttliche in uns zeigt.

„Mensch werde wesentlich“ heißt also: „Gott, wirke in uns“.

Silesius spricht vom mystischen Tod, von der Verwandlung der menschlichen Persönlichkeit in eine neue, selbstständig denkende, unabhängige Persönlichkeit, deren Kraftquellen nur einer tief empfundenen Innerlichkeit zugänglich sein können.

Eine Sprache, die den Geist öffnet und das menschliche Herz anspricht

Im 20.Jahrhundert entwickelt sich bei dem großen Naturwissenschaftler, Theologen und Visionär, dem Jesuiten Teilhard de Chardin (1881-1955) eine neue evolutive Mystik, in der Gott und die Schöpfung eins sind. Er lehrt einen werdenden Gott und werdenden Christus – eine werdende Schöpfung und einen werdenden Menschen.

Teilhard entwirft zwischen 1920 und 1955 ein vollständig dynamisches Bild des Kosmos, mit einer großangelegten Kosmologie auf der Basis der modernen Naturwissenschaften. In dieser Vision ist Christus Richtung und Endziel der gesamten Evolution. Der Kosmos im Großen wie Mensch und Erde im Kleinen sind fortwährend in Bewegung und Veränderung. Alles Leben und alle Dinge der belebten und unbelebten Materie sind den Zusammenhängen des Werdens, Wachsens und Reifens unterworfen und streben nach Vollendung. Ebenso verhält es sich mit der menschlichen Seele und Persönlichkeit. Sie sucht sich zu entwickeln und entfalten, zu werden, was Gott als Potential in ihr angelegt hat; sucht sich ihre mystischen Lehrmeister.

Die Evolution der spirituellen und geistigen Schichten im Menschen hat gleich große Bedeutung mit der des Kosmos. Es gibt in der Natur keinen Stillstand. Unser moderner astrophysikalischer Erkenntnisstand belegt diese Eigenschaften des Universums tausendfach und läßt uns Menschen intensiv nach unseren Ursprüngen und unserer Zukunft forschen.

Die Mystik begeht damit einen ganz eigenen Erkenntnisweg.

Sie geht davon aus, dass der menschliche Geist die Fähigkeit hat, unmittelbar und ohne langwierige Beweise die Anwesenheit Gottes in unserer Seele zu erkennen. Poesie und Paradoxien vermögen dies sprachlich zu vermitteln.

Diese Sprache öffnet den Geist, überwindet die Engführung der Logik des westlichen Kulturkreises und spricht direkt das menschliche Herz an. Dort - und nur dort drinnen – befindet sich der wahre Tempel, von dem Jesus Christus spricht und den Paulus meint.

Das ist der Tempel unserer Zukunft und der göttliche Grund – und der Kern der Lehre Jesu Christi, auf den er immer wieder zeigt!

Dies zu verstehen und verwirklichen – dazu verhelfe uns der gütige Gott! Amen.

Thomas Ransbach predigt vom Ambo in St. Thomas Morus (c) Klaus-Dieter Jung

Thomas Ransbach

Gottesdienstleiter

Thomas Ransbach ist Beauftragter für Wortgottesfeiern im Pfarreienverbund Gießen und seit 2017 im Vorstand des Fördervereins St. Thomas Morus e.V.