"Tanz in den Mai"

Zu den europäischen Wurzeln des Christentums

Der keltische Jahreskreis bestimmt auch heute noch unsere zeitlichen Abläufe (c) pixabay.de
Der keltische Jahreskreis bestimmt auch heute noch unsere zeitlichen Abläufe
Datum:
Mi. 28. Apr. 2021
Von:
Thomas Ransbach

Die Feste des Jahreszyklus unserer europäischen Kulturen sind für moderne Menschen wie für aufgeklärte christliche Kirchen mit Wissen um Geschichte, Kulturphasen des Menschen und Fakten zum Thema Entwicklung des Juden- und Christentums von tiefer symbolischer Bedeutung für ein fruchtbares gesellschaftlich-geistiges Leben im Europa des 21. Jahrhunderts.

Exkurs: Keltische Chronik

Die menschliche Prähistorie -  vor ca. 5 Mio Jahren mit dem Auftauchen der aufrecht gehenden "Australopithecen" in Ost-und Südafrika; dem "Homo erectus" vor ca. 2 Mio Jahren und dem "Homo sapiens" seit ca. 300.000 Jahren  - endet etwa 10.000 v. Chr. mit dem Einsetzen der neolithischen Kulturen – also dem Beginn des Acker- und Städtebaues -  im "fruchtbaren Halbmond " des heutigen Palästina, Syrien und Irak. Dort begann mit dem Seminomaden und Schafhirten Abraham um 2000 vor Christus die Geschichte des Judentums und somit auch des Christentums.

Die jungsteinzeitlichen Kulturen Europas legten die Grundlage für unseren heutigen Stand zwischen 8000 und 4000 Jahren vor unserer Zeit - also im Gegensatz zur Mittel- und Altsteinzeit eine relativ kurze Epoche, die von der einsetzenden neolithischen Revolution in Europa abgelöst wird.

Es folgen ab 2000 v. Chr. die bronzezeitlichen und ab etwa 1000 v. Chr. die eisenzeitlichen Kulturen Europas und des Mittelmeerraumes.

Mit der Eisenzeit ab ca. 1000 v. Chr. sind die keltischen Kulturen in ganz Europa mit späteren Wanderungsbewegungen nach Westen, Süden und Osten verbunden. Dazu zählen die sogenannte Inselkelten aus Cornwall; die Pikten (Schottland), Cymrer (Wales) und Gälen (Irland);, sowie die sogenannten Festlandkelten, die Keltiberer (Nordspanien), Gallier (Frankreich) und Galater (Kleinasien).

Diese keltischen Stämme bildeten bereits früh eine technische, künstlerische und religiöse Hochkultur lange vor dem Christentum mit ihren Priestern, den Druiden; Handwerkern und Kunsthandwerkern; Fürsten; frühen Industrieanlagen (siehe Salzproduktionsstätten des Glauberg-Oppidums (südliche Wetterau bei Altenstadt) im nahegelegenen Bad Nauheim (Umgebung der dortigen Dankeskirche; Grabungsergebnisse der 1990iger-Jahre); Bronze-und Eisenschmieden für hochwertige Waffen; Werkzeug; Schmuck; wie Kaufleuten mit nachweislichen aktiven Handelsbeziehungen bis weit in den Mittelmeerraum nach Süden hin und bis nach Skandinavien in Richtung Norden.

Die lange bestehenden keltischen Hochkulturen in der Zeit ab 1000 v.Chr. bis zum Zusammenbruch der keltischen Welt um die Zeitenwende herum – und auch noch rund 500 Jahre danach unter Fremdherrschaft (v.A. Rom von Süden her) sind inzwischen bewiesen durch zahlreiche Bodenfunde und archäologische Analysen. Sie sind allesamt öffentlich zugänglich.

Kelten waren aufgrund einer weithin identischen und  großräumig kommunizierenden Kultur die ersten echten Europäer!

Spirituelle Mystik mit großer Sensibilität für die menschliche Seele

Die Wahrnehmung unserer heutigen Kultur sollte daher mindestens bei der europäischen Jungsteinzeit - so um "Stonehenge" (Südengland; bei Salisbury; Baubeginn 3000 v.Chr.) herum beginnen und die lange vorchristliche und kulturell hochproduktive Epoche des europäischen Keltentums aufmerksam beachten.

Sie pflegten eine wunderbare, beeindruckend spirituelle Mystik mit großer Sensibilität für die menschliche Seele und haben zu unserer heutigen religiösen Kultur als unsere direkten Vorfahren hier auf europäischem Boden sehr viel religiöse Aspekte beigetragen.

Es existierte also hier auf dem europäischen Boden unter unseren Füßen eine jahrtausendealte Vorläuferkultur keltischer Prägung an der Schwelle zur Staatenbildung mit einer hochstehenden Mystik und Spiritualität. Die christliche Symbolik ging im Laufe der Jahrhunderte damit eine Verbindung und Vermischung ein mit unterschiedlichen regionalen Ausformungen.

Künstlerisch-spirituelle Schönheit

Vitale Lebenskraft gewinnt das Christentum aus meiner Sicht dann wieder, wenn es sich seiner tatsächlichen Wurzeln und Entwicklungsphasen voll bewußt wird.

Den Versuch der Auslöschung keltischer Kultur, keltischen Selbstbewußtseins und keltischer Erinnerung sowie ihre unzutreffende Barbarisierung durch Schriftsteller wie Caesar und Tacitus haben bereits die Römer nach ihren Gallien-Eroberungen gemacht aus rein römischer Perspektive. Deren einziger Zweck war in Wahrheit die öffentliche Rechtfertigung ihrer Feldzüge.

Das Christentum übernahm diese Sicht, wie so vieles Andere, vom weströmischen Reich nach dessen Ende um 460 n. Chr. Schulen und Universitäten sind dieser Tendenz jahrhundertelang noch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein gefolgt.

Gottseidank ist die exakte historisch-archäologische Forschung inzwischen engagiert dabei, diese „blinden Flecken“ in der europäischen Geschichte zu korrigieren und was dabei allmählich zum Vorschein kommt, ist eine großartige, hochkomplexe europäisch-antike Kultur unserer direkten Vorfahren, die auch in ihren letzten Phasen nach einer Verbindung mit dem Christentum z.B. im „Book of Kells“, Irland, 6. Jh., eine atemberaubende künstlerisch-spirituelle Schönheit zeigt und ab dieser Zeit auch Schrift und schriftliche Überlieferungen der keltischen Kulturen schufen.

Keltisch-kulturelle und sprachliche Kontinuität mit großem keltischem Selbstbewußtsein gibt es heute in Irland; Schottland; Wales; Cornwall und der Bretagne (Inselkeltische Kulturen). Kelten waren - im Gegensatz zu den kollektivistisch-repressiven Römern – echte Individualisten, manchmal cholerisch aufbrausend, immer aber anspruchsvolle, kunstsinnige, freiheitsliebende Persönlichkeiten. Gewiß stellt dieser Aspekt einen Teil des Konfliktes mit der römischen Mentalität dar.

Aber auch in unserer Region Süd- und Mitteldeutschland - das ursprüngliche keltische Kerngebiet - dokumentieren zunehmende archäologische Funde und verbesserte Technologie eine ehemals konsistente, europaweite Keltenkultur bis etwa zur Zeitenwende. Sie brach zusammen im Verlauf des ersten Jahrhunderts als Folge von Caesars Eroberungsfeldzügen in Gallien („Alesia!“) und der übrigen römischen Expansion nach Norden sowie des germanischen Vordringens nach Süden. 

Seit Jahrtausenden mit der europäischen Kultur verbunden

Feste wie Walpurgis, das keltische Beltaine oder der jahreszeitliche Gegensatz Halloween (All hallows eve;  „Allerheiligen“) – keltisch Samhain, wurden seit Jahrtausenden hier in unseren Regionen gefeiert als Übergangsfeste, in deren Nächte sich der Wechsel auf neue zeitliche Abschnitte von Licht und Dunkel, Wachstum oder Rückzug in „die Wurzeln“, von Leben, Lieben und Warten auf einen neuen Sommer vollzog. Denn so mancher Winter war auch hart, lang und bedrohlich in früherer Zeit.

  • Imbolc -> Maria Lichtmeß (2. Februar)
  • Walpurgis/Beltaine -> Ostern (Frühlingsfest)
  • Mitsommernacht -> Johannesnacht (21. Juni)
  • Lughnasadh -> Mariä Himmelfahrt (15. August)
  • Halloween/Samhain -> Allerseelen/Allerheiligen (1./2. November)
  • Wintersonnenwende -> Weihnachten (21. Dezember)

Es sind mal fröhliche, mal nachdenkliche, mal sinnliche, aber immer sehr vitale Jahreszeitenfeste, die seit Jahrtausenden zu den europäischen Kulturen gehören und den Menschen eine persönliche emotionale Sicherheit im Jahreskreis und ebenso ursprüngliche, vitale Lebenskraft geben können. Sie beziehen sich ebenso auf die Zyklen und Rhythmen der menschlichen Fruchtbarkeit und Zeugungsfähigkeit. 

Der keltische Jahreskreis bildet somit zum Christlichen gar keinen Gegensatz. Es handelt sich um den selben Jahreszyklus, der letztlich in den Rhythmen der europäischen Natur und ihren astronomischen Zyklen wie denen des Lebens von Aussaat, Wachstum, Ernte und Winterruhe begründet ist.

Der christliche Jahreskreis hat den uralten keltischen Zyklus übernommen

Diese Feste können infolgedessen ebensogut widerspruchs- und konfliktfrei im christlichen Sinne gefeiert werden, denn die christliche Jahreszeiten-Symbolik hat sich im Zuge der europäischen Christianisierung lediglich auf den überkommenen uralten keltischen Zyklus aufgesetzt und ging eine Verbindung mit deren Inhalten ein.

So oder so ähnlich lief es überall in Europa ab, je nach dem Charakter der Vorläufer-Kultur, die niemals ganz verschwand, sondern mit verschiedenen Bedeutungsumwidmungen weiterexistiert bis in unsere Gegenwart. So wie analog die (allesamt ausgestorbenen) keltischen Festlandsprachen sprachwissenschaftlich formuliert als Basiswortschatzschicht in unseren modernen europäischen Sprachen aufgingen. In ihnen finden sich jedoch überraschend viele Relikte keltischer Sprachen bei Orts-Gelände-Gewann-Gewässer-Landschaftsnamen. Ein Beispiel ist der Flußname „Lahn“ aus dem keltischen „Lloynn“ (nicht lat. „Luna“, wie fälschlich angenommen wird).

Kopfgeburt mit emotionaler Blindheit und Taubheit

Zu einer theologisch-künstlichen Aufspaltung und Polarisierung der historischen Abläufe - Christentum versus Heidentum - und der Symbolik gibt es keinerlei sinnvollen Anlaß. Dies ist eher schädlich und schwächend auch für das Christentum, weil wir Christen damit unsere eigenen Wurzeln durchtrennen und zur reinen „Kopfgeburt“  mit emotionaler Blindheit und Taubheit werden.

Diesen Festen haftet nichts Negatives an, denn sie folgen Gottes großartiger Schöpfung und dem Licht der Sonne, nach dem sich der Mensch – und  ganz besonders der nordeuropäische Mensch – zu allen Zeiten intensiv sehnte!

So laßt uns Christen mit allen naturliebenden Sonnen- und Sternenfreunden gemeinsam in aller Unschuld, Freude, Fröhlichkeit und Freundschaft unsere Jahreszeiten-Feste feiern! 

Sie sind intensiv dem Leben und Licht gewidmet wie seit Urzeiten!

Thomas Ransbach predigt vom Ambo in St. Thomas Morus (c) Klaus-Dieter Jung

Thomas Ransbach

Gottesdienstleiter

Thomas Ransbach ist Beauftragter für Wortgottesfeiern im Pfarreienverbund Gießen und seit 2017 im Vorstand des Fördervereins St. Thomas Morus e.V.